6oth Birthdag box 39/3
S
das Gleiche nicht zu sagen. Indes will mir scheinen, daß er als
ernster, geistiger Arbeiter und scharfer Psychologe entschieden höher
steht als der stets wechselnde Neuigkeitsbringer Hermann
Bahr, neben dem Schnitzler heute zu einem wesentlichen Teil die
gegenwärtige Dichtung Deutsch=Oesterreichs repräsentiert.
Daß ers auch außerhalb des weichen Wiener Milieus versteht,
das hat Schnitzler in seinem „Grünen Kakadu“ bewiesen.
Einem grotesken Akt, der am Tage vor dem Bastillensturm in
Paris spielt und in dem das Volk den Aristokraten zu Leibe geht.
Leidenschaftliche; packende Szenen voller Plastik.
Noch etwa ein Dutzend weiterer Bühnenarbeiten Schnitzlers
wären zu nennen, jedoch sind diese fast durchweg nicht von klassischer
Reife, wenn auch einzelne von ihnen vorübergehend auf unseren
Bühnen brillierten. Erwähnt sei aber noch dasjenige seiner Stücke.
das seit dem vorigen Jahre trotz lautem Protest Andersdenkender
die Kassen deutscher Theater füllt, Zensurbehörden, Gerichte und
Parlamente mobil machte und das dennoch schon in diesem Jahre
ein — Vierteljahrhundert auf dem Rücken hat, der „Reigen“. Zehn
Szenen aus dem Gebiet der sexuellen Liebe auf die verschiedensten
Stände verteilt. Am Anfang und am Ende der Szenen steht die
gleiche Dirne, so daß sich also der Reigen um die meist recht krassen
Liebesvorkommnisse schließt. In das Werk. das keinesfalls als die
höchste Offenbarung deutscher Bühnenkunst angesehen werden darf
und das sich ebensowenig mit Zolaschem und Jung=Hauptmannschem
Naturalismus messen kann, sind an französischen Vorbildern ge¬
schulte Ironie und Satire eingestreut. Eben, wie gesagt,
immer Geist und Grazie, aber auch ganz derbe Holzschnittmanieren!
Unter Wilhelms II. herrlichen Zeiten war der „Reigen“ in
Deutschland verboten, in Oesterreich aber erlaubt.
So, kurz umrissen, der in Wien lebende, erfolgreiche Drama¬
tiker und Erzähler Arthur Schnitzler, dessen Name in der modernen
deutschen Literatur einen guten Klang hat und der besonders als
namhafter Vertreter deutsch=österreichischer Bühnendichtung an¬
zusprechen ist. Große Zeitprobleme hat Schnitzler nicht gestaltet;
n seelischer Beziehung verrät er hier und da starke Kenner= und
Könnerschaft.
Kl.
war mir, als gehe von ihr ein Duft von Weihrauch und Wachs¬
kerzen aus, und als müsse sie bald sterben. Ich hätte mich gar
nicht gemundert, wenn sie plötzlich vor mir mit dem Gesicht zur
Erde hingefallen und tot liegen geblieben wäre. Vor lauter Furcht
begann ich ganz laut zu sprechen, aber sie fiel mir ins Wort:
5—st] Sprich leise, sonst erwacht das Gesindel und denkt,
dn bist mein Liebhaber
(Fortsetzung folgt.)
ADOLF SCHUSTTENN —
ZEITUNGSNACHRICHTEN-BUREAU“
BERLIN SO 16, RUNGESTR. 22-24.
Zeitung: Wiener Stimmen
□
Adresse: Wien 17141#0
S
Datum:
Zum Sechziger des „Reigen“¬
Dichters.
Zeichnung von Theo Zasche.
9
*
*
*
(
30 40
4.704
„Wir winden dir den — Lorbeerkranz.“ #######
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das Gleiche nicht zu sagen. Indes will mir scheinen, daß er als
ernster, geistiger Arbeiter und scharfer Psychologe entschieden höher
steht als der stets wechselnde Neuigkeitsbringer Hermann
Bahr, neben dem Schnitzler heute zu einem wesentlichen Teil die
gegenwärtige Dichtung Deutsch=Oesterreichs repräsentiert.
Daß ers auch außerhalb des weichen Wiener Milieus versteht,
das hat Schnitzler in seinem „Grünen Kakadu“ bewiesen.
Einem grotesken Akt, der am Tage vor dem Bastillensturm in
Paris spielt und in dem das Volk den Aristokraten zu Leibe geht.
Leidenschaftliche; packende Szenen voller Plastik.
Noch etwa ein Dutzend weiterer Bühnenarbeiten Schnitzlers
wären zu nennen, jedoch sind diese fast durchweg nicht von klassischer
Reife, wenn auch einzelne von ihnen vorübergehend auf unseren
Bühnen brillierten. Erwähnt sei aber noch dasjenige seiner Stücke.
das seit dem vorigen Jahre trotz lautem Protest Andersdenkender
die Kassen deutscher Theater füllt, Zensurbehörden, Gerichte und
Parlamente mobil machte und das dennoch schon in diesem Jahre
ein — Vierteljahrhundert auf dem Rücken hat, der „Reigen“. Zehn
Szenen aus dem Gebiet der sexuellen Liebe auf die verschiedensten
Stände verteilt. Am Anfang und am Ende der Szenen steht die
gleiche Dirne, so daß sich also der Reigen um die meist recht krassen
Liebesvorkommnisse schließt. In das Werk. das keinesfalls als die
höchste Offenbarung deutscher Bühnenkunst angesehen werden darf
und das sich ebensowenig mit Zolaschem und Jung=Hauptmannschem
Naturalismus messen kann, sind an französischen Vorbildern ge¬
schulte Ironie und Satire eingestreut. Eben, wie gesagt,
immer Geist und Grazie, aber auch ganz derbe Holzschnittmanieren!
Unter Wilhelms II. herrlichen Zeiten war der „Reigen“ in
Deutschland verboten, in Oesterreich aber erlaubt.
So, kurz umrissen, der in Wien lebende, erfolgreiche Drama¬
tiker und Erzähler Arthur Schnitzler, dessen Name in der modernen
deutschen Literatur einen guten Klang hat und der besonders als
namhafter Vertreter deutsch=österreichischer Bühnendichtung an¬
zusprechen ist. Große Zeitprobleme hat Schnitzler nicht gestaltet;
n seelischer Beziehung verrät er hier und da starke Kenner= und
Könnerschaft.
Kl.
war mir, als gehe von ihr ein Duft von Weihrauch und Wachs¬
kerzen aus, und als müsse sie bald sterben. Ich hätte mich gar
nicht gemundert, wenn sie plötzlich vor mir mit dem Gesicht zur
Erde hingefallen und tot liegen geblieben wäre. Vor lauter Furcht
begann ich ganz laut zu sprechen, aber sie fiel mir ins Wort:
5—st] Sprich leise, sonst erwacht das Gesindel und denkt,
dn bist mein Liebhaber
(Fortsetzung folgt.)
ADOLF SCHUSTTENN —
ZEITUNGSNACHRICHTEN-BUREAU“
BERLIN SO 16, RUNGESTR. 22-24.
Zeitung: Wiener Stimmen
□
Adresse: Wien 17141#0
S
Datum:
Zum Sechziger des „Reigen“¬
Dichters.
Zeichnung von Theo Zasche.
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30 40
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„Wir winden dir den — Lorbeerkranz.“ #######