VII, Verschiedenes 5, Bauernfeld Preis, Seite 59


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Bauernfeld-Preis
Christen sind Kinder des himmlischen Vaters. Das lehren, genau
die Interpellation Dr. Pattai's im Parlamente über die Ver¬
besehen, alle neutestamentlichen Schriftsteller.
leihung des Bauernfeld=Preises an Schnitzler zeigt, wie gefährlich
Ob diese neutestamentliche Haupt= und Grundlehre unseren
der Antisemitismus ist, und wie er allen Sitten des modernen
Idealen besser entspricht und zur religiösen und ethischen Bil¬
Culturlebens Hohn spricht. Die Interpellation beschuldigt den
dung unserer Kinder sich besser eignet als die von Professor
Unterrichtsminister und mehrere hervorragende Gelehrte, durch
Delitzsch gebrandmarkten Stellen des Alten Testamentes, dürfte
die Verleihung des Preises die nichtjüdischen Dichter zu ver¬
doch zum Mindesten fraglich sein. Hier gilt am Ende doch das
letzen. Es steht einem Jeden frei, literarische Producte zu beur¬
von Professor Delitzsch selbst erwähnte Sprichwort: „Wer in
theilen und sie eventuell geringzuschätzen, wenn sie keinen litera¬
einem Glashause wohnt, soll nicht mit Steinen um sich werfen.“
rischen Werth besitzen. Daß aber bei dieser Kritik, wie es in
Dankbar wäre ich Ihnen, Herr Redacteur, wenn Sie diese
der Interpellation geschieht, die Confession der Maßstab für den
Zeilen veröffentlichen wollten.
Werth der Dichtung ist, hat noch kein Lessing, kein Goethe #ich
Moriz Schwalb,
sonst ein Dichter oder Kritiker gefordert. Freilich, im Geiste der
Dr. theol. Pastor emeritus.
„Deutschen Zeitung“ ist diese Interpellation gehalten, trotzdem
wir meinen, daß einer, wenn er auch nicht das confessionelle
II.
Moment als wichtig für die Kritik erachtet, die sogenannte
Mannheim, 20. März.
Herr Redacteur!
„Deutsche Zeitung“ sammt ihrem literarischen Kren gewiß nicht
zu den ordentlichen deutschen Zeitungen zählen wird. Die dummen
Die „Frankf.=Ztg.“ hat mit Recht hervorgehoben, daß Prof.
Bemerkungen des Blattes darüber zielen im Ganzen dahin,
Delitzsch durch seine neueste Veröffentlichung den Weg der
daß das Blatt in der Ausbreitung des semitischen Geistes
wissenschaftlichen Forschung verlassen hat und zum Tendenz¬
in der Literatur eine Gefahr für diese erblickt, trotz der
schriftsteller geworden ist. Diese Tendenz tritt allerdings auch ##
schamlosen Heuchelei, mit der gegen die Juden zu Werke gegangen
schon in seinem Vortrag zu Tage; denn seine Angriffe richten sich
wird, kann nicht in Abrede gestellt werden, daß die Weltliteratur
lediglich gegen den Offenbarungscharakter des Alten Testaments,
und so auch die deutsche durch das Judenthum beeinflußt und
während er doch consequenter Weise den Glaupen an die Gött¬
gefördert wurde. Die Juden sind es, von denen die Bibel
lichkeit des Neuen Testaments ebenso bekämpfen müßte. Aber
noch mehr, Delitzsch ignorirt fast gänzlich diejenigen Stellen der
stammt, das Buch der Bücher, aus dem bis auf den heutigen
Tag die größten Dichter als aus einem nie versiegbaren Born
Bibel, welche geeignet sind, die reine Ethik derselben zu erweisen
und seine Behauptungen von dem national=particularistischen
schöpften. Von den Jnden stammen alle die anderen heiligen
Bücher, die voll Weisheit und Poesie sind. Von hervorragenden
Geistesbegeiff derselben zu widerlegen. Er citirt den mit der
deutschen Dichtern, die Juden waren, wie z. B. Heine, wollen
Farbenpracht orientalischer Poesie ausgeschmückten „beduinischen
wir hier gar nicht reden, ihr segensreicher Einfluß auf die
Schlacht= und Triumphgesang“ aus Jes. 63, um daraus den
deutsche Literatur ist offenkundig. Die größten Dichter der Ver¬
leidenschaftlichen Haß gegen die andern Völker zu erweisen;
gangenheit haben den Antisemitismus als culturfeindlich, als
aber er verschweigt, daß derselbe Prophet auch Stellen enthält,
hohnsprechend der Lehre Christi verworfen, die hervorragendsten
wie: „Wendet euch zu mir, und es wird euch geholfen werden,
Dichter der Gegenwart sehen in der Judenverfolgung, in dem
alle Enden der Erde, denn ich bin Gott und keiner mehr“ (45.22).
Hasse gegen sie nur den Ausfluß der Verworfenheit des Pöbels,
Und ferner wenige Abschnitte vor jenem „haßerfüllten“ Schlacht¬
und da ist es ganz natürlich, daß die Antisemiten in ihrer
lied: „Und ich werde sie (die Fremden) bringen, nach meinem
gemeinen Weise gegen alle edien Bestrebungen zu Felde ziehen.
heiligen Berge und sie erfreuen in meinem Bethause, ihre
Die erwähnte Interpellation Dr. Pattai's und Genossen bietet Ganzopfer und ihre Wahlopfer werden zum Wohlgefallen sein
das beste Beispiel hufür.
auf meinem Altare denn mein Haus wird ein Bethaus genannt
lsegrig, werden für alle Völker“ (56.,).
Wenn man ein Welturtheil über die Ethik eines Werkes
abgeben will, muß man den Gesammtcharakter desselben in
7 Altes und Neues Testament.*)
Betracht ziehen. Wenn man aber eine Stelle aus dem Zusammen¬
hang reißt und daran Folgerungen knüpft, so entsteht leicht der
Baden=Baden, 20. März.
Verdacht, daß es einem nicht um die Wissenschaft, sondern um
(Im gestrigen Abendblatt der „Frankfurter Zeitung“ habe
die Verfechtung einer Tendenz zu thun ist.
ich mit lebhaftem Interesse, ja, mit Verwunderung, die Worte
Dr. Isak Unna
gelesen, die Sie aus der neuesten Vorrede des berühmten Vor¬
Rabbiner.
trages „Babel und Bibel“ anführen. Diese Worte, namentlich
die dem Buche Jesaja entnommenen, haben mich an eine ganze
Reihe neutestamentlicher Stellen erinnert, die, wie es scheint,
Die innere Befreiung.
dem Gedächtniß auch theologisch gebildeter Christen leicht ent¬
schwinden.
Vor einiger Zeit, es war gleich nach dem zweiten
Im Buche der Offelbarung Johannis — also in einer
Vortrag über „Bahel und Bibel“ von Friedrich Delitzsch,
wahrscheinlich echten Schrift des Lieblingsjüngers Jesu — wird
saß ich in einem Kreis jüdischer Pu##ieiser, den deuen sich
der zur Bestrafung „Babels“, d. h. Roms, zurückkehrende Christus
einer über die Herabsetzung der Bibel durch Delitzsch be¬
dargestellt, wie er an der Spitze eines himmlischen Heeres auf
sonders aufgeregt zeigte. Man dürfe Solches nicht unerwidert#
einem weißen Rosse reitet. Sein Gewand ist mit Blut bespritzt,
lassen, und zwar sollte ein populärer Vortrag über dasselbes
denn er hat „die Kelter des göttlichen Zornes getreten“ (gerade
Thema gehalten werden, um Delitzsch's Irrthümer klarzus
so wie Jahwe in jener Jesajanischen Rede) und das aus jener
Kelter fließende Blut, das Blut des Thieres (d. h. Neros) und
legen. Dieser Gedanke gefiel Manchen, aber man war sicht
seiner Verehrer umfluthet die Stadt in einem Umkreise von
darüber einig, daß zu diesem Zwecke ein christlicher Gelehrter¬
1600 Stadien und reicht den Rossen des messianischen Heeres
gewonnen werden müsse.
bis an die Zügel. (Cap. XIV und XIX.)
Aehnlich erging es mir einige Wochen früher. In einen¬
Jesus von Nazareth selbst, der geschichtliche Christus,
öffentlichen Versammlung wurde der Gedanke angeregt, dase
nennt gelegentlich die Heiden „Hündlein", „Hunde“ vielleicht
eine populäre Schrift über die jüdische Ethik, leicht ver##
gar „Schweine". Den Heiden, die gar viel um das tägliche
ständlich und kurz, auf Kosten eines Vereines gedruckt und
Brod sorgen und lange Gebete plappern, stellt er seine Israeliten
verbreitet werden sollte. Auch dieser Vorschlag fand Beifall —
gegenüber, „deren Vater weiß, was sie bedürfen, ehe sie ihn
als Verfasser wurde jedoch ein christlicher Gelehrter genannte
darum bitten“ und die deshalb, als seine Kinder, „vor Allem
nach Gottes Reich trachten sollen“. (Matth. Cap. VI. VII. XV.)
der übrigens ein recht braver Mann ist, aber vom Juden¬
Am Schluß des Evangeliums des Marcus und an gar
thum blutwenig weiß.
vielen Stellen des „zartesten“ und wie man sagt, liebevollsten
Ich bin davon fest überzeugt und ich bitte, dies ja
Evangeliums des Johannes erklärt Christus (allerdings nicht
nicht als ein Paradoxon gelten zu lassen, daß wir in manchen“
der geschichtliche), daß Alle, die nicht an ihn glauben, dem
Gemeinden christliche Rabbinen gehabt hätten, wenn nicht
Gerichte, dem Tode, dem Zorne Gottes rettungslos verfallen
das Assimilationsstreberthum und die mit ihm auf's Innigste¬
sind. Nur in ihm, nur in „seinem Namen“ ist Heil zu finden.
verknüpfte geistige Knechtschaft durch die antisemitische Be¬
Außer ihm ist nur ewiger Tod und Verdammniß. Nur die
wegung eine Störung gefunden hätte. Wie zur Zeit ins
*) Aus der „Frankfurter Zeitung“.