VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 186


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frische der Gefühle und Motive, deren zwingende lapi¬
der Wiener Wirklichkeit ein neuer Typus entstanden.
dare Einfachheit Seimitzler später nie wieder er¬
Denn was Oskar Wilde paradox von den Präraphacli¬
reicht hat.
ten sagt, daß von ihren Bildern die englische Land¬
Jeder muß dafür bezahlen, wenn er gleich mit
schaft beeinflußt worden sei, das gilt vielleicht von
seinen ersten Werken Erfolg hat und berühmt wird.
allen neuen großen Kunstschöpfungen, und sicherlich
Schnitzler mußte es sich in den darauffolgenden zehn
hat Schnitzlers neue Art. das Wienerische aus¬
Jahren gefallen lassen, daß er der Dichter des süßen
zudrücken, eine ganze Generation lang auf die Sprache
Mädels, der tändelnde Erotiker, der spielerische Psy¬
und Gefühlsweise der Wiener Gesellschaftsmenschen
cholog blieb, einer Charnkteristik, der man in Witz¬
blättern wie in Literaturgeschichten bis zum Uberdruß

begegnete. Erst allmählich wurde ihm eine neue Lite¬
raturetikette zugebilligt; der Dichter der Sterbens¬
fragen und Todesprobleme. Denn er hatte mittlerweile
die novellistisch-klinische Schwindsuchtsstudie „Ster¬
ben“ veröffentlicht, das Duellproblemstück „Freiwild“
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und „Vermächtnis“, das Drama der ledigen Mutter.
Dann kehrte er wieder zur Einakterform zurück und

schrieb die „Lebendigen Stunden“ und den „Grünen
Kakadu“, lanter kleine Meisterwerke. Die kritischen
Zeitgenossen sagten freilich: das sind doch nur Ein¬
ükter, aber in ihrer geistigen und künstlerischen Kon¬
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zentration, ihrer noblen und reinen Gestaltung, in ihrer
inenschlichen Weisheit und Fülle wiegen sie manchen
berühmten Fünfakter auf.
Ich möchte wirklich nicht wie ein gewissenhafter
Literaturprofessor das Schaffen Schnitzlers schon jetzt
in Perioden einteilen, aber ich muß der Genauigkeit¬
halber doch feststellen, daß die Wendung zu schwer¬
blütigerem Ernst mit dem Versschauspiel „Der Schleier
der Beatrice“ beginnt, das übrigens merkwürdigerweise
in Wien nie gespielt wurde und erst später, von¬
Dolmanyi vertont, als Pantomime „Der Schleier der
Pierette“ über die Bühnen gegangen ist. Die Neigung,
abstrakte Grübeleien über die dämmernden scelischen
Dinge des Lebens anzustellen, nimmt im „Kufe des
Lebens“ und besonders in dem im Schatten lbsens sich
hinziehenden „Einsamen Weg“ mehr und mehr zu, in
dem der Herr v. Sala das für Schnitzlers ganze dich¬
terische Weltbetrachtung so charakteristische Wort
vom Sterben spricht: „Gibt es einen anständigen Men¬
schen, der in irgendeiner guten Stunde in tiefster Seele
Löwy, Wien
un etwas underes denkt?“ Fast alles, was Schnitzler
Arthur Schnitzler
seit diesem Schauspiel, also von seinem: fünfzigsten
Lebensjahr an geschrieben hat. ist gleichsam aus der¬
selben geistigen Wurzel entstanden. Das Motiv des
eingewirkt. Das bedeutsamste am „Anatol“ ist, daß
einsamen Alterns, das Experimentieren mit Liebe,
hier ein Stück Wien, das bis dahin nur Volksstück-.
Treue und Tod, die Skepsis gegenüber allem Pathos
Possen- und Coupletthema war, literaturfähig gemacht
kehren überall wieder. Mit Ausnahme der dramatischen
wurde. Auch die kleine alltägliche Erotik wurde hier
Historie „Der junge Medardus“ kommen in allen
zum erstenmal Gegenstand einer sachlichen und zu¬
Stücken des reifen Schnitzler Figuren vor, die irgend¬
gleich künstlerischen Untersuchung, und in der darauf¬
wie miteinander verwandt sind, aus der gleichen geisti¬
folgenden „Liebelei“ faßte Sehnitzler diese galanten
gen und gesellschaftlichen Sphäre stammen. Am deut¬
Vorstudien in tragischer Form zusammen. Das sübe
lichsten wird das im „Weiten Land“, das in seiner
Wiener Vorstadtmädel wurde zur Burgtheaterheldin:
wunderbar gegliederten und gesteigerten dramatischen
das war die erste große Tat des jungen Wien. Auch
die Größe dieses Schauspiels bestcht in seinen neu- Lebensfülle Schnitzlers bedeutendstes, aber noch viel
geschaffenen Wiener Typen, in der herben Jugend- zu wenig geschätztes Bühnenwerk ist. Es gibt keine
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