VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 176

6oth Birthdag box 39/3

Man hat Schnitzler oft
1 Puppenspiel des Lebens, das die Wiener Volksstücke mit unbewußter Ironie
darstellten, das bei ihm aber mit einem skeptischen Künstlertum geschildert] zu eng begrenzt seien. Tats
Mher Sahiter. 6.
guren und Situationen, die si
wird. Das Schicksäl spielt mit uns, wir spielen unser Leben: „Es fließen
holen. Da ist die Stellung
ineinander Traum und Wachen, Wahrheit und Lüge. Sicherheit ist nir¬
/0 Zu seinem 60. Geburistag, 15. mal.
süßen Mädel“ und der ver#
gends. Wir wissen nichts von andern, nichts von uns. Wir spielen alle,
Von
hältnis in der Ehe, da sind
wer es weiß, ist klug“, heißt es in seinem tiefsinnigen „Paracelsus“. „Das
(Nachdruck verboten.]
der Liebe kurze Seligkeit un
Leben — ein Traum“, dies Grillparzer=Motiv wird von Schnitzler in viel¬
Dr. Paul Landau.
fachen Wandlungen und Spiegelungen ausgenommen, ebenso wie die Ver¬
und das Grauen vor dem Al
schmelzung von Liebe und Tod aus „Des Meeres und der Liebe Wellen“.
Leitmotive schon in seinen
Arthur Schnitzler wird 60. Der Dichter der müden, überreisen
Kunst und Natur gehen ineinander über, und das Leben in der Phan¬
„Liebelei“ reich und dichteri
Jvgend, der so früh die Tragik der Alterns, den „einsamen Weg“ ins
tasie ist ost wirklicher als das reale Leben. Daher seine Verehrung, ja
so berüchtigten Szenenfolge,
Leere, ins Nichts geschildert, hat all die Empfindungen und Erlebnisse des
Ueberschätzung des Künstlers, sein Aesthetentum, daher aber auch die In¬
ters seinen stärksten Ausdruch
absinkenden Lebens vorweg genommen, so daß er uns heut' im gauen Haar
brunst, mit der das Formale gegeben ist. In der Feinheit und Grazie
tanz der Liebe“ dessen Mol
nicht viel älter erscheint als in fernen blühenden Tagen. Schnitzlere letzte
seines Stils folgt Schnitzler ebenfalls den besten heimischen Mustern, und
„Die Wollust der Kreaturen“
Werke hatten etwas Zeitloses, Unpersonliches. Der unbestrittene Führer der
manches aus seiner letzten Prosa gemahnt an Stifters Erzählenskunst.
dramen, die nun folgen, wid
„Wiener Schule", dieser Klassiker des Impressionismus, sieht heute, in den
Aus seinem Wienertum heraus wurde der Dichter zu dem bezeich¬
Tagen des „sterbenden Wien“, des sieghaften Expressionismus, fremd in
höher stehende Fortsetzung in
nendsten Vertreter des Impressionismus. Da er nur die Empfindung des
einer ihm fremden Welt. Er spielt noch die alten Melodien, die melancho¬
weite Land“, die der i
Augenblicks anerkennt, sich allein an den flüchtigen Adglanz des Lebens, an
kischen Klänge eines raschen Lebensgenusses, einer bitteren Seligkeit, aber
vorhalten. Hier erliegt der #
den Mummenschanz' verhuschender Schatten klammert, so wußte er in das
sie tönen etwas leer, leise, wie fernverweht. Schnitzler ist an seinem 60. Ge¬
Spannkraft entbehrt, bisweile
Momentane den stärksten Inhalt zu legen. Seine beiden ersten bedeuten¬
burtstag schon historisch geworden und als den Vertreter einer abgeschlos¬
die ihm am besten im „Gr
deren Arbeiten, der Einakterzyklus „Anatol“ und die Novelle „Ster¬
senen Epoche, als den Meister eines vollendeten Stils dürfen wir ihn
neuesten Berufsstücke, das vic
ben“, drängen bereits in einzelne Augenblicke ganze Welten des Er¬
hardi“ und die mißlungene
würdigen.
lebens. Das impressionistische Drama hat kein höheres Kunstwerk aufzu¬
busch“ sind reine Theaterst#
Die Wiener Dichtung wird stets in der Literaturgeschichte des letzten
weisen als Schnitzlers „Einsamen Weg“, in dem man auch wohl sein
Vierteklahrhunderts eine bedeutende Stelle einnehmen, sie ist ja nicht nur mit
Werken „Der Schleier
bestes Werk sehen darf. Hier entfaltet sich eine Kunst der Halbtöne, der
dardus“, die zur „großen
den Schlagworten vom „Wiener Walzer“ und „süßen Mädel“ zu er¬
feinen Valeurs, eine silbergraue, von schweren Farben matt durchleuchtete
schöpfen, sondern sie hat dem trüben und sachlichen norddeutschen Naturalis¬
noch die dramatische Architek
Herbststimmung ist über das Ganze gebreitet, und die Tragik des Alters,
mus erst Anmut verliehen, Weichheit, Feinheit, Musik. Und der bezeichnende
Szenen besonders der „Sch
die hier angeschlagen wird und bei Schnitzler immer wiederkehrt, ist die
Künstler dieser „Wiener Schule“ schlechthin ist Schnitzler, nicht etwa Hof¬
Einzelheiten, und überhaupt
eigentliche Tragik des impressionistischen Menschen, der stets die Stunde
mannsthal, der viel internationaler ist und mit seinem fabelhaften Form¬
manchen Einaktern, in einze
genossen hat und sich nun einsam sieht mit den Schemen seiner Erinnerung.
talent die verschiedenartigsten Stile neu zu beleben weiß. In Schnitzler
zuletzt das Casanova=Dramh
Die Wirrungen und Wandlungen der Seele, die „ein weites Land“ ist,
findet umalte Wiener Tradition ihre letzte Verseinerung, ihren vollen Aus¬
Jahresfrist in Königsbe
beschäftigen Schnitzler hauptsächlich, der als Arzt ein scharfer Beobachter
klang. Viel mehr als das Vorbild der Franzosen, wie Donnag und La¬
mit seiner prächtigen Nokoko¬
und sich mit Psychologie nicht nur als Künstler, sondern auch als Ge¬
vedan, oder Ibsens, sollte man diese heimischen Einflüsse betonen. Sein
Schnitzler ist ein Mei
lehrter beschäftigt hat. In einem eigenen Buch ist von Theodor Neik auf
Haupimotiv, die schaurigeschöne Verschwisterung von Liebesgenuß und
er braucht jemanden, der ihr
die Beziehung unseres Dichters zu der Psychoanalyse Freubs hingewiesen
Todesnähe, ist der eigentliche Stimmungsfaktor des Barock, das nicht nur
eristik ist zu subtil und episch,
worden, der sein engster Wiener Landsmann ist und mit dem er sich auch
in der Kunst Fischer von Erlachs, sondern auch im österreichischen Jesuiten¬
bekommen. Als Novellist h#
in seinen wissenschaftlichen Arbeiten über Hypnose und Suggestion berührte.
Frama seine Höhe erreichte, und die stets wiederkehrende Situation bei
„Leutnani Gustl“ an
Schnitzler, der Rausch der Liebe im Angesicht des Todes, ist nur ein
Schnitzler ist in seinen Dichtungen von verhältnismäßig einfachen Gefühlen,
kurz und reicht nicht zum R.
müder Nachhall jener starken Barock=Kontraste, die hier zu einer schmerzlich
auf denen sich sein bekanntestes Drama „Liebelei“ aufbaute, zu immer
Wegins Freie“ vielleich
stillen Harmonie verschmelzen Aber nicht nur dies eine Motiv, sondern
komplizierteren seelischen Beziehungen und Rätseln fortgeschritten, er dringt
Werk. Es ist ein Bekennt
seine ganze Lebenshaltung ist typisch österreichlsch. Es ist jenes Gehen¬
tief in die Welt des Unbewußten, der verdrängten Gefühle und gestaltet
und als Oesterreicher mit de
lassen, das im Postlied des „lieben Augustin“ erklingt: „'s ist mir alles
echt Freundsche Probleme, wie in der Novelle „Frau Beate und ihr
ringt. Gehört auch der Di
eins“, es ist das Genießen des Augenblicks, das nicht nach dem Morgen
Sohn“. Aber so wichtig diese tief bohrende und zergliedernde Analyse
der Vergangenheit an, der
fragt, wie es schon Abraham a Santra Clara an seinen Wienern tadelte.
für seine Kunst ist, so darf man sein Werk doch nicht, wie es Reik getan
lichen — Ewigmenschlichen
Schnitzler ist ein geradezu sanatischer Versechter des Glaubens, daß der
hat, einseitig an der Freundschen Methode messen, sondern muß betrachten,
Mensch nichts tun kann gegen sein Schicksal, daß er unfrei ist, eine Puppe
in der Hand eines unsichtbaren Drahtziehers. Es ist dies lustig=traurige was er aus diesem reichen plochologischen Materiol lebendig gestaltet hat.