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Both Birt au box 39/3
Arthur Schnitzler
zu seinem sechzigsten Geburtstag.
Das Maiheft der „Neuen Rundschau“ (Verlag
S. Fischer, Berlin), das als Schnitzler=Heft er¬
scheint, vereinigt die Glückwünsche von zeitgenössischen
Schriftstellern zum sechzigsten Geburtstag des Dichters
am 15. Mai. Wir können bereits heute aus den Bei¬
trägen, von denen wir Auernheimer, Bahr, Blei, Ger¬
hart Hauptmann, Hollaender, Kerr, Heinrich und
Thomas Mann, Wassermann und Stefan Zweig nennen,
die von Franz Werfel und Hugo v. Hofmannsthal
Die Red.
bringen.
Wie schwer ist es, und zumal auf kargem Raum, über einen
Dichter etwas auszusagen, was vor dem inneren Wahrheitssitn be¬
stehen kann. Wie alles Lebendige, wie jeder Organismus erregt ein
Gedicht tausend Gedanken. Assoziationen, Erkenntnisse, es wechselt
mit dem Lichte der Stunden, Jahreszeiten und Lebensalter Farbe und
Gesicht, es ist unfaßbar. Wer getraute sich, den nächsten Meiischen,
der mit ihm das Leben teilt, zu deuten?? Und vor dem geheimnis¬
vollen ewigen Wachstum eines Kunstwerks haben so viele die kecke
Stirne der Definition! — Daß aber ein Werk. umfriedet von den
Seiten des Buchs, sich verwändeln kann und immer wieder neue
Züge trägt, ist eben ein Zeichen, daß es Organismuts ist, Gedicht!
Ein Meister, wie Arthur Schnitzler, ist unter den Deutschen ein
höchst seltener Fall. Schnitzler ist in unserm heutigen Schriftium
gewiß der einzige Vertreter der Latinität. Unter diesem Wort ver¬
stehe ich im Gegensatz zu allem Ausladenden, Verzweigten, Roman¬
tischen, Erziehungsromanhaften, die Kunst der klaren, geschmeidigen
Linie. Die Novellen und Einakter Schnitzlers vor allem zeigen die
Schärfe des nicht malenden, sondern zeichnerischen Menschen, des
Künstlers, dem die notwendige unbeirrbare Abwickelung, die rapide
Logik höherer Schaffensrausch ist, als Ueberraschung und Verweilen
während des Weges. Ich nenne hier Novellen wie „Leutnant Guste“,
„Die Toten schweigen“. „Die Hirtenflöte“, die Dramen „Der grüne
Kakadu“, Die letzten Masken“, „Literatur“ Komtesse Mizzi“. — In
diesen Werken herrscht eine großartige Nüchternheit, die erschüttert,
weil sich hinter ihr die Scham einer starken Moralität verbirgt. Es
ergreift uns die fast pedantische Geste eines Mannes, der mit be¬
wußter Wortblässe und einem akkuraten kalten Vortrag die Leiden¬
schaft seines Anges Lügen straft. Hierin ist Schnitzler mit Lessing zu
vergleichen, ja in seiner Freude an der rationalen Lösung des Spiels
nimmt er eine Richtung der deutschen Poesie wieder auf, die mit
Lessing abbricht. Bewundernswert ist des Meisters Formensinn, sein
Takt, sein Gefühl für Gleichgewichtsverteilung, für Steigerungen
und Pausen. Diese gelungenen Maße allein schon bereiten dem Leser
der Novellen die seltene ästhetische Befriedigung: dies ist richtig. —
Aber in diesen menschlichen Tugenden der Form bewährt sich nur
der Meister und sein reiner Wille. Tiefer bewährt sich der Dichter.
Was ist das zentrale Gefühl dieses Dichters, was die Quelle
seines Schaffensdrangs, sein Urkonflikt, seine tragische Problematik,
sein Wesensnerv, sein Abgrund, aus dem Erkenntnis und Bekenntnis
aufsteigt? — Soweit aus den Geheimnissen eines künstlerischen
Werkes die Lösung dieser Frage versucht werden darf, möcht ich dies
antworten: Wesensnerv ist die uneingestandene, bange, leidenschaft¬
liche Sehnsucht zu lieben und geliebt zu werden. In der Welt
Schnitzlers herrscht eine fatale Einsamkeit, eine prädestinierte Be¬
ziehungslosigkeit der Seelen. Aber auch Eros herrscht, die zu ein¬
ander gewandten Seelen reißen un der Kette; vergeblich, sie sind allzu
bedingt, unbewußt bejahen sie ihre Einsamkeit. — So auch muß man
die Rolle des Todes in diesen Dichtungen verstehen. Nicht der
heroische, nicht der religiöse Tod wird geschaut, nicht der notwendige
Tod, in den sich der Mensch nach den Worten des alten Testaments
„gesättigt an Leben“ ergibt, nicht der Tod, der nur eine durchbrochene
Larve bedeutet!! — Von den Schnitzlerschen Menschen wird der Tod,
das Vergehen, das Aufhören gefürchtet, weil Lieben und Geliebt¬
werden ihnen niemtals erschöpfend gelingt, weil der unendliche Vor¬
halt nicht aufgelöst ist, die Melodie ihre Kadenz nicht fand, auf Kind¬
stufe der Erps stehen geblieben, der Stand der Sehnsucht nicht über¬
schritten ward.
Schnitzler sieht nicht — wie ihm seit manchem Jahrzehnt die
Kritik nachsagt — den Tod als Arzt; er sieht ihn als Ethiker. In
dem vielleicht unbewußten System seiner Weltanschauung bedeutet
Tod die Strafe für Einsamkeit.
Des Dichters Frauengestalten sind im Gegensatz zu seinen Männer¬
figuren das heroische Element des Werks. Die Frau, als die dem
Leben Nähere, durchbricht zuweilen die Mauer der Vereinsamung,
sie erliegt dem Ruf des Lebens, sie verliert ihr Ich an die Liebe.
Ich denke hier vor allem an Schnitzlers herrliche Novelle: „Die
Hirtenflöte.“ Das Weib ist das eudämonische Prinzip, und es klingt
unter dem Spiegel all dieser Schriften, trotz Zweifels und analyti¬
scher Schärfe, ein verborgener Hymnus an die einsamkeitsvernich¬
tende Kraft des Weibes mit.
Schnitzler arbeitet mit den antipathetischen, ametaphysischen, un¬
parteiischen Mitteln seiner Generation, dennoch empfinde ich ihn vor
allem als Ethiker. — Für einen tieferen Blick zeigt er immer wieder
ein und dieselbe Leidenssituation: „Den einsamen Weg“, die Ver¬
schüldung am Leben, die Todesang
haben“.
So ist er der dichterisch größe,
eingestandenen Schuldgefühls der bi
lich hohes, künstlerisch ungemein prä
Werk lebt und wird leben. — Abe
Sképfis und Ironie tief gelitten hät
zu den Menschen, die weiterschreiten
Wer je in die blauschönen, leid
nunmehr Sechzigjährigen, in diese
weiß, daß noch in manchem Werk de
Lösung seiner Musik schenken wird,
lange ticht sein strählendes Ziel gef
Schnitzlers Theaterstücke sind voll
um zu fesseln, zu beschäftigen, zu u
zu überraschen; sie tun dem Augen
nachträglich das Gemüt und die
Handlung und ihr Dialog beschwit
Charaktere sind vorzüglich erfünden
dienen doch nur dem Ganzen. W
Bühne sieht, hat man das Gefühl:
ist auf den Brettern zu Häuse und
durch das Theater zu wirken.
Schnitzlers Erzählungen sind leben
das nötige Détäil, aber nie zuviel da
die Psychvlögie dietik nur dazu, der
reizenden Rhythmus bald zu verlan
sie stecken voll Beöbachtung, aber
eigentlichen Reiz der Erzählung unte
fühl, daß sie von einem Mann herr
das Talent des Erzählers kürzer vo
zählungen ist. In beiden Förmen:
durchaus ein Künstler, und wär es
ein erstaunlicher Gedanke, daß die k
einer erfundenen Figur „Anatol“,
und über Eurspa hinaus geläüfig it
vollkommen reife und meisterhafte
waren, womit er vor so vielen Jahr
Ihm sind alle Instrümente zu Di
erfahrenen und sehr nachdenklichen K
selbst den scheinbar unergiebigen St#
der Materie ihren inneren Reichtüm
braucht er mit größerer und reizvol
Je kühner er diese anwendet, je 1
Motive mit ihr in die Enge treibt,
weise sein geistiger Horizont. Sö
„Liebelei“, die eine Arbeit von gan
kleinen Kunstwerke — Erzählunge
Zauber der Ironie als die größten
nicht nur die Andeutung inne, d
Welten mehr von der Welt weiß, a
ein gewöhnlicher Reflex aller Iron
sondere: man ahnt, er hätte noch i
zu geben, als ihm bisher zu geben
Unter diesen Umständen kann man
Menschen sprechen, denn es ist du
von einem Teil seiner Kräfte noch
macht und auch einen Teil seiner
oder verborgen hat.
Both Birt au box 39/3
Arthur Schnitzler
zu seinem sechzigsten Geburtstag.
Das Maiheft der „Neuen Rundschau“ (Verlag
S. Fischer, Berlin), das als Schnitzler=Heft er¬
scheint, vereinigt die Glückwünsche von zeitgenössischen
Schriftstellern zum sechzigsten Geburtstag des Dichters
am 15. Mai. Wir können bereits heute aus den Bei¬
trägen, von denen wir Auernheimer, Bahr, Blei, Ger¬
hart Hauptmann, Hollaender, Kerr, Heinrich und
Thomas Mann, Wassermann und Stefan Zweig nennen,
die von Franz Werfel und Hugo v. Hofmannsthal
Die Red.
bringen.
Wie schwer ist es, und zumal auf kargem Raum, über einen
Dichter etwas auszusagen, was vor dem inneren Wahrheitssitn be¬
stehen kann. Wie alles Lebendige, wie jeder Organismus erregt ein
Gedicht tausend Gedanken. Assoziationen, Erkenntnisse, es wechselt
mit dem Lichte der Stunden, Jahreszeiten und Lebensalter Farbe und
Gesicht, es ist unfaßbar. Wer getraute sich, den nächsten Meiischen,
der mit ihm das Leben teilt, zu deuten?? Und vor dem geheimnis¬
vollen ewigen Wachstum eines Kunstwerks haben so viele die kecke
Stirne der Definition! — Daß aber ein Werk. umfriedet von den
Seiten des Buchs, sich verwändeln kann und immer wieder neue
Züge trägt, ist eben ein Zeichen, daß es Organismuts ist, Gedicht!
Ein Meister, wie Arthur Schnitzler, ist unter den Deutschen ein
höchst seltener Fall. Schnitzler ist in unserm heutigen Schriftium
gewiß der einzige Vertreter der Latinität. Unter diesem Wort ver¬
stehe ich im Gegensatz zu allem Ausladenden, Verzweigten, Roman¬
tischen, Erziehungsromanhaften, die Kunst der klaren, geschmeidigen
Linie. Die Novellen und Einakter Schnitzlers vor allem zeigen die
Schärfe des nicht malenden, sondern zeichnerischen Menschen, des
Künstlers, dem die notwendige unbeirrbare Abwickelung, die rapide
Logik höherer Schaffensrausch ist, als Ueberraschung und Verweilen
während des Weges. Ich nenne hier Novellen wie „Leutnant Guste“,
„Die Toten schweigen“. „Die Hirtenflöte“, die Dramen „Der grüne
Kakadu“, Die letzten Masken“, „Literatur“ Komtesse Mizzi“. — In
diesen Werken herrscht eine großartige Nüchternheit, die erschüttert,
weil sich hinter ihr die Scham einer starken Moralität verbirgt. Es
ergreift uns die fast pedantische Geste eines Mannes, der mit be¬
wußter Wortblässe und einem akkuraten kalten Vortrag die Leiden¬
schaft seines Anges Lügen straft. Hierin ist Schnitzler mit Lessing zu
vergleichen, ja in seiner Freude an der rationalen Lösung des Spiels
nimmt er eine Richtung der deutschen Poesie wieder auf, die mit
Lessing abbricht. Bewundernswert ist des Meisters Formensinn, sein
Takt, sein Gefühl für Gleichgewichtsverteilung, für Steigerungen
und Pausen. Diese gelungenen Maße allein schon bereiten dem Leser
der Novellen die seltene ästhetische Befriedigung: dies ist richtig. —
Aber in diesen menschlichen Tugenden der Form bewährt sich nur
der Meister und sein reiner Wille. Tiefer bewährt sich der Dichter.
Was ist das zentrale Gefühl dieses Dichters, was die Quelle
seines Schaffensdrangs, sein Urkonflikt, seine tragische Problematik,
sein Wesensnerv, sein Abgrund, aus dem Erkenntnis und Bekenntnis
aufsteigt? — Soweit aus den Geheimnissen eines künstlerischen
Werkes die Lösung dieser Frage versucht werden darf, möcht ich dies
antworten: Wesensnerv ist die uneingestandene, bange, leidenschaft¬
liche Sehnsucht zu lieben und geliebt zu werden. In der Welt
Schnitzlers herrscht eine fatale Einsamkeit, eine prädestinierte Be¬
ziehungslosigkeit der Seelen. Aber auch Eros herrscht, die zu ein¬
ander gewandten Seelen reißen un der Kette; vergeblich, sie sind allzu
bedingt, unbewußt bejahen sie ihre Einsamkeit. — So auch muß man
die Rolle des Todes in diesen Dichtungen verstehen. Nicht der
heroische, nicht der religiöse Tod wird geschaut, nicht der notwendige
Tod, in den sich der Mensch nach den Worten des alten Testaments
„gesättigt an Leben“ ergibt, nicht der Tod, der nur eine durchbrochene
Larve bedeutet!! — Von den Schnitzlerschen Menschen wird der Tod,
das Vergehen, das Aufhören gefürchtet, weil Lieben und Geliebt¬
werden ihnen niemtals erschöpfend gelingt, weil der unendliche Vor¬
halt nicht aufgelöst ist, die Melodie ihre Kadenz nicht fand, auf Kind¬
stufe der Erps stehen geblieben, der Stand der Sehnsucht nicht über¬
schritten ward.
Schnitzler sieht nicht — wie ihm seit manchem Jahrzehnt die
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dem vielleicht unbewußten System seiner Weltanschauung bedeutet
Tod die Strafe für Einsamkeit.
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figuren das heroische Element des Werks. Die Frau, als die dem
Leben Nähere, durchbricht zuweilen die Mauer der Vereinsamung,
sie erliegt dem Ruf des Lebens, sie verliert ihr Ich an die Liebe.
Ich denke hier vor allem an Schnitzlers herrliche Novelle: „Die
Hirtenflöte.“ Das Weib ist das eudämonische Prinzip, und es klingt
unter dem Spiegel all dieser Schriften, trotz Zweifels und analyti¬
scher Schärfe, ein verborgener Hymnus an die einsamkeitsvernich¬
tende Kraft des Weibes mit.
Schnitzler arbeitet mit den antipathetischen, ametaphysischen, un¬
parteiischen Mitteln seiner Generation, dennoch empfinde ich ihn vor
allem als Ethiker. — Für einen tieferen Blick zeigt er immer wieder
ein und dieselbe Leidenssituation: „Den einsamen Weg“, die Ver¬
schüldung am Leben, die Todesang
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So ist er der dichterisch größe,
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lich hohes, künstlerisch ungemein prä
Werk lebt und wird leben. — Abe
Sképfis und Ironie tief gelitten hät
zu den Menschen, die weiterschreiten
Wer je in die blauschönen, leid
nunmehr Sechzigjährigen, in diese
weiß, daß noch in manchem Werk de
Lösung seiner Musik schenken wird,
lange ticht sein strählendes Ziel gef
Schnitzlers Theaterstücke sind voll
um zu fesseln, zu beschäftigen, zu u
zu überraschen; sie tun dem Augen
nachträglich das Gemüt und die
Handlung und ihr Dialog beschwit
Charaktere sind vorzüglich erfünden
dienen doch nur dem Ganzen. W
Bühne sieht, hat man das Gefühl:
ist auf den Brettern zu Häuse und
durch das Theater zu wirken.
Schnitzlers Erzählungen sind leben
das nötige Détäil, aber nie zuviel da
die Psychvlögie dietik nur dazu, der
reizenden Rhythmus bald zu verlan
sie stecken voll Beöbachtung, aber
eigentlichen Reiz der Erzählung unte
fühl, daß sie von einem Mann herr
das Talent des Erzählers kürzer vo
zählungen ist. In beiden Förmen:
durchaus ein Künstler, und wär es
ein erstaunlicher Gedanke, daß die k
einer erfundenen Figur „Anatol“,
und über Eurspa hinaus geläüfig it
vollkommen reife und meisterhafte
waren, womit er vor so vielen Jahr
Ihm sind alle Instrümente zu Di
erfahrenen und sehr nachdenklichen K
selbst den scheinbar unergiebigen St#
der Materie ihren inneren Reichtüm
braucht er mit größerer und reizvol
Je kühner er diese anwendet, je 1
Motive mit ihr in die Enge treibt,
weise sein geistiger Horizont. Sö
„Liebelei“, die eine Arbeit von gan
kleinen Kunstwerke — Erzählunge
Zauber der Ironie als die größten
nicht nur die Andeutung inne, d
Welten mehr von der Welt weiß, a
ein gewöhnlicher Reflex aller Iron
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zu geben, als ihm bisher zu geben
Unter diesen Umständen kann man
Menschen sprechen, denn es ist du
von einem Teil seiner Kräfte noch
macht und auch einen Teil seiner
oder verborgen hat.