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6oth Zirthday
lichkeit verbunden ist. Schmerzliche Süße wird
fedrig, sie zittern in der Sanftheit und Vorsich¬
bei ihm leicht zur Entsagung.
tigkeit, mit der sie geformt sind.
Hat Schnitzler noch in seiner Frühzeit das
Der Jude ist in Oesterreich, besonders in
Leben und seine Zufälle und Nichtigkeiten leicht
Wien, viel heimatloser als eiwa in Deutschland.
genommen, so wird er mit der Reise der Man¬
Der galizische Typus verhindert das Einbür¬
nesjahre und dem zunehmenden Alter immer
gern des modernen Kulturjuden. Diese Hei¬
entsagungsvoller. Nicht mehr die freie Liebe ist
matlosigkeit bedeutet auch Wurzellosigkeit, die in
ihm Problem, sondern die viel kompliziertere
Schnitzlers Dichtungen bestimnte Merkmale
Ehe. Das Letzte, was bei Schnitzler dann übrig
seiner Kunst sehr scharf, übersdarf ausprägen.
bleibt, ist Resignation. Seine Dichtung wird
Er ist als Glaubensloser Skepiker. Nur mit
leiser. Im „Schleier der Beatrice“ hat er noch
der Ironie des kühl teilnehmenden, seine Ge¬
die Süße des Lebens spielerisch erscheinen las¬
fühle verbergenden Beobachters ann er die Be¬
sen. Jetzt leitet das Drama „Der einsame Weg“
ziehungen dieser Menschen zeichten. Ein Dich¬
auch für den Dichter einsame Stunden ein. Die
ter kann gottlos sein, er darf ncht glaubenslos
Flüchtigkeit der konventionellen Liebe, die Ver¬
sein; seine Welt muß irgendwehe seelische In¬
gänglichkeit lose gegründeter Erlebnisse wird
halte haben. Schnitzler schütteltden Kopf, weil
ihm immer deutlicher. Die Menschen finden
er alle diese feelischen Werte ür vergänglich
nicht mehr den Mut, zur großen Lebenslüge
hält. So kommen alle seine Fraen, und gerade
nein zu sagen. Er wendet sich zeitweise von der
die aus der großen, vornehme Welt, schlecht
Darstellung dieser vielfachen variierten Liebes¬
weg. Sie sind an Troddel verkiratet und be¬
schicksale überhaupt ab. Seine Komödie „Pro¬
trügen den Mann mit einem sichter, oder sie
fessor Bernhard“ ein reines „Männerstück“
lassen sich in noch gefährlichere Abenteuer ein.
sollte ein Zeit= und Problemstück des modernen
Bei Schnitzler ist die Liebe met mit Enttäu¬
Oesterreichs werden. Es wurde persönliches
schung verknüpft. Der vielbeschene „Reigen“
Bekenntnis mit einem bitteren Lächeln über Ju¬
sollte ja nichts anderes zeigen s die Enttäu¬
den und Antisemiten und zuletzt ehen doch nur
schung nach jenen Liebessituation, wie sie so
als Summe und Antwort aller Fragen: Ent¬
häufig sind. Der kühle Beobachr predigt, daß
täuschung und Entsagung. Diese Entsagung hat
in
aller Liebesgenuß schal und ödendet, wenn er
ihn auch an der großen deutschen Komödie ge¬
als Geschäft, nicht als seelischelngelegenheit
hindert. Denn auch der Komödiendichter bedarf
Schnitzler
r,
80
betrachtet und genommen wi.
des Glaubens, Bejahens, des ethischen Beteiligt¬
ahnte, daß er mißverstanden urde, und hat
seins. Und auch für seinen großen Roman
deshalb das Buch in einem entjenen Wiener
„Der Weg ins Freie“ brachte er nicht den Glau¬
1
Verlag herausgegeben und es aunicht in seine
ben an die Lösung der Fragen, die er sich stellte,
heti¬
gesammelten Werke übernommendaß gewissen¬
auf: der Roman verflüchtigt sich in viele kleine
Arzt,
lose Theaterdirektoren dann daszerk doch auf¬
scharfe Beobachtungen, in Festhaltungen von Zu¬
schen.
führten, gereicht eigentlich zunst dem Pu¬
ständen und Gefühlen, und über allem wieder
seger.
blikum, das in Massen hinlief, zilnehre. Wer
der einzige Glaube, der eigentlich eben ein Un¬
und
den ganzen Schnitzler kennt, wirden „Reigen“
glaube ist, der Glaube an die Alleinherrschaft
nie falsch deuten. Man muß ihnn allen Wer¬
des Kompromisses.
Seine
ken des Dichters zuletzt lesen.
einer
Auch das ist vielleicht eine ammeseigen¬
durch
Schnitzler hat die Kompliziertheit seiner Exi¬
schaft, daß dieses ganze glaubepse, inhalts¬
uns
stenz als Oesterreicher, Jnde und Intellektueller,
arme Leben seiner Menschen umll ihre Lie¬
die ihm leicht hätte zur persönlichen Lebens¬
beserlebnisse so viel Süßes in sicergen. Süße,
sehr
tragödie werden können, wie seinem Landsmann
die so schwer sich aufs Blut legt, dsie die Sinne
ndern
Weininger, überwunden durch die Flucht in
verwirrt und die Menschen sogats zum Ver¬
Da¬
weltmännische Entsagung. Seine Glaubenslosig¬
in nie brechen treibt, wie in „Frau ate und ihr
keit hält ihn von dem Eingang in das Reich
Sohn“. Und diese Süße wird sogänglich ge¬
Bewe¬
macht, weil sie doch auch mit sehsel Schmerz=I der ganz großen Dichter ab. Er ist Talent ge¬
hologe
ialoge
blieben, weil er nie Talent zum Genie hatte.
Aber dieses Talent hat ihm „die Gabe des Wie¬
dergebens“ geschenkt. Seine Sprache ist wie
die des modernen Salons durchsichtig, seine
Sätze elegant und zart, seine Kunst Artistentum
im vollendetsten Sinne dieses Lebensstiles. Auch
das Schwere, Bittere, Traurige, das Unglück
nicht ernst nehmen, hat er gelehrt durch seine
Menschen. Auch das bedeutet etwas, wenn man
jetzt auch versteht, warum seine Kunst die Ju¬
gend nicht aufregen, nicht erschüttern konnte.
Und wo die Wirklichkeit zu schwer zu werden
droht, schiebt er sie ins Unwirkliche. Seine No¬
velle „Das Tagebuch der Redegonda“, diese zarte
Dichtung, ist modernes Wienerisches Märchen:
Schubert und der Prater und verhallende Ro¬
mantik klingen hinein. Er hat für die meisten
Werke die Einheit von Inhalt und Form ge¬
funden. Der Inhalt ist bescheiden, aber nicht
bedeutungslos. Er ist auch nie Lublikumsfänger
gewesen, trotz des „Reigens“. Sein Landsmann
Bahr hat hat ihn einmal am besten getroffen,
als er schrieb: „Wir lieben ihn, weil seine Kunst
immer Handschuhe trägt, vor dem Pöbel nicht
die kleinste Verbeugung macht und weil über
jedem seiner Werke als leuchtendes Motto pran¬
gen könnte des alten Römers odi profanum
vulgus et arceo: ich verabscheue das gemeine
Volk und halte mich von ihm zurück.“ Auch das
hat seine Werte. Er wird ein begeistertes Volk
immer entbehren müssen Aber zu besonderen
Zeiten reicht man auch tem Talente der Min¬
derheit gerne den Lorbeei als Gruß.
Dr. Redolf K. Goldschmit“
6oth Zirthday
lichkeit verbunden ist. Schmerzliche Süße wird
fedrig, sie zittern in der Sanftheit und Vorsich¬
bei ihm leicht zur Entsagung.
tigkeit, mit der sie geformt sind.
Hat Schnitzler noch in seiner Frühzeit das
Der Jude ist in Oesterreich, besonders in
Leben und seine Zufälle und Nichtigkeiten leicht
Wien, viel heimatloser als eiwa in Deutschland.
genommen, so wird er mit der Reise der Man¬
Der galizische Typus verhindert das Einbür¬
nesjahre und dem zunehmenden Alter immer
gern des modernen Kulturjuden. Diese Hei¬
entsagungsvoller. Nicht mehr die freie Liebe ist
matlosigkeit bedeutet auch Wurzellosigkeit, die in
ihm Problem, sondern die viel kompliziertere
Schnitzlers Dichtungen bestimnte Merkmale
Ehe. Das Letzte, was bei Schnitzler dann übrig
seiner Kunst sehr scharf, übersdarf ausprägen.
bleibt, ist Resignation. Seine Dichtung wird
Er ist als Glaubensloser Skepiker. Nur mit
leiser. Im „Schleier der Beatrice“ hat er noch
der Ironie des kühl teilnehmenden, seine Ge¬
die Süße des Lebens spielerisch erscheinen las¬
fühle verbergenden Beobachters ann er die Be¬
sen. Jetzt leitet das Drama „Der einsame Weg“
ziehungen dieser Menschen zeichten. Ein Dich¬
auch für den Dichter einsame Stunden ein. Die
ter kann gottlos sein, er darf ncht glaubenslos
Flüchtigkeit der konventionellen Liebe, die Ver¬
sein; seine Welt muß irgendwehe seelische In¬
gänglichkeit lose gegründeter Erlebnisse wird
halte haben. Schnitzler schütteltden Kopf, weil
ihm immer deutlicher. Die Menschen finden
er alle diese feelischen Werte ür vergänglich
nicht mehr den Mut, zur großen Lebenslüge
hält. So kommen alle seine Fraen, und gerade
nein zu sagen. Er wendet sich zeitweise von der
die aus der großen, vornehme Welt, schlecht
Darstellung dieser vielfachen variierten Liebes¬
weg. Sie sind an Troddel verkiratet und be¬
schicksale überhaupt ab. Seine Komödie „Pro¬
trügen den Mann mit einem sichter, oder sie
fessor Bernhard“ ein reines „Männerstück“
lassen sich in noch gefährlichere Abenteuer ein.
sollte ein Zeit= und Problemstück des modernen
Bei Schnitzler ist die Liebe met mit Enttäu¬
Oesterreichs werden. Es wurde persönliches
schung verknüpft. Der vielbeschene „Reigen“
Bekenntnis mit einem bitteren Lächeln über Ju¬
sollte ja nichts anderes zeigen s die Enttäu¬
den und Antisemiten und zuletzt ehen doch nur
schung nach jenen Liebessituation, wie sie so
als Summe und Antwort aller Fragen: Ent¬
häufig sind. Der kühle Beobachr predigt, daß
täuschung und Entsagung. Diese Entsagung hat
in
aller Liebesgenuß schal und ödendet, wenn er
ihn auch an der großen deutschen Komödie ge¬
als Geschäft, nicht als seelischelngelegenheit
hindert. Denn auch der Komödiendichter bedarf
Schnitzler
r,
80
betrachtet und genommen wi.
des Glaubens, Bejahens, des ethischen Beteiligt¬
ahnte, daß er mißverstanden urde, und hat
seins. Und auch für seinen großen Roman
deshalb das Buch in einem entjenen Wiener
„Der Weg ins Freie“ brachte er nicht den Glau¬
1
Verlag herausgegeben und es aunicht in seine
ben an die Lösung der Fragen, die er sich stellte,
heti¬
gesammelten Werke übernommendaß gewissen¬
auf: der Roman verflüchtigt sich in viele kleine
Arzt,
lose Theaterdirektoren dann daszerk doch auf¬
scharfe Beobachtungen, in Festhaltungen von Zu¬
schen.
führten, gereicht eigentlich zunst dem Pu¬
ständen und Gefühlen, und über allem wieder
seger.
blikum, das in Massen hinlief, zilnehre. Wer
der einzige Glaube, der eigentlich eben ein Un¬
und
den ganzen Schnitzler kennt, wirden „Reigen“
glaube ist, der Glaube an die Alleinherrschaft
nie falsch deuten. Man muß ihnn allen Wer¬
des Kompromisses.
Seine
ken des Dichters zuletzt lesen.
einer
Auch das ist vielleicht eine ammeseigen¬
durch
Schnitzler hat die Kompliziertheit seiner Exi¬
schaft, daß dieses ganze glaubepse, inhalts¬
uns
stenz als Oesterreicher, Jnde und Intellektueller,
arme Leben seiner Menschen umll ihre Lie¬
die ihm leicht hätte zur persönlichen Lebens¬
beserlebnisse so viel Süßes in sicergen. Süße,
sehr
tragödie werden können, wie seinem Landsmann
die so schwer sich aufs Blut legt, dsie die Sinne
ndern
Weininger, überwunden durch die Flucht in
verwirrt und die Menschen sogats zum Ver¬
Da¬
weltmännische Entsagung. Seine Glaubenslosig¬
in nie brechen treibt, wie in „Frau ate und ihr
keit hält ihn von dem Eingang in das Reich
Sohn“. Und diese Süße wird sogänglich ge¬
Bewe¬
macht, weil sie doch auch mit sehsel Schmerz=I der ganz großen Dichter ab. Er ist Talent ge¬
hologe
ialoge
blieben, weil er nie Talent zum Genie hatte.
Aber dieses Talent hat ihm „die Gabe des Wie¬
dergebens“ geschenkt. Seine Sprache ist wie
die des modernen Salons durchsichtig, seine
Sätze elegant und zart, seine Kunst Artistentum
im vollendetsten Sinne dieses Lebensstiles. Auch
das Schwere, Bittere, Traurige, das Unglück
nicht ernst nehmen, hat er gelehrt durch seine
Menschen. Auch das bedeutet etwas, wenn man
jetzt auch versteht, warum seine Kunst die Ju¬
gend nicht aufregen, nicht erschüttern konnte.
Und wo die Wirklichkeit zu schwer zu werden
droht, schiebt er sie ins Unwirkliche. Seine No¬
velle „Das Tagebuch der Redegonda“, diese zarte
Dichtung, ist modernes Wienerisches Märchen:
Schubert und der Prater und verhallende Ro¬
mantik klingen hinein. Er hat für die meisten
Werke die Einheit von Inhalt und Form ge¬
funden. Der Inhalt ist bescheiden, aber nicht
bedeutungslos. Er ist auch nie Lublikumsfänger
gewesen, trotz des „Reigens“. Sein Landsmann
Bahr hat hat ihn einmal am besten getroffen,
als er schrieb: „Wir lieben ihn, weil seine Kunst
immer Handschuhe trägt, vor dem Pöbel nicht
die kleinste Verbeugung macht und weil über
jedem seiner Werke als leuchtendes Motto pran¬
gen könnte des alten Römers odi profanum
vulgus et arceo: ich verabscheue das gemeine
Volk und halte mich von ihm zurück.“ Auch das
hat seine Werte. Er wird ein begeistertes Volk
immer entbehren müssen Aber zu besonderen
Zeiten reicht man auch tem Talente der Min¬
derheit gerne den Lorbeei als Gruß.
Dr. Redolf K. Goldschmit“