6oth Birthday
box 39/3
#ka: 7ast
6##f
WO
2470
Grau
Ale
für Kunst und Wissen.
REEN
—
Jahrgang 2
Schnitzler.
—
(Zu seinem 60. Geburtstag, 15. Mai.)
„Von Dr. Paul Landau.
Etwas verspätet stehe hier diese Würdigung des
Wiener Dichters. D. Red.
Arkhur Schnitzler 60 Jahre. Der Dichter der müden, überreifen
Jugend, der so früh die Tragik des Alterns, den „einsamen Weg“ ins
Leese, ins Nichts geschildert, hat all die Empfindungen und Erlebnisse
des absinkenden Lebens vorweg genommen, sodaß er uns heute im grauen
Haar nicht viel ülter erscheint als in fernen blühenden Tagen. Schni߬
etwas Zeitloses, Unpersönliches. Der unbe¬
lers letzte W###
strittene Führer der „Wiener Schule“, dieser Klassiker des Impressionis¬
mus steht heute, in den Tagen des „sterbenden Wien“, des sieghaften
Expressionismus, fremd in einer ihm fremden Welt. Er spielt noch die
alten Melosien, die melancholischen Klänge eines raschen Lebensgenusses,
einer bitteren Seligkeit, aber sie tönen etwas leer, leise, wie fernverweht.
Schnitzler ist an seinem 60. Geburtstag schon historisch geworden und
als den Verlieter einer abgeschlossenen Epoche, als den Meister eines.
vollendeten Stils dürsen wir ihn würdigen.
Die Wiener Dichtung wird stets in der Literaturgeschichte des letzten
Vierteljahrhunderts eine bedeutende Stelle einnehmen, sie ist ja nicht nur
mit den Schlagworten vom „Wiener Walzer“ und „süßen Mädel“ zu
erschöpfen, sondern sie hat dem trüben und sachlichen norddeutschen Ra¬
turatiomus erst Anmut verliehen, Weichheit, Feinheit, Musik. Und der
bezeichnende Künstler dieser „Wiener Schule“ schlechthin ist Schnitzler.
mit seinem
nicht etwa Hofmannsthal, der viel internationaler ist
zu beleben
fabelhaften Formtalent die verschiedenartigsten Stile
weiß. In Schnitzler findet uralte Wiener Tradition ihre letzte Verfet¬
nerung, ihren vollen Ausklang. Viel mehr als das Vorbild der Fran¬
zosen, wie Donnay und Lavedan, oder Ibsens, sollte man diese heimischen
Einflüsse betonen. Sein Hauptmotiv, die schaurig=schöne Verschwisterung
von Lebesgenuß und Todesnähe, ist der eigentliche Stimmungsfaklor des
Barock, das nicht nur in der Kunst Fischer von Erlachs, sondern auch im
österreichischen Jesutendrama seine Höhe erreichte, und die stets wieder¬
kehrende Situation bei Schnitzler, der Rausch der Liebe im Angesicht
des Todes, ist nur ein müder Nachhall jener stacken Barock=Kontraste,
die hier zu einer schmerzlich stillen Harmonie verschmelzen. Aber nicht
nur dies eine Motiv, sondern seine ganze Lebenshaltung ist typisch öster¬
reichisch. Es ist jener Gehenlassen, das im Postlied des „lieben Au¬
gustin“ erklingt: „'s ist mir alles eins, es ist das Genießen des Augen¬
blicks, das nicht nach dem Morgen fragt, wie es schon Abraham a Santa
Clara an seinen Wienern tadelte. Schnitzler ist en geradezu fanatischer
Verfechter des Glaubens, daß der Mensch nichts tun kann gegen sein
Schicksal, daß er unfrei ist, eine Puppe in der Hand eines unsichtbaren
Drahtziebers. Es ist dies lustrig=traurge Puppenspiel des Lebens, das die
Wiener Volksstücke mit unbewußter Ironie darstellten, das bei ihm aber
mit einem sleptlichen Künstlertum geschildert wird. Das Schcksal spielt
mit uns, wir spielen unser Leben: „Es fließen neinander Traum und
Wachen, Wohrheit und Lüge. Sicherheit st nirgends. Wir wissen nichts
0.
von andern, nichts von uns. Wir spielen alle, wer es weiß, ist klug,
heißt es in seinem tiefsinnigen „Paracelsus“. „Das Leben — ein Traum,
dies Grillparzer=Motio wird von Schnitzler in vielfachen Wandlungen
und Spiegelungen ausgenommen, ebenso wie die Verschmelzung von Liebe
und Tod aus „Des Meeres und der Liebe Wellen“. Kunst und Natur
gehen ineinander über, und das Leben in der Phantasie ist oft wirklicher
als das reale Leben. Daher seine Verehrung, ja Ueberschätzung des
Künstlers, sein Aesthetentum, daher aber auch die Inörunst, mit der das
Formale gegeben ist. In der Fenheit und Grazie seines Stils folgt
Schnitzler ebenfalls den besten heimischen Mustern, und manches aus
seiner letzten Prosa gemahnt an Stifters Erzählerkunst.
Aus seinem Wienertum heraus wunde der Dichter zu dem bezeich¬
nendsten Vertreter des Impressionismus. Da er nur die Empfindung
des Augenblicks anerkennt, sich allein an den flüchtigen Abglanz des Le¬
bens, an den Mummenschanz verhuschender Schatten klammeri, so wußle
er in das Momentane den stänksten Inhalt zu legen. Seine beiden ersten
bedeutenderen Arbeiten, der Einakterzyklus „Anatol“ und die Novelle
Sterben“, drängen bereits in einzelne Augenblicke ganze Welten des
Erlebens. Das impressionistische Drama hat kein höheres Kunstwerk aufe
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für Kunst und Wissen.
REEN
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Jahrgang 2
Schnitzler.
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(Zu seinem 60. Geburtstag, 15. Mai.)
„Von Dr. Paul Landau.
Etwas verspätet stehe hier diese Würdigung des
Wiener Dichters. D. Red.
Arkhur Schnitzler 60 Jahre. Der Dichter der müden, überreifen
Jugend, der so früh die Tragik des Alterns, den „einsamen Weg“ ins
Leese, ins Nichts geschildert, hat all die Empfindungen und Erlebnisse
des absinkenden Lebens vorweg genommen, sodaß er uns heute im grauen
Haar nicht viel ülter erscheint als in fernen blühenden Tagen. Schni߬
etwas Zeitloses, Unpersönliches. Der unbe¬
lers letzte W###
strittene Führer der „Wiener Schule“, dieser Klassiker des Impressionis¬
mus steht heute, in den Tagen des „sterbenden Wien“, des sieghaften
Expressionismus, fremd in einer ihm fremden Welt. Er spielt noch die
alten Melosien, die melancholischen Klänge eines raschen Lebensgenusses,
einer bitteren Seligkeit, aber sie tönen etwas leer, leise, wie fernverweht.
Schnitzler ist an seinem 60. Geburtstag schon historisch geworden und
als den Verlieter einer abgeschlossenen Epoche, als den Meister eines.
vollendeten Stils dürsen wir ihn würdigen.
Die Wiener Dichtung wird stets in der Literaturgeschichte des letzten
Vierteljahrhunderts eine bedeutende Stelle einnehmen, sie ist ja nicht nur
mit den Schlagworten vom „Wiener Walzer“ und „süßen Mädel“ zu
erschöpfen, sondern sie hat dem trüben und sachlichen norddeutschen Ra¬
turatiomus erst Anmut verliehen, Weichheit, Feinheit, Musik. Und der
bezeichnende Künstler dieser „Wiener Schule“ schlechthin ist Schnitzler.
mit seinem
nicht etwa Hofmannsthal, der viel internationaler ist
zu beleben
fabelhaften Formtalent die verschiedenartigsten Stile
weiß. In Schnitzler findet uralte Wiener Tradition ihre letzte Verfet¬
nerung, ihren vollen Ausklang. Viel mehr als das Vorbild der Fran¬
zosen, wie Donnay und Lavedan, oder Ibsens, sollte man diese heimischen
Einflüsse betonen. Sein Hauptmotiv, die schaurig=schöne Verschwisterung
von Lebesgenuß und Todesnähe, ist der eigentliche Stimmungsfaklor des
Barock, das nicht nur in der Kunst Fischer von Erlachs, sondern auch im
österreichischen Jesutendrama seine Höhe erreichte, und die stets wieder¬
kehrende Situation bei Schnitzler, der Rausch der Liebe im Angesicht
des Todes, ist nur ein müder Nachhall jener stacken Barock=Kontraste,
die hier zu einer schmerzlich stillen Harmonie verschmelzen. Aber nicht
nur dies eine Motiv, sondern seine ganze Lebenshaltung ist typisch öster¬
reichisch. Es ist jener Gehenlassen, das im Postlied des „lieben Au¬
gustin“ erklingt: „'s ist mir alles eins, es ist das Genießen des Augen¬
blicks, das nicht nach dem Morgen fragt, wie es schon Abraham a Santa
Clara an seinen Wienern tadelte. Schnitzler ist en geradezu fanatischer
Verfechter des Glaubens, daß der Mensch nichts tun kann gegen sein
Schicksal, daß er unfrei ist, eine Puppe in der Hand eines unsichtbaren
Drahtziebers. Es ist dies lustrig=traurge Puppenspiel des Lebens, das die
Wiener Volksstücke mit unbewußter Ironie darstellten, das bei ihm aber
mit einem sleptlichen Künstlertum geschildert wird. Das Schcksal spielt
mit uns, wir spielen unser Leben: „Es fließen neinander Traum und
Wachen, Wohrheit und Lüge. Sicherheit st nirgends. Wir wissen nichts
0.
von andern, nichts von uns. Wir spielen alle, wer es weiß, ist klug,
heißt es in seinem tiefsinnigen „Paracelsus“. „Das Leben — ein Traum,
dies Grillparzer=Motio wird von Schnitzler in vielfachen Wandlungen
und Spiegelungen ausgenommen, ebenso wie die Verschmelzung von Liebe
und Tod aus „Des Meeres und der Liebe Wellen“. Kunst und Natur
gehen ineinander über, und das Leben in der Phantasie ist oft wirklicher
als das reale Leben. Daher seine Verehrung, ja Ueberschätzung des
Künstlers, sein Aesthetentum, daher aber auch die Inörunst, mit der das
Formale gegeben ist. In der Fenheit und Grazie seines Stils folgt
Schnitzler ebenfalls den besten heimischen Mustern, und manches aus
seiner letzten Prosa gemahnt an Stifters Erzählerkunst.
Aus seinem Wienertum heraus wunde der Dichter zu dem bezeich¬
nendsten Vertreter des Impressionismus. Da er nur die Empfindung
des Augenblicks anerkennt, sich allein an den flüchtigen Abglanz des Le¬
bens, an den Mummenschanz verhuschender Schatten klammeri, so wußle
er in das Momentane den stänksten Inhalt zu legen. Seine beiden ersten
bedeutenderen Arbeiten, der Einakterzyklus „Anatol“ und die Novelle
Sterben“, drängen bereits in einzelne Augenblicke ganze Welten des
Erlebens. Das impressionistische Drama hat kein höheres Kunstwerk aufe