box 39/3
60th Birthday
men, die Dir nicht geglückt sind. Es trisit — entschuldige bitte, zu.
Es ist wirklich nicht eines der besten. Aber trotzdem: es ist uns so
Gratulationsbrief an Arthur Schnitzler
bekannt — vielleicht darum, weil die ungeratenen Kinder einem die
liebsten sind, trägt man doch um sie die größten Schmerzen. Ich
(Zu seinem sechzigsten Geburtstag, 15. Mai.)
weiß nicht, ob Du Dich heute einfach fühlst; ich wünschte, es wäre
Von Dr. Jo Lherman.
aber es mag wohl sein,
nicht so. Es ist viel Liebe um Dich
Stefan Großmann ist einer der letzten gewesen, der in seinem
daß das nicht genug ist. Liebe muß nicht bloß sein, Liebe muß auch
„Tahemnh“ einige Worte über Dich niederschrieb. Stefan Gro߬
Genuß werden.,
st, wie Du, aus Wien. Auch ich bin aus Wien, wie Du
in
Da sind die Novellen vom Sterben — des Schaffens reifste
wohl weißt; erlaube mir darum, zu dem Strauß Anreden, den man
Frucht. In ihnen ist unser aller Art, die in Heiterkei und Froh¬
f in Form von Feuilletons überbringen wird, auch eine Blüte
7
sinn in Liebe und Leid immer weiß, daß wir sterblich sind, daß wir
beizutragen.
bereit sein müssen, einmal den Sprung ins Dunkel zu tun. Du, der
Es ist ein Dutzend Jahre her — ich war ein blutjunger
Dichter, weiß, daß diese beiden des Dichtens wert sind: Liebe und
Student — da lernie ich Dich kennen: Dich, das heißt Deine Bü¬
Tod.
cher und Dramen. Damals tand Dein Stern im Zenith; da¬
Der „Weg ins Freie“: Der einzige Roman, den Du geschaffen.
mals ging die „Liebelei“ über die Bretter — und „Der junge Me¬
Auseinandersetzung mit der Art: Oesterreich — Deutschtum —
dardus“ — und „Das weite Land“. Wie tief ging mein Atem,
jüdische Abstammung. Du fandest den Weg ins Freie: Dich be¬
wenn ich auf der vierten Glerie des Theaters aller deutschen
kennend, wohin zu bekennen es Dich zwang, ließest Du nichts an
Theater, unseres Burgtheatees, am mühsam erkämpften Platz
Dich heran, was nicht heran durfte und wurdest immer mehr: Dich¬
stand, von Dir in das weite Land geführt, von Dir, dem Dichte:
ter. Denn Dichter ist man nicht, Dichter wird man, wie man
Wiens. Denn in allen Deinen Büchern ist Wien, unser Wien. Du
Mensch wird, — wie alles Geschehen ein Werden ist.
bist noch Wiens Dichter, und dieses unser Wien ist noch.
„Professor Bernhardi“: Wir Wiener in München sind sehr!
Ich bin seit langem von Wien fort. Und ich lese alle Wiener
siolz auf diese Stadt, weil sie ihm den Weg bahnte, als die
Zeitungen, deren ich habhaft werden kann. So las ich auch davon,
österreichische Zensur ihn verschloß — es soll München nicht ver¬
doß kürzlich bei der Aufführung von Mirabeaus „Geschäft ist Ge¬
gessen werden „Flink und Fliedenbusch“: Warteten wir nicht schon
schäft“ im Burgtheater an der Stelle an der ein alter Marquis
seit Gustav Freytags Tagen auf ein deutsches Lustspiel? Hier war
dem reichen Emporkömmling sagt: „Mögt Ihr uns alles nehmen:
wieder eines.
Ansehen, Namen, Besitz — das Bewußtsein des Adels unseres
Du hast den „Reigen“, um den vor einem Jahr solch böser
Geistes könnt Ihr uns nicht rauben“ — das Publikum laut Beifall
Streit entstand, nicht in die Ausgabe der Gesammelten Werke auf¬
rief: diesen Worten: mitten in einer Szene, laut sich ereifernd,
genommen. Viel Schmutz wurde aufgewirbel,t häßliche Dinge
gegen alle Gewohnheit des vornehmen Hauses. Das ist noch unser
Bis an
wurden gesagt — um wen werden sie nicht gesagt -
— stolz in aller Armut, seiner bewußt in
Wien, das so denkt —
Dich kamen sie nicht; Du hattest niedergeschrieben, was ist und wie
allen Kümmernissen des Daseins. Ich wollte, ich wäre dabei ge¬
es ist, daß es da sei. Was kümmert es Dich, was andere daraus
wesen . . .. gerade jetzt, in dieser Zeit — niemandem muß ich
machten.
erst sagen, warum.
Das Werk dieser dreißig Jahre ist groß; es ist noch nicht ge¬
Ich ging oft an Deiner kleinen Villa in Döbling, die so ver¬
endet. Die Zahl Deiner Verehrer ist groß — nicht beständig: bald
träumt aus dem dichten Grün des Vorgartens lugt, vorbei — und
##nkt sie. bald steigt sie — die Gunst des Ungeheuers, das Publikum
ich empfand stets sehr ehrfürchtig. Als ich Dich dann einmal durch
—
gnrn
974.2
heißt, ist wandelbar. Aoer es konmt Dir wohl nicht darauf an,
Zufall kennen lernte, war ich sehr erstaunt, daß Du ein ruhiger
verehrt, sondern darauf, geliebt zu werden. Du weißt, daß man
Mensch mit menschlichen Tugenden und auch einigen — ent¬
Dich, liebt: in Deinem, unserem Oesterreich — im Deutschland des
schuldige — menschlichen Schwächen warst. Aber ich begriff es, je
Dir ein wenig wesensverwandten Dichters Gerhart Hauptmann
mehr ich Dich in Deinen Büchern las — in denen ich ja auch mich
und auch Norwegen. Ibsens Norwegen hat es Dir bewiesen.
fand und uns alle. Denn Deine Bücher sind sehr menschlich
Die Dich lieben, sind Dir auch treu.
Darf ich ein paar Merksteine Deines Werkes aufzählen? Da
Erlaube, daß für einige von diesen auch in der Dreißigjährige,
ist der „Anatol“ — vor dreißig Jahren, Dein erstes Werk, kam es
Dir, dem Sechzigjährigen danke für alles, was Du uns gegeben
heraus — und es ist noch immer Blüte. Ich habe sehr deutlich
amnpfunden, wie sehr es Wien ist: ich ging in den letzten Weih¬
hast, und Dir alles Gute wünsche für eine noch einmal so lange
— auch mit einer Gabriele. Aber es war nicht Gabriele: Gabriele
Zeit, also, wie eine mancherorts, auch in Wien. angewandte Form
saat: bis hundertund# anzig Jahre — sofern Du so alt werden
nachten durch die verschneiten Straßen einer Stadt — wie Anatole
ist m#er in Wien. Und wir alie empfinden so.
Da ist „Der einsame Weg“: man sagt, es sei eines der Dra#s willst, was ich natürlich nicht bestimmt weiß.,
Artc
60th Birthday
men, die Dir nicht geglückt sind. Es trisit — entschuldige bitte, zu.
Es ist wirklich nicht eines der besten. Aber trotzdem: es ist uns so
Gratulationsbrief an Arthur Schnitzler
bekannt — vielleicht darum, weil die ungeratenen Kinder einem die
liebsten sind, trägt man doch um sie die größten Schmerzen. Ich
(Zu seinem sechzigsten Geburtstag, 15. Mai.)
weiß nicht, ob Du Dich heute einfach fühlst; ich wünschte, es wäre
Von Dr. Jo Lherman.
aber es mag wohl sein,
nicht so. Es ist viel Liebe um Dich
Stefan Großmann ist einer der letzten gewesen, der in seinem
daß das nicht genug ist. Liebe muß nicht bloß sein, Liebe muß auch
„Tahemnh“ einige Worte über Dich niederschrieb. Stefan Gro߬
Genuß werden.,
st, wie Du, aus Wien. Auch ich bin aus Wien, wie Du
in
Da sind die Novellen vom Sterben — des Schaffens reifste
wohl weißt; erlaube mir darum, zu dem Strauß Anreden, den man
Frucht. In ihnen ist unser aller Art, die in Heiterkei und Froh¬
f in Form von Feuilletons überbringen wird, auch eine Blüte
7
sinn in Liebe und Leid immer weiß, daß wir sterblich sind, daß wir
beizutragen.
bereit sein müssen, einmal den Sprung ins Dunkel zu tun. Du, der
Es ist ein Dutzend Jahre her — ich war ein blutjunger
Dichter, weiß, daß diese beiden des Dichtens wert sind: Liebe und
Student — da lernie ich Dich kennen: Dich, das heißt Deine Bü¬
Tod.
cher und Dramen. Damals tand Dein Stern im Zenith; da¬
Der „Weg ins Freie“: Der einzige Roman, den Du geschaffen.
mals ging die „Liebelei“ über die Bretter — und „Der junge Me¬
Auseinandersetzung mit der Art: Oesterreich — Deutschtum —
dardus“ — und „Das weite Land“. Wie tief ging mein Atem,
jüdische Abstammung. Du fandest den Weg ins Freie: Dich be¬
wenn ich auf der vierten Glerie des Theaters aller deutschen
kennend, wohin zu bekennen es Dich zwang, ließest Du nichts an
Theater, unseres Burgtheatees, am mühsam erkämpften Platz
Dich heran, was nicht heran durfte und wurdest immer mehr: Dich¬
stand, von Dir in das weite Land geführt, von Dir, dem Dichte:
ter. Denn Dichter ist man nicht, Dichter wird man, wie man
Wiens. Denn in allen Deinen Büchern ist Wien, unser Wien. Du
Mensch wird, — wie alles Geschehen ein Werden ist.
bist noch Wiens Dichter, und dieses unser Wien ist noch.
„Professor Bernhardi“: Wir Wiener in München sind sehr!
Ich bin seit langem von Wien fort. Und ich lese alle Wiener
siolz auf diese Stadt, weil sie ihm den Weg bahnte, als die
Zeitungen, deren ich habhaft werden kann. So las ich auch davon,
österreichische Zensur ihn verschloß — es soll München nicht ver¬
doß kürzlich bei der Aufführung von Mirabeaus „Geschäft ist Ge¬
gessen werden „Flink und Fliedenbusch“: Warteten wir nicht schon
schäft“ im Burgtheater an der Stelle an der ein alter Marquis
seit Gustav Freytags Tagen auf ein deutsches Lustspiel? Hier war
dem reichen Emporkömmling sagt: „Mögt Ihr uns alles nehmen:
wieder eines.
Ansehen, Namen, Besitz — das Bewußtsein des Adels unseres
Du hast den „Reigen“, um den vor einem Jahr solch böser
Geistes könnt Ihr uns nicht rauben“ — das Publikum laut Beifall
Streit entstand, nicht in die Ausgabe der Gesammelten Werke auf¬
rief: diesen Worten: mitten in einer Szene, laut sich ereifernd,
genommen. Viel Schmutz wurde aufgewirbel,t häßliche Dinge
gegen alle Gewohnheit des vornehmen Hauses. Das ist noch unser
Bis an
wurden gesagt — um wen werden sie nicht gesagt -
— stolz in aller Armut, seiner bewußt in
Wien, das so denkt —
Dich kamen sie nicht; Du hattest niedergeschrieben, was ist und wie
allen Kümmernissen des Daseins. Ich wollte, ich wäre dabei ge¬
es ist, daß es da sei. Was kümmert es Dich, was andere daraus
wesen . . .. gerade jetzt, in dieser Zeit — niemandem muß ich
machten.
erst sagen, warum.
Das Werk dieser dreißig Jahre ist groß; es ist noch nicht ge¬
Ich ging oft an Deiner kleinen Villa in Döbling, die so ver¬
endet. Die Zahl Deiner Verehrer ist groß — nicht beständig: bald
träumt aus dem dichten Grün des Vorgartens lugt, vorbei — und
##nkt sie. bald steigt sie — die Gunst des Ungeheuers, das Publikum
ich empfand stets sehr ehrfürchtig. Als ich Dich dann einmal durch
—
gnrn
974.2
heißt, ist wandelbar. Aoer es konmt Dir wohl nicht darauf an,
Zufall kennen lernte, war ich sehr erstaunt, daß Du ein ruhiger
verehrt, sondern darauf, geliebt zu werden. Du weißt, daß man
Mensch mit menschlichen Tugenden und auch einigen — ent¬
Dich, liebt: in Deinem, unserem Oesterreich — im Deutschland des
schuldige — menschlichen Schwächen warst. Aber ich begriff es, je
Dir ein wenig wesensverwandten Dichters Gerhart Hauptmann
mehr ich Dich in Deinen Büchern las — in denen ich ja auch mich
und auch Norwegen. Ibsens Norwegen hat es Dir bewiesen.
fand und uns alle. Denn Deine Bücher sind sehr menschlich
Die Dich lieben, sind Dir auch treu.
Darf ich ein paar Merksteine Deines Werkes aufzählen? Da
Erlaube, daß für einige von diesen auch in der Dreißigjährige,
ist der „Anatol“ — vor dreißig Jahren, Dein erstes Werk, kam es
Dir, dem Sechzigjährigen danke für alles, was Du uns gegeben
heraus — und es ist noch immer Blüte. Ich habe sehr deutlich
amnpfunden, wie sehr es Wien ist: ich ging in den letzten Weih¬
hast, und Dir alles Gute wünsche für eine noch einmal so lange
— auch mit einer Gabriele. Aber es war nicht Gabriele: Gabriele
Zeit, also, wie eine mancherorts, auch in Wien. angewandte Form
saat: bis hundertund# anzig Jahre — sofern Du so alt werden
nachten durch die verschneiten Straßen einer Stadt — wie Anatole
ist m#er in Wien. Und wir alie empfinden so.
Da ist „Der einsame Weg“: man sagt, es sei eines der Dra#s willst, was ich natürlich nicht bestimmt weiß.,
Artc