VII, Verschiedenes 5, Bauernfeld Preis, Seite 26

P
Die Verleihung des Bauernfeld-Preises an Arlur
Schnitzler.
(Eine Anfrage der Abgeordneten Dr. Pattai
und Genossen an den Unterrichtsminister.)
In der gestrigen Sitzung des Abgeordnetenhauses stellten
die Abgeorbneten Dr. Pattai und Genossen folgende An¬
frage an den Minister für Kultus und Unterricht Ritter
v. Hartel betreffend die Zuweisung eines Preises von
2000 K. aus der Bauernfeld=Stiftung an den jüdischen Lite¬
raten Dr. Artur Schnitzler durch das Kuratorium der
Stiftung: Das Kuratorium der Bauernfeld=Stiftung hat
in seiner Sitzung vom 13. März 1903, welcher die Mit¬
glieder Minister für Kultus und Unterricht Dr. v. Hartel,
Dr. Alfred Freiherr v. Berger, Professor der deutschen inelusive
Porto.
Literaturgeschichte an der Wiener Universität Dr. Jakob
Minor und Dr. Edmund Weißl beiwohnten, einstimmig Zahlbar
beschlossen, aus den Erträgnissen der Bauernfeld Stiftung lim Voraus.
einen Preis von 2000 K. dem Literaten Artur Schnitzlerse jst das
für seinen Einakterzyklus „Lebendige Stunden“ zu verleihen, scht es den
In dieser Verleihung erblicken die unterzeichneten Abgeord= ern.
neten eine Verletzung der Rechte der nichtjüdischen Schrift¬
stellerwelt unsrer Heimat und einen Verstoß gegen den sltend die
Sinn und Zweck der Stiftung und die unbegründete Aus=[lorgen¬
ür zeichnung eines nicht preiswürdigen Werks, und zwar aus Zeitung")
n folgenden Gründek: Das preisgekrönte Werk, die vier Ein= schaftliche
u akter „Lebendige Stunden“, hat weder bei seiner Aufführung (Diese Mit¬
in Berlin, noch bei der durch das Ensemble des Berliner
Der hen Theaters im Wiener Carl=Theater noch auch
bei der kürzlich im Wiener Deutschen Volkstheater erfolgten
Aufführung eine tiefere Wirkung geübt oder auch nur ober¬
flächlich den Eindruck eines Dichterwerks gemacht. Die aus¬
drückliche Rangerhöhung desselben durch eine Prämiierung
in Wien muß daher im Ausland die falsche Vorstellung
erwecken, als hätte das österreichische Schrifttum tatsächlich
keine besseren Produkte aufzuweisen als derlei Minder¬
mertigkeiten.
Die Meinung des Auslands über die heimische Literatur
wurde aber durch das Vorgehen des Bauernfeld=Kuratoriums
auch noch in weiterer Hinsicht konsequent irregeführt, da
die Preise der Stiftung innerhalb ganz kurzer Zeit einer
unverhältnismäßig großen Zahl von jüdischen Literaten
zugewiesen wurden, und zwar solchen von untergeordneter
Bedeutung. Es sind dies: Dr. Leo Hirschfeld, prämiiert
für die Komödie „Die Lumpen“, der Erotiker Felix Dör¬
mann (richtig Biedermann) für ein gänzlich verschollenes
Drama „Der Herr von Abadessa“, der Literarhistoriker
Dr. Emil Horner für eine Bauernfeld=Biographie, der
Librettist von Operettentexten Viktor Leon (richtig Hirsch¬
feld) für ein vor langer Zeit gegebenes Stück „Gebildete
Menschen“ und schließlich Artur Schnitzler für die „Leben¬
digen Stunden“. Unter diesen Umständen muß im Ausland
Literatur in Oesterreich fast nur von Juden geschrieben
wird, andrerseits ihre Qualität eine äußerst niedrige ist.
Diese unleugbare Bevorzugung jüdischer Literaten durch
das Kuratorium der Bauernfeld=Stiftung bedeutet aber auch
eine Zurücksetzung und die Mitarbeit an der Unterdrückung
der nichtjüdischen Schriftsteller Oesterreichs, die, durch den
Boykott der einflußreichen jüdischen Presse und die Kartelle
der jüdischen Gewerbsliteraten schon an sich in bedrängter,
mitunter trotz ihrer Begabung fast aussichtssoser Lage, ge¬
rade auf die ethische und materielle Förderung durch ähn¬
liche Einrichtungen, wie die der Bauernfeld=Stiftung ist,
als einzige Hoffnung hinblicken und die schwere Ent¬
täuschung erleben müssen, mit Abfällen abgespeist oder über¬
gangen zu werden.
Die Verleihung ist endlich gegen die Absicht der
Bauernfeld=Stiftung gerichtet, in deren Sinn es gewiß
nicht liegt, die Ausbreitung des semitischen Geistes in der
Literatur zu fördern, welcher das sittliche und ästhetische
Gefühl der Stammbevölkerung Oesterreichs oft genug, so
auch in den Werken der prämiierten Hirschfeld, Schnitzle¬
und Dörmann gröblich verletzt, die Vertreter dieser fremden
Richtung in unserm Schrifttum aber auf Kosten der
autochthonen Dichter und Schriftsteller zu stützen und im
Einflusse zu steigern.
In Erwägung dieser Tatsachen richten die Unter¬
zeichneten an Seine Exzellenz die Anfrage: Wie gedenkt
der Herr Minister als Mitglied des Kuratoriums der
Bauernfeld=Stiftung die abermalige Bevorzugung eines
jüdischen Literaten, wie sie durch die Zuerkennung des
Bauernfeld=Preises an A. Schnitzler gegeben ist, angesichts
der bereits vorangegangenen unverhältnismäßig großen
Zahl von Prämiierungen jüdischer Literaten aus dieser
Stiftung, angesichts der zahlreichen, wirklich Förderung
bedürftigen und vermöge ihres Talents auch würdigen nicht¬
jüdischen Schriftsteller und angesichts der Verantwortung,
welche die Einhaltung der Zwecke der Bauernfeld=Stiftung
dem Kuratorium auferlegt, zu rechtfertigen?
Telephon 12801.
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Ausschnitt aus: Arheiter Zeitung, Wien
2
vom:
Schnitzlers „Lebendige Stunden“ und Herr Pattai.
Wie wir mitgetheilt haben, hat das Kuratorium der
Bauernfeld=Stiftung einstimmig beschlossen, den diesmaligen
Bauernfeld=Preis Arthur Schnitzler für seine „Lebendigen
Stunden“ zu verleihen. Darüber hat nun der Abgeordnete
Pattai im Abgeordnetenhause eine Interpellation eingebracht,
die neben ihrer Perfidie auch ein Schulbeispiel für die Anmaßung
ist, die den gewissen Herren unseres Abgeordnetenhauses eigen ist.
So ein Abgeordneter meint, daß er, weil ihn die Wähler in
ihrer Dummheit zum Abgeordneten gemacht haben, das Recht
erworben hat — vom Verstand nicht zu reden —, in alles
dreinreden zu dürfen. Die Sache geht nämlich Herrn Pattai
gar nichts an, und das Abgeordnetenhaus zu Richtern in 5.—
inclusive
Kunstsachen anzurufen, ist ebenso dumm wie geschmacklos. 8.—
Porto.
Ueber die Vergebung des Preises entscheidet das Kuratorium9.—
der Stiftung ganz selbstständig, und daß der Unterrichts=) im Voraus.
minister Mitglied dieses Kuratoriums ist, bedeutet keineswegs, daß schnitte ist das
die Verleihung des Preises ein Akt der Unterrichtsverwaltung istauch steht es den
für den sie dem Abgeordnetenhause Aufklärung und Rechenschaft zu ändern.
schuldet. Selbstverständlich bleibt es Herrn Pattai unbenommen,
enthaltend die
in Schnitzler einen „jüdischen Literaten“, in seinem Werke „Minder¬
er Morgen¬
4
Viener Zeitung)
werthigkeiten“ zu erblicken; die Freiheit des Kunsturtheils steht
wirthschaftliche
jedermann zu. Aber völlig unzulässig ist es, wenn er den Zufall,
vird. Diese Mit¬
daß Herr Pattai ein Abgeordneter ist, dazu ausnützt, seinen
persönlichen literarischen Ansichten — die so maßgeblich sind als
Herrn Pattai Kunstverständniß zukommt — in Form einer Inter¬
pellation ein besonderes Gewicht zu verschaffen. Das Herr Pattai
den Zufall so weit ausbeutet, einen Schriftsteller zu beschimpfen,
der — wie immer man über seine literarische Qualität denken
mag — an Intriguen und Koterienbestrebungen nie theilgenommen
hat, ist zweifellos das, was Herr Pattai jüngst so beweglich
beklagte: ein Mißbrauch des Mandats, rückt also die Redlichkeit
der Bestrebungen des Herrn Pattai, durch die Geschäftsordnung
das Abgeordnetenhaus vor Zügellosigkeiten zu befreien, ins
rechte Licht.
Die Interpellation des Herrn Pattai gehört zu jenen
vielen Reklame=Interpellationen, mit denen die
Paprika=Schlesinger=Abgeordneten ihren Ruhm zu mehren suchen.
Man bemerkt das schon an einer Aeußerlichkeit: Herr Pattai,
der in der Interpellation über die „jüdische Presse“ weidlich
schimpft, hat sich beeilt, den Wortlaut der erst heute eingebrachten
Interpellation schon gestern allen „Judenzeitungen“ zuzuschicken
damit sie ja sicher abgedruckt werde. Was ein rechter
Antisemit ist, haßt zwar die jüdische Presse, aber gedruckt
sieht er sich darin doch gern. Ueber den Inhalt der
Interpellationen braucht man unter sothanen Umständen
kein Wort zu verlieren. Nur eine Bemerkung scheint
nöthig. Herr Pattai tadelt die Verleihung des Preises an
Schnitzler auch deshalb, weil die „nichtjüdischen Schriftsteller
Oesterreichs“ — eine hübsche Klassifikation —, „die, schon an sich
in bedrängter, mitunter fast aussichtslosen Lage“, auf
derkei Einrichtungen „als einzige Hoffnung hin¬
blicken“. Wir wissen nicht, in wessen Namen Herr Pattai da
zu reden vermeint, aber wir sind überzeugt, daß es keinen Schrift¬
steller in Oesterreich gibt, der sich nicht schämen wird, sein
geistiges Schaffen so betrachtet und eingeschätzt zu sehen wie etwa
die bedrängte Lage der Wiener Lebensmittelhändler. Zur Ver¬
tretung von Schriftstellern taugt der Jargon des Herrn
Pattai nicht.