VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 184


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Stempel. Er hat das Leichte, Unbeschwerte vieler Franzosen.
fährten“ das herrliche Schauspiel „Der Schleier der Beatrice",
Nicht nur die Frauen Wiens, auch die Dichter fühlen sich
enschenalters auf dem
die vier Einakter „Lebendige Stunden“ für die er 1903 den
denen von Paris am nächsten. Aber dieser Causeur, dieser vor¬
Bauernfeldpreis erhielt, das Schauspiel „Der einsame Weg“
treffliche Dialogschreiber, war nie ein leichtfertiger Plaude¬
die Komödie „Zwischenspiel“, das Schauspiel „Der Ruf des
len unsere eigenen Stücke,
rer; vielmehr ein rechter Künstler. Kein Revolutionär, der
Lebens“, für das ihm 1908 der Grillparzerpreis zuteil ward,
irig, die Komödie unserer
aufpeitscht; vielmehr ein stiller Kopf, der leicht spöttelt, ohne
die drei Einakter „Marionetten“, die Komödie „Komtesse
je den Ernst dieses Daseins zu vergessen. Denn über allem
Seele,
Mizzi, oder: Der Familientag“, das Schauspiel „Deutsche
Leichten, Heiteren dieser kleinen und doch so reichen Welt
Kolonisten“, die dramatische Historie „Der junge Medardus“
sstern, böser Dinge hübsche
liegt etwas Dunkles, Schweres, nun — man möchte sagen —
die Tragikomödie „Das weite Land“ usw. usw. Auch Novellen
Formel,
lockende Melancholie.“
und Romane hat Schnitzler veröffentlicht, so 1894 die No¬
bes heimliches Empfinden,
Man darf auch eines bei dem Vorwurf der Frivolität
velle „Sterben“, kleine Novelletten „Die Frau des Weisen“.
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nicht vergessen: Schnitzler ist Arzt. Als Arzt aber ist er
sodann „Frau Bertha Garlan“ „Die griechische Tänzerin“,
gewöhnt, die Finger auf das faulige Geschwür zu legen; er
den Roman „Der Weg ins Feie“, die Novellen „Masen und
orte hatte Hugo von Hof¬
ist gewöhnt, auch jedes Ding beim rechten Namen zu nennen.
Wunder“.
tling Schnitzlers als Pro¬
Ein Arzt kennt kein kleinliches Genieren und Verbergen.
gewissermaßen zum künst¬
Unmöglich, alle diese Werke im einzelnen hier zu
Und Schnitzler hat, wie gesagt, auch als Dichter niemals den
für alle seine Dichtungen.
charakterisieren. Sein dichterisches Schaffen wurzelt ganz
Arzt verleugnen können. Er diagnostiziert auch in seinen
Lebenswärme in Schnitz¬
im Wienerischen. Schnitzler ist nicht nur von Geburt und
dichterischen Schöpfungen schonungslos. Aber er hat auch für
durch sein aus Humor und
Erziehung Wiener, er ist's auch aus innerster Neigug. Er
alles ein mildes Verstehen und Verzeihen. Dieser Vorzug ist
ragischer Verzweiflung zu¬
ist der dichterische Schöpfer der süßen Wiener Mädels, in
ihm zum Verderben geworden, hat ihm den Vorwurf ders
klei“ den breitesten Massen
allen seinen Schattierungen. Er hat es als Seelenforscher
Frivolität zumeist eingetragen. Frivol kann aber nur der
sekannt wurde. In diesem
eingehend studiert und mit dem zweiten Gesichte des dichters
sein, der aus Liebe zum Leichtfertigen sich mit diesem vors
mit besonderer Stärke der
seine ganze Süßigkeit auch da aufgezeigt, wo weniger tief¬
allem abgibt. Diese Vorliebe könnte vielleicht scheinbar vor¬
blickende Menschen nur die angefaulte Oberfläche erblicken
handen sein. Dem Arzt mußten sich wohl vor allem jene
lück, je nachdem in den
Dinge ungesucht enthüllen die dem anderen wohl ganz ver¬
würden.
plaudernde Dichter oder der
borgen bleiben, wenn er sie nicht aufsucht. Ueberblickt manz
Dabei kommen wir nun zu dem Hauptvorwurf, der dem
Schnitzler dann mit zahl¬
das ganze Schaffen Schnitzlers, so wird man jene Vorliebe
Dichter des „Reigen", lange bevor der Kampf un den
ichkeit, deren Fülle, neben
nicht wahrnehmen. Und daß er ein liebevoller und milder
„Reigen“ begann, gemacht worden ist. Man hat schon dem
rzt, entstanden, schon allein
Richter aller Menschlichkeiten ist, wird man einem Dichter
Dichter des „Anatol“ den Vorwurf der Frivolität, der Leicht¬
Wir verzeichnen hier nur
fertigkeit gemacht. „Nichts Törichteres,“ so sagt Bilhelm
„Das Vermächtnis“, die
1“, „Paracelsus", „Die Ge¬Herzog, „als diesen für den Anatol=Dichter herkönmlichen eher als Vorzug denn als Vorwurf nachsagen.
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