6oth Birthday box 39/3
nur müßte es von einem donnernden: Sei! ge¬
ne M
rufen sein. Hier endet Schnitzlers Reich, seine
Zeit. Ueber die Jahrhundertwende kam er in er¬
Arthur Schnitzler.
lich nie hinaus. Er blieb am Wege. Aberviel¬
(Zu seinem 60. Geburtstag)
leicht eben darum, weil er bei allem Glück och
Von Oskar Maurus Fontana.
ein Stiefkind Gottes war, werden ihm auch die
kommenden Geschlechter ein wenig Liebe gelen.
Um seiner stillen, nachdenklichen und ein
wenig weltmännischen Art hat man ihn besonders
um die Jahrhundertwende lieb gehabt, auch dann,
Sympathiekundgebungen auf Berliner Bodin
wenn er als ein Tragiker, ein Pathetiker großen
nahm der Dichter gestern im — Residenz¬
Stiles vor uns hintrat. („Der Schleier der
theater entgegen, wo sein fünfaktiges
Beatrice“, „Der junge Medardus“.)
Schauspiel „Dasweite Land“ eben noch in
Er blieb Jahr um Jahr, der er war, als der er
einer Erfolgserie stak. Bei passenderer Gelegen¬
begonnen hatte: verliebt in die Wiener Klein¬
heit würde es den Betrachter reizen, sich mit
bürgerlichkeit, in die Liebelei erster Jugend, mit
diesem Stück, das schon vor vierzehn Jahren
Maß sozialkritisch, elegisch müde und ergebungs¬
gemischte Gefühle weckte, vom Standpunkt ge¬
voll lebensfreudig. Dieser Ton ist Schnitzlers
wandelter Bedürfnisse auseinanderzusetzen. Nicht
tiefster Ton, er kehrt immer wieder und fand in
etwa als ob man die Neigung hätte, den über¬
dem Doktor seines Dramas „Der Ruf des
flüssigen Beweis zu führen, daß hier ein Ueber¬
Lebens“ schönsten Ausdruck: schmerzlich und
maß von Psychologie mit einer Ueberwucherung
dennoch nicht niedergebrochen, pantheistisch
von Romanhaftigkeit zu einer Zwangsehe ver¬
friedevoll. Hoffnungsvolle Hoffnungslosigkeit
kuppelt wird. Eher wurde die Untersuchung rei¬
könnte man dieses Gefühl nennen, das für sein
zen, wie Schnitzler sein Thema von Untreue
armes Ich nichts mehr erwartet, aber vom Leben,
gegen Untreue ein paar Akte lang dadurch er¬
von der Natur, vom All alles erwartet — immer
höht, daß der Zusammenhang rhythmisch wird,
in der leisen Zuversicht, daß dann vielleicht auch
wie er aber aus dieser, sein Künstlertum bezeu¬
etwas für das Ich absalle.
genden Melodie herausgleitet, um Klang und
Und so ist auch seine Heiterkeit. Blutsver¬
Widerklang der sich heillos verstrickenden Thea¬
wandt der Watteaus und Fragonards: ein wenig
terei preiszugeben. Freilich: bei einem sechzig¬
zynisch, sehr ironisch, mit Maß melancholisch und
sten Geburtstage genügt die Wahrnehmung, daß
sich ganz in der Maske des sexuell Blasierten ge¬
selbst in einem seiner schwächsten Stücke bester
fallend. Von Rousseau und Voltaire sind jene so
Schnitzler zirkuliert.
weit entfernt, wie der Wiener Zeitgenosse von
Man hätte dies noch schöner bei einer Auf¬
Strindberg und Weininger. Er wie jene sind
führung henraushören können, der die musi¬
Rokoko, sind Zeugen einer satten, dem Genuß
schen Züge mancher Szene stärker bewußt wären.
und dem Bewußtsein des Genusses raffiniert hin¬
Die Regie Altmanns sieht nur Psychologie, deren
gegebenen Kultur. Daher stammt die Wachheit
ironischen Charakter durch den Drang zum ja
in seinen Menschen. Aus dieser Ueberlegenheit
nur deutlichen Humor vergröbert wird. Unter¬
des Intellekts heraus erscheinen als dramatische
malter Ernst wird zur Pointe herausgearbeitet,
Figuren immer wieder bei ihm Aerzte, Schau¬
Scherz mit gar nicht scherzhaften Dingen wird
spieler, Schriftsteller. Damit ist die Luft, die
zur Taktlosigkeit mißbraucht. Die Vorstellung
Atmosphäre der Schnitzlerschen Männerwelt ein
dauert dreieinhalb Stunden, während Jeßner für
für alle Male gegeben. Es sind Menschen, denen
Grabbes „Napoleon“ bloß knappe drei Stunden
das Wort leicht wird, die viel und gern von sich
aus sagen und deren gescheite Anmerkungen zu braucht. Immerhin sind die Triesch und die
den verworrenen Beziehungen des Lebens fast Bertens Schauspielerinnen von Geblüt. Und
etwas Berufliches haben. Und es ist klar, daß Korff weiß, wie Schnitzler von 14 Jahren ge¬
spielt wurde, ohne freilich zu ahnen, daß er heute
Aret, Schauspieler und Schriftsteller die Erotik
(wozu auch Rotstiftarbeit nötig wäre) ganz
erleben oder erleiden, die sich in der Ehe immer
anders gespielt werden könnte: sachlich, ohne jede
mit dem Auf= oder Untertauchen eines oder einer
Koketterie, um ein straffes Zentrum von Wesen¬
Dritten ergibt — klar, weil es das Treibende, das
heit herum.
Schöpferische der Schnitzlerwelt ist.
Daß man für Schnitzler auch von der neuen
Schein wird mit Sein vertauscht, verwechselt,
Theaterkunst etwas fordert, bezeugt den Respekt
menat sich, krallt sich ineinander, daß keiner mehr
von seinem Gesamtwerke. Es hält jenem Krite¬
am Ende erkennen kann, was Wahrheit ist. Dar¬
rium Stand, das nach der Echtheit des Schaf¬
aus wurde Schnitzlers schönste Bühnendichtung,
fens forscht, die auch in einem engeren oder
die vom „Grünen Kakadu“ geboren, die
leichteren Bezirk kostbar sein kann. Die schöpfe¬
seine ganze elegische, zwischenlichtartige Kunst in
ische Natur Schnitzlers hat mit solchen Werten
einem Akt zusammenpreßt. Es ist dieselbe iro¬
nicht gegeizt. Der Sechzigjährige, dessen zufällige
nische Freude am Spiel, die aus einer Stunde des
nwesenheit das Publikum mit zahlreichen Ova¬
Erkennens, da die nächsten Menschen sich ent¬“
##nen wahrnahm, sei mit ungezwungener Herz¬
schleiern, eine des ewigen Nichterkennens machte¬
E. F.
Wer wird geliebt, wer liebt, wo ist Heimat, Ber hkeit beglückwünscht.
250
stimmung, wo hört das Abenteuer auf und be¬
ginnt der Sinn des Lebens? Ein jeder spricht da¬
von, ein jeder hat ein Wort dafür und davon, die
Seele aber bleibt leer und blickt ins Leere und
geht ins Leere. Wie? Wird alles zur großen
Szene, unwahr verbogen und unwahrscheinlich
und ist dennoch im tiefsten, ganz verschütteten
Grunde wahrhafter Ausdruck eines Menschen
der einfach nicht anders kann? Sollte es das ge¬
ben, Lüge zugleich Wahrheit sein können, Armut
zugleich Reichtum? Und können Worte hin= und
hergehen. Worte, die die kostbare Fassuna des
Herrn von Sala aus dem „Einsamen Weg“
haben und die dennoch nichts bedeuten und zu¬
gleich alles bedeuten, die anders sein können, die
am Tatsächlichen sehr schnell vorüberflattern und
den Schein eines bedeutungslosen Friedens und
einer bedeutungslosen Würde geben, während¬
dessen sich Letztes entscheidet an den Worten vor¬
bei, ohne Worte: die Zusammengehörigkeit von
Menschen — die ewige Entfernung von Men¬
r spielen immer, wer es weiß, ist
schen!
klug.“ Es#s die Weisheit Schnitzlers, seine etwas
müde Erkenntnis, die in seinem ganzen Werk zu
finden ist.
nur müßte es von einem donnernden: Sei! ge¬
ne M
rufen sein. Hier endet Schnitzlers Reich, seine
Zeit. Ueber die Jahrhundertwende kam er in er¬
Arthur Schnitzler.
lich nie hinaus. Er blieb am Wege. Aberviel¬
(Zu seinem 60. Geburtstag)
leicht eben darum, weil er bei allem Glück och
Von Oskar Maurus Fontana.
ein Stiefkind Gottes war, werden ihm auch die
kommenden Geschlechter ein wenig Liebe gelen.
Um seiner stillen, nachdenklichen und ein
wenig weltmännischen Art hat man ihn besonders
um die Jahrhundertwende lieb gehabt, auch dann,
Sympathiekundgebungen auf Berliner Bodin
wenn er als ein Tragiker, ein Pathetiker großen
nahm der Dichter gestern im — Residenz¬
Stiles vor uns hintrat. („Der Schleier der
theater entgegen, wo sein fünfaktiges
Beatrice“, „Der junge Medardus“.)
Schauspiel „Dasweite Land“ eben noch in
Er blieb Jahr um Jahr, der er war, als der er
einer Erfolgserie stak. Bei passenderer Gelegen¬
begonnen hatte: verliebt in die Wiener Klein¬
heit würde es den Betrachter reizen, sich mit
bürgerlichkeit, in die Liebelei erster Jugend, mit
diesem Stück, das schon vor vierzehn Jahren
Maß sozialkritisch, elegisch müde und ergebungs¬
gemischte Gefühle weckte, vom Standpunkt ge¬
voll lebensfreudig. Dieser Ton ist Schnitzlers
wandelter Bedürfnisse auseinanderzusetzen. Nicht
tiefster Ton, er kehrt immer wieder und fand in
etwa als ob man die Neigung hätte, den über¬
dem Doktor seines Dramas „Der Ruf des
flüssigen Beweis zu führen, daß hier ein Ueber¬
Lebens“ schönsten Ausdruck: schmerzlich und
maß von Psychologie mit einer Ueberwucherung
dennoch nicht niedergebrochen, pantheistisch
von Romanhaftigkeit zu einer Zwangsehe ver¬
friedevoll. Hoffnungsvolle Hoffnungslosigkeit
kuppelt wird. Eher wurde die Untersuchung rei¬
könnte man dieses Gefühl nennen, das für sein
zen, wie Schnitzler sein Thema von Untreue
armes Ich nichts mehr erwartet, aber vom Leben,
gegen Untreue ein paar Akte lang dadurch er¬
von der Natur, vom All alles erwartet — immer
höht, daß der Zusammenhang rhythmisch wird,
in der leisen Zuversicht, daß dann vielleicht auch
wie er aber aus dieser, sein Künstlertum bezeu¬
etwas für das Ich absalle.
genden Melodie herausgleitet, um Klang und
Und so ist auch seine Heiterkeit. Blutsver¬
Widerklang der sich heillos verstrickenden Thea¬
wandt der Watteaus und Fragonards: ein wenig
terei preiszugeben. Freilich: bei einem sechzig¬
zynisch, sehr ironisch, mit Maß melancholisch und
sten Geburtstage genügt die Wahrnehmung, daß
sich ganz in der Maske des sexuell Blasierten ge¬
selbst in einem seiner schwächsten Stücke bester
fallend. Von Rousseau und Voltaire sind jene so
Schnitzler zirkuliert.
weit entfernt, wie der Wiener Zeitgenosse von
Man hätte dies noch schöner bei einer Auf¬
Strindberg und Weininger. Er wie jene sind
führung henraushören können, der die musi¬
Rokoko, sind Zeugen einer satten, dem Genuß
schen Züge mancher Szene stärker bewußt wären.
und dem Bewußtsein des Genusses raffiniert hin¬
Die Regie Altmanns sieht nur Psychologie, deren
gegebenen Kultur. Daher stammt die Wachheit
ironischen Charakter durch den Drang zum ja
in seinen Menschen. Aus dieser Ueberlegenheit
nur deutlichen Humor vergröbert wird. Unter¬
des Intellekts heraus erscheinen als dramatische
malter Ernst wird zur Pointe herausgearbeitet,
Figuren immer wieder bei ihm Aerzte, Schau¬
Scherz mit gar nicht scherzhaften Dingen wird
spieler, Schriftsteller. Damit ist die Luft, die
zur Taktlosigkeit mißbraucht. Die Vorstellung
Atmosphäre der Schnitzlerschen Männerwelt ein
dauert dreieinhalb Stunden, während Jeßner für
für alle Male gegeben. Es sind Menschen, denen
Grabbes „Napoleon“ bloß knappe drei Stunden
das Wort leicht wird, die viel und gern von sich
aus sagen und deren gescheite Anmerkungen zu braucht. Immerhin sind die Triesch und die
den verworrenen Beziehungen des Lebens fast Bertens Schauspielerinnen von Geblüt. Und
etwas Berufliches haben. Und es ist klar, daß Korff weiß, wie Schnitzler von 14 Jahren ge¬
spielt wurde, ohne freilich zu ahnen, daß er heute
Aret, Schauspieler und Schriftsteller die Erotik
(wozu auch Rotstiftarbeit nötig wäre) ganz
erleben oder erleiden, die sich in der Ehe immer
anders gespielt werden könnte: sachlich, ohne jede
mit dem Auf= oder Untertauchen eines oder einer
Koketterie, um ein straffes Zentrum von Wesen¬
Dritten ergibt — klar, weil es das Treibende, das
heit herum.
Schöpferische der Schnitzlerwelt ist.
Daß man für Schnitzler auch von der neuen
Schein wird mit Sein vertauscht, verwechselt,
Theaterkunst etwas fordert, bezeugt den Respekt
menat sich, krallt sich ineinander, daß keiner mehr
von seinem Gesamtwerke. Es hält jenem Krite¬
am Ende erkennen kann, was Wahrheit ist. Dar¬
rium Stand, das nach der Echtheit des Schaf¬
aus wurde Schnitzlers schönste Bühnendichtung,
fens forscht, die auch in einem engeren oder
die vom „Grünen Kakadu“ geboren, die
leichteren Bezirk kostbar sein kann. Die schöpfe¬
seine ganze elegische, zwischenlichtartige Kunst in
ische Natur Schnitzlers hat mit solchen Werten
einem Akt zusammenpreßt. Es ist dieselbe iro¬
nicht gegeizt. Der Sechzigjährige, dessen zufällige
nische Freude am Spiel, die aus einer Stunde des
nwesenheit das Publikum mit zahlreichen Ova¬
Erkennens, da die nächsten Menschen sich ent¬“
##nen wahrnahm, sei mit ungezwungener Herz¬
schleiern, eine des ewigen Nichterkennens machte¬
E. F.
Wer wird geliebt, wer liebt, wo ist Heimat, Ber hkeit beglückwünscht.
250
stimmung, wo hört das Abenteuer auf und be¬
ginnt der Sinn des Lebens? Ein jeder spricht da¬
von, ein jeder hat ein Wort dafür und davon, die
Seele aber bleibt leer und blickt ins Leere und
geht ins Leere. Wie? Wird alles zur großen
Szene, unwahr verbogen und unwahrscheinlich
und ist dennoch im tiefsten, ganz verschütteten
Grunde wahrhafter Ausdruck eines Menschen
der einfach nicht anders kann? Sollte es das ge¬
ben, Lüge zugleich Wahrheit sein können, Armut
zugleich Reichtum? Und können Worte hin= und
hergehen. Worte, die die kostbare Fassuna des
Herrn von Sala aus dem „Einsamen Weg“
haben und die dennoch nichts bedeuten und zu¬
gleich alles bedeuten, die anders sein können, die
am Tatsächlichen sehr schnell vorüberflattern und
den Schein eines bedeutungslosen Friedens und
einer bedeutungslosen Würde geben, während¬
dessen sich Letztes entscheidet an den Worten vor¬
bei, ohne Worte: die Zusammengehörigkeit von
Menschen — die ewige Entfernung von Men¬
r spielen immer, wer es weiß, ist
schen!
klug.“ Es#s die Weisheit Schnitzlers, seine etwas
müde Erkenntnis, die in seinem ganzen Werk zu
finden ist.