VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 177

box 39/3
B
6othSirthday
S
Man hat Schnitzler oft vorgeworsen, daß seine Welt und seine Stoffe
Puppenspiel des Lebens, das die Wiener Volksstücke mit unbewußter Ironie j.
zu eng begrenzt seien. Tatsächlich sind es nur ganz wenige Motive, Fi¬
darstellten, das bei ihm aber mit einem skeptischen Künstlertum geschildert
7
guren und Situationen, die sich bei ihm in seinen Variationen stets wieder¬
wird. Das Schicksäl spielt mit uns, wir spielen unser Leben: „Es fließen
holen. Da ist die Stellung des Mannes zwischen zwei Frauen, dem
ineinander Traum und Wachen, Wahrheit und Lüge. Sicherheit ist nir¬
Moi.
„süßen Mödel“ und der verheirateten Dame, da ist das „dreieckige“ Ver¬
gends. Wir wissen nichts von andern, nichts von uns. Wir spielen alle,
hältnis in der Ehe, da sind die beiden Freunde, die beiden Gegner, da ist
wer es weiß, ist klug“, heißt es in seinem tiessinnigen „Paracelsus“. „Das
der Liebe kurze Seligkeit und lange Qual, ist die Hoffnung auf das Kind
Leben — ein Traum“, dies Grillparzer=Motiv wird von Schnitzler in viel¬
und das Grauen vor dem Alter, ist Duell und Tod. Schnitzler schlägt diese
fachen Wandlungen und Spiegelungen ausgenommen, ebenso wie die Ver¬
Leitmotive schon in seinen ersten Dichtungen an, hat sie in „Anatol“ und
müden, überreisen
schmelzung von Liebe und Tod aus „Des Meeres und der Liebe Wellen“.
„Liebelei“ reich und dichterisch entwickelt. Im „Reigen“, dieser heum
nsamen Weg“ ins
Kunst und Natur gehen ineinander über, und das Leben in der Phan¬
so berüchtigten Szenenfolge, hat der erotische Pessimismus des jungen Dich¬
und Erlebnisse des
tasie ist ost wirklicher als das reale Leben. Daher seine Verehrung, ja
ters seinen stärksten Ausdruck gefunden, es ist ein melancholischer „Toten¬
t' im gauen Haar
Ueberschätzung des Künstlers, sein Aesthetentum, daher aber auch die In¬
tanz der Liebe“, dessen Motto das Wort Meister Eckhards sein könnte:
Schnitzlere letzte
brunst, mit der das Formale gegeben ist. In der Feinheit und Grazie
trittene Führer der
seines Stils folgt Schnitzler ebenfalls den besten heimischen Mustern, und
„Die Wollust der Kreaturen“ ist vermengelt mit „Bitterkeit“. Die Tendenz¬
manches aus seiner letzten Prosa gemahnt an Stifters Erzählenskunst.
steht heute, in den
dramen, die nun folgen, widmen sich der Gesellschaftskritik und finden ihre
Aus seinem Wienertum heraus wurde der Dichter zu dem bezeich¬
pnismus, fremd in
höher stehende Fortsetzung in Werken wie „Zwischenspiel“ und „Das
dien, die melanho¬
nendsten Vertreter des Impressionismus. Da er nur die Empfindung des
weite Land“, die der modernen Gesellschaft wirklich einen Sittenspiegen
ren Seligkeit, eber
Augenblicks anerkennt, sich allein an den flüchtigen Abglanz des Lebens, an
vorhalten. Hier erliegt der Dichter, dessen passive Skepssis der dramatischen
an seinem 60. Ge¬
den Mummenschanz' verhuschender Schatten klammert, so wußte er in das
Spannkraft entbehrt, bisweilen dem Stieben nach rein theatralischer Wirkung,
er einer abgeschlos¬
Momentane den stärksten Inhalt zu iegen. Seine beiden ersten bedeuten¬
die ihm am besten im „Grünen Kakadu“ gelungen ist. Auch seine
s dürfen wir ihn
deren Arbeiten, der Einakterzyklus „Anatol“ und die Novelle „Ster¬
neuesten Berufsstücke, das vielgespielte Aerztedrama „Professor Bern¬
ben“, drängen bereits in einzelne Augenblicke ganze Welten des Er¬
hardi“ und die mißlungene Journalistenkomödie „Fink und Flieder¬
lebens. Das impressionistische Drama hat kein höheres Kunstwerk aufzu¬
geschichte des letzten
busch“ sind reine Theaterstücke. Größere Aufgaben stellte er sich in den
weisen als Schnitzlers „Einsamen Weg“, in dem man auch wohl sein
ist ja nicht nur mit
Werken „Der Schleier der Beatrice" und „Der junge Me¬
bestes Werk sehen darf. Hier entfaltet sich eine Kunst der Halbtöne, der
n Mädel“ zu er¬
dardus“, die zur „großen Tragödie“ hinstrebten. Aber weder die Historie
deutschen Naturalis¬
feinen Valeurs, eine silbergraue, von schweren Farben matt durchleuchtete
noch die dramatische Architektonik sind seine starke Seite. So wundervolle
Und der bezeichnende
Herbststimmung ist über das Ganze gebreitet, und die Tragik des Alters,
Szenen besonders der „Schleier der Beatrice“ enthält, es sind doch nur
die hier angeschlagen wird und bei Schnitzler immer wiederkehrt, ist die
er, nicht etwa Hof¬
Einzelheiten, und überhaupt leistet er sein Höchstes in kleinen Werken, in
fabelhaften Form¬
eigentliche Tragik des impressionistischen Menschen, der stets die Stunde
manchen Einaktern, in einzelnen Akten, in subtilen Details, wie sie noch
heiß. In Schnitzler
genossen hat und sich nun einsam sieht mit den Schemen seiner Erinnerung.
zuletzt das Casanova=Drama („Casanova in Spa“, das etwa vor
ihren vollen Aus¬
Die Wirrungen und Wandlungen der Seele, die „ein weites Land“ ist,
Jahresfrist in Königsberg seine reichsdeutsche Uraufführung erlebte)
eDonnag und La¬
beschäftigen Schnitzler hauptsächlich, der als Arzt ein scharfer Beobachter
mit seiner prächtigen Nokoko=Ornamentik enthält.
üsse betonen. Sein
ist und sich mit Psochologie nicht nur als Künstler, sondern auch als Ge¬
Schnitzler ist ein Meister des Dialogs, der sein geschliffenen Pointe;
Liebesgenuß und
lehrter beschäftigt hat. In einem eigenen Buch ist von Theodor Neik auf
er braucht jemanden, der ihm „die Stichworte bringt“, aber seine Charakte¬
grock, das nicht nur
die Beziehung unseres Dichters zu der Psychoanalyse Freubs hingewiesen
wristik ist zu subtil und episch, so daß seine Dramen leicht etwas Novellistisches
erreichischen Jesuiten¬
worden, der sein engster Wiener Landsmann ist und mit dem er sich auch
bekommen. Als Novellist hat er von seinen Jugendsachen „Sterben“ und
ende Situation bei
in seinen wissenschaftlichen Arbeiten über Hypnose und Suggestion berührte.
„Leutnani Gustl“ an viel Feines geschaffen; sein epischer Atem ist aber
Todes, ist nur ein
Schnitzler ist in seinen Dichtungen von verhältnismäßig einfachen Gefühlen,
kurz und reicht nicht zum Roman. Trotzdem ist sein einziger Roman „Der
zu einer schmerzlich
auf denen sich sein bekanntestes Drama „Liebelei“ aufbaute, zu immer
Wegins Freie“ vielleicht sein bedeutendstes, jedenfalls sein persönlichstes
eine Motiv, sondern
komplizierteren seelischen Beziehungen und Rätseln fortgeschritten, er dringt
Werk. Es ist ein Bekenntnisbuch großen Stils, in dem er als Halbjude
Es ist jenes Gehen¬
tief in die Welt des Unbewußten, der verdrängten Gefühle und gestaltet
und als Oesterreicher mit den ewigen Problemen der Rasse und des Volkes
t: „'s ist mir alles
echt Freundsche Probleme, wie in der Novelle „Frau Beate und ihr
ringt. Gehört auch der Dichter des Impressionismus und des alten Wien
nach dem Morgen
Sohn“. Aber so wichtig diese tief bohrende und zergliedernde Analyse
der Vergangenheit an, der Mensch Schnitzler wird in seinem Allzumensch¬
hen Wienern tadelte.
für seine Kunst ist, so darf man sein Werk doch nicht, wie es Reik getan
lichen — Ewigmenschlichen stets lebendig bleiben und uns ergreifen
Glaubens, daß der
hal, einseitig an der Freundschen Methode messen, sondern muß betrachten,
Ifrei ist, eine Puppe
dies lustig=traurige was er aus diesem reichen psychologischen Material lebendig gestaltet hat.