VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 171

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Arthur Schnitzler ist, was sich hieraus ergibt,
ein dichterisch verankerter und gefestigter Lite¬
Arthur Schnitzler
rat. Er stand zugleich im Volk, dessen Seele in
ihm war, und in der Literatur, mit deren Ner¬
Zu seinem sechzigsten Geburtstag
ven auch die seinen schwangen. Dabei floß aus
ihm als sein eigenstes Erbe und sein persönlich¬
Arthur Schnitzler ist ein ganz österreichi¬
ster Besitz die lyrische Stimmung in sein Werk.
scher Dichter und ein ganz österreichischer Mensch
Sein zarter, musikalischer Lyrismus eben hat ihn
eine Figur also zugleich der Dichtung und des
davor bewahrt, daß er dem Literatentum ver¬
Lebens des Landes, somit ein Repräsentant sei¬
fiel, und er hat ihn immer die Nähe des Volkes,
ner Kultur in ihrem ganzen Umfang. Das
des österreichischen und Wiener Volkes, dem
Weiche, Zarte, Lässige, Melancholische, Bittere,
Lyrik und Musik ins Blut gemischt ist, wünschen
Resignierte — jene Mischung der gelockerten und
lassen. So entstand sein bedeutendstes Bühnen¬
allzu gelockerten deutschen Art macht Schnitzlers
werk „Liebelei“, diese kleine köstlich bittere Tra¬
menschliche und dichterische Art aus. Ernsteste
gödie eines einfachen und einsamen Mädchens.
Lebensprobleme senken sich ihm gleichsam durch
So auch entstanden die viel berufenen Dialoge
ihre eigene Schwere tief ins Volkstümliche ein,
des „Reigen“, denen es leider nicht erspart blieb,
wandern aber auch durch ihre Entschwerung ins
den Dichter auf der Bühne, für die sie nicht ge¬
Literatenhafte ab. Ihre Formung wächst des¬
schrieben sind, zu kompromittieren. Und eben¬
gleichen aus primitiven Wurzeln auf und ver¬
falls konnten nur aus seiner Volksnähe die Sze¬
ästelt sich rasch in psychologischem Schnörkel= und
nen des „Anatol“ erwachsen, in denen er aus dem
Arabeskenwerk. Die Hand des Dichters faßt die
allmenschlichen Untergrund der Erotik den üb¬
Probleme leicht und sicher an, läßt sie aber nicht
lichen Konversationston mit neuen Reizen er¬
minder leicht in eine pessimistische Dialektik ent¬
füllte. Hier konnte die spielerische Art des Oester¬
gleiten. Je männlicher der jung berühmte
reichers sich ganz ausleben, hier konnte sie mit
Schnitzler wurde, desto stärker setzt sich in ihm
leichten Worten an schwere Probleme rühren,
das Literatentum mit seiner Skepsis durch, und
und konnte ein möglichst unbelastetes Symbol
je älter der männliche Schnitzler wurde, desto
für vielfach belastetes und verkrümmtes Leben
menschlicher, lyrischer und besonnener wurde sein
finden. Sein Anatol schreitet wie ein Trost, aber
Zweiflertum gegenüber allem Menschlichen.
wie ein nicht ganz aufrichtiger Trost, durch die
Oesterreich bedeutet bei Schnitzler Wien, und
Dichtung und durch das Leben an der Wende des
Wien bedeutet ihm die Welt, in der er fast alles
Jahrhunderts.
ansiedelt, was ihn bewegt und erregt. Diese
Jener Zeit, die nun ach! so restlos verbraucht
sichere Umgrenzung des Bodens, den er als Dich¬
ist, gehört Schnitzler an. Das Menschentum
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ter ausschreitet, gibt seinen Werken einen lie¬
hatte sich damals hoffnungslos spezialisiert, und
benswürdigen und wahrhaftigen Atem des Hei¬
der einzelne Mensch, besonders der künstlerische,
matlichen und des höchst Persönlichen. Der
hatte sich über alle Natur erhoben. Die Kunst
Eindruck, daß er stets nur die nächsteigene Sache
adaptierte diesen Zustand und diese Zeitstimmung
und die Sache des Nachbarn oder Freundes be¬
durch die Methode des Impressionismus. Es
dichtet, hat von all seinen Werken von Anfang
war Zustand und Zeitstimmung des erhöhten und
an den anderen Eindruck des nur Erdichteten
gewiß auch verfeinerten Literatentums, für das
ferngehalten. Er suchte nie nach dichterischen
Schnitzler der bedeutendste und menschlich er¬
Problemen, sondern die Prohleme suchten ihn,
schlossenste Zeuge und Gestalter wurde. Der
und er zeigte sich ihnen im buchstäblichen Sinne
Künstler, der Virtnose und jeder zerbrechliche
des Wortes gewachsen und geneigt. Seine Dich¬
halb beseelte und halb schon entseelte Mensch
tungen wurden sein Leben und erwiesen dessen
wurde stehende Figur seiner Bühnendichtungen.
Beherztheit, zunehmende Fülle und Tendenz nach
Nervöse Reizung, Belastung vom Milien und
menschlicher Abklärung.
Beruf her Verirrtheit des Herzens, des Gedan¬
kens Blässe und die Schwäche der Sentiments
vor dem Leben — dies alles ist in vielen seiner
Stücke zu zarten, zerschleierten Bildern gestaltet
und seelenärztlich erklärt, analysiert und ... be¬
lächelt. Schon die Titel deuten auf derlei: Der
einsame Weg, Der Ruf des Lebens, Das weite
Land. Fühlt man nicht schon aus diesen Titeln,
wie zwischen den Menschen die Verzweiflung
spielt, und eine Ahnung vom Ende? Der ein¬
same Weg endigte im Sumpf, der Ruf des Le¬
bees erstickte und das weite Land wurde Wüste.
Dies ist mehr als eine Spielerei mit Worten.
Denn wenn anders Schnitzler ein Dichter von
Wesentlichkeit ist, so kündigt sich durch ihn Vol¬
kes Schicksal und der Ablauf zivilisatorischer
Gänge an. Er ahnte Gräber, Verfall und Not¬
wendigkeit zu neuem Anfang ...
Die deutsche Bühne hat nicht viele Dichter von
der sprachlichen und seelischen Kultur Arthur
Schnitzlers aufzuweisen und noch weniger solche,
die so handwerklich ehrlich und ernst ihren Appa¬
rat für legitime Wirkungen des Wortes zu
nützen verstanden. Schnitzler schentte dem Thea¬
ter und seinem Publikum stille und besinnliche
Stunden. Behutsam, wie er sein Pfund und
das Pfund der Bühne verwaltete, ließ er seine!
Zartheit nie zur Mattigkeit heruntersinken und
versuchte auch nie, sie mit künstlichen Mitteln
athletenhaft aufzuplustern. Er war ein Mensch
auf der Bühne und traktierte Menschliches. So
auf der Bühne, so in der Novelle! Sein Talent
war ihm wichtig genug, es sorglich zu pflegen,
und stark genug, um über aller Gepflegtheit die
Ursprünglichkeit und die Verbindung mit den
Müttern nicht zu verlieren. Mag man diesen
nun sechzigjährigen Dichter lieben oder nicht, um
ihn ist — trotz „Reigen“! — die reine Atmosphäre
eines Menschen von Gesinnung und Wollen,
durch die die deutsche Literatur des anhebenden
Jahrhunderts an Reiz und Reichtum gewonnen
hs.
hat.