VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 185

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6oth Birthday box 39/3
Der sechzigjährige Arthur Schnitzler
Zum 15. Mai
von Ludwig Hirschfeld, Wien
mit einem Bildnis
EBER jeden anderen österreichischen einem Wort: ich empfinde ihn gar nicht als den Typus
des weltberühmten großen Dichters, zu dem man an¬
Zeitgenossen möchte ich lieber eine Ge¬
dächtig aufblicken muß, sondern als einen seltenen,
burtstagsbetrachtung schreiben. Weil
wunderbaren und liebenswerten Menschen, und auch
die andern bedeutender, interessanter,
aus seinem Werk spricht vor allem das Menschliche zu
charakteristischer sind? Keine Spur; ich
mir. Vielleicht gelingt es mir auf die Art den Geburts¬
wüßte nicht einen unter den österreichi¬
tagsspruch aufzusagen.
schen Zeitgenossen zu nennen, der
geistig und künstlerisch so bedeutend
K
und interessant, der für seine Zeit so
Schnitzler hat es mir einmal selbst gesagt, daß er
charakteristisch ist wie Arthur Schnitzler. Oder fällt
schon als neunjähriger Knabe zu „dichten“ angefangen
mir dieser Geburtstagsaufsatz deshalb so schwer, weil
hat: Theaterstücke, natürlich auch eine Römertragödie,
ich nicht genügend Verehrung und Bewunderung für
Komödien-, Possen- und sogar Operettenversuche.
ihn aufzubringen vermag? Auch das trifft nicht zu;
Dann kam die Jünglingszeit der Verliebtheit und der
wenn ich in meinem respektlosen Gemüt für einen
lyrischen Gedichte. Sie waren in der Form sehr hübsch,
meiner berühmten literarischen Landsleute überhaupt
teils ironisch, teils empfindsam, aber nicht von Schnitz¬
tiefersitzende Verehrung empfinden kann, so ist es
ler. In seiner frühzeitig kritischen und vorsichtigen Art
Schnitzler in seiner ganzen Art und Erscheinung als
hat er das meiste davon liegen lassen. Einige erschie¬
Dichter und Mensch. Der Aufsatz fällt mir wahrschein¬
nen in der „Schönen blauen Donau“, der belletristischen
lich nur deshalb so schwer, weil er für den 60. Ge¬
Sonntagsbeilage einer längst eingegangenen Wiener
burtstag bestimmt ist und weil mir gerade bei Schnitz¬
Tageszeitung, wo er auch allerlei Skizzen und Novellet¬
ler diese konventionelle Ehrung und Würdigung aus
ten veröffentlichte, von denen er später nur eine,
Anlaß einer runden Lebensziffer so wenig passend er¬
„Blumen“, in seine gesammelten Werke aufgenommen
scheint. Denn da stellen sich doch gewisse Klischee¬
hat. Sich der Literatur berufsmäßig zu widmen, daran
wendungen ganz von selbst ein. Ich muß unbedingt
dachte Schnitzler damals nicht. Er wurde Doktor der
sagen, daß Arthur Schnitzler am 15. Mai 1862 als Sohn
Medizin, Assistent seines Vaters, schrieb Fachaufsätze
eines berühmten Laryngologen in Wien geboren wurde,
für medizinische Zeitschriften und praktizierte eine
daß er selbst Arzt war und es auch in seinen Werken
Zeitlang. Außerdem soll er damals eine Art Lebemann
immer geblieben ist. Ich muß seine Werke samt den
gewesen sein, der auf seine nach Pariser Muster stili¬
dazugehörigen Jahreszahlen aufzählen und feststellen,
sierte Erscheinung, die blonde Locke, den spitzen Voll¬
welche die bedeutendsten und verbreitetsten sind.
bart, die breite schwarze Plastronkrawatte viel Sorg¬
Ferner werde ich nicht umhin können, vom süßen
falt verwendete. Damals: das war Anfang der neun¬
Mädel zu sprechen, von der Anmut des österreichischen
ziger Jahre, als sich um den aus Paris und Berlin zu¬
Barock, vom Wienerwald und vom Wiener Cottage.
rückgekehrten Hermann Bahr eine neue Literaturgruppe
Das alles ist so richtig und zutreffend, daß es bald nicht
bildete: das junge Wien. Es war eine liebenswürdige
mehr wahr sein wird. Ja, um Gottes willen, kann man
Ausgabe des Berliner Naturalismus, eine geistige Re¬
denn einen großen Dichter wirklich nicht anders ehren,
volution, die sich hauptsächlich im Café Griensteidl aus¬
als durch das gewissenhafte Winden eines Phrasen¬
lebte. Die erste bemerkenswerte Frucht dieser Be¬
straußes? Man kann schon, aber es ist sehr schwer.
wegung war Schnitzlers „Anatol“ eine. Reihe von
Besonders an Geburtstagen von sechzig aufwärts. Da
etwas ungleichwertigen Dialogeinaktern, in der Form
wird jede solche Betrachtung meistens zu einem Ne¬
noch merklich von den Franzosen beeinflußt, aber im
krolog für einen Lebendigen. Überhaupt scheint mir
Gefühl, in der Anschauung und Sprache auf einen ganz
Schnitzler, der die Aufmerksamkeit der Offentlichkeit
neuen Wiener Ton gestimmt. War Herr Anatol, der
immer nur mit seinen Werken, nie mit seiner Person.
leichtsinnige Melancholiker, der nachdenkliche Lebe¬
seiner Biographie in Anspruch genommen hat, das un¬
mann, der ironisch empfindsame Held von Separées
geeignetste Objekt für derlei Ehrungen und Würdigun¬
und Garçonwohnungen wirklich der junge Wiener von
gen zu sein. Er ist mir dazu viel zu lebendig, zu echt.
1890? Vielleicht ist gerade umgekehrt erst durch ihn in
zu einfach und natürlich, zu menschlich vornehm. Mit
Galerie Arnold: Kunst-Ausstellung
Schloßstraße 34
: Französische Graphik: Daumler, Manet. Lautrec
I Februar 1922: Franz Dreber, geb. 1822