VII, Verschiedenes 6, Grillparzer Preis, Seite 83

Grillparzer-Preis box 40/2
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6 Ausschnitt aus
Leipziger Tagblatt
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E vom: 27. 1. W. 5
1

Beuilleion.
Wiener Theater.
Von Ludwig Hirschfeld.
Wien, 23. Januar.
Das bemerkenswerteste Ereignis der letzten Theaterwochen, das auf
den ersten Blick gar kein Theaterereignis zu sein scheint, ist die Ver¬
leihung des Grillparzerpreises an Arthur Schnitz

Seit Anzengruber ist kein österreichischer Dichter dieser G
teilhaftig geworden, und von diesem Standpunkte aus ist der Entschluß
der Preisrichter gewiß ein löblicher und erfreulicher zu nennen. Minder
erfreulich ist es aber, zu hören, in welcher Art diese Zuerkennung er¬
folgte. Schnitzler, unser Bester, erscheint da gleichsam als Lückenbüßer,
als ein Ersatzmann aus dem Hintergrunde, auf den man sich im letzten
Augenblick hastig besann, weil sich die Juroren über Wildenbruch und
Schönherr nicht einigen konnten. Noch bedenklicher mutet die Moti¬
vierung des Schiedsspruches an. Die Ehrung gilt seiner im vorigen
Nicht
Jahre am Burgtheater aufgeführten Komödie „Zwischenspiel“
ihm selbst, dem kräftigsten und echtesten des ganzen jungen Wien, nicht
seinen schönsten und stärksten Leistungen, der „Liebelei“, „Der lebendigen
Stunden oder dem „Schleier der Beatrice". Von der Existenz dieser
Werke scheint die Kommission in den ganzen letzten zehn Jahren nichts
bemerkt zu haben. Jetzt besann sie sich plötzlich auf ihre österreichische
Pflicht und Schuldigkeit, und in aller Eile wurde die Komödie „Zwischen¬
spiel“ preisgekrönt, und dadurch als das Beste hingestellt, was in den
letzten drei Jahren auf deutschen Bühnen zur Aufführung gelangt ist,
wie es im Stiftungsbriefe heißt. Nun ist aber gerade Zwischenspiel“
eine zwar sehr feine und geistreiche, aber dennoch schwache Arbeit,
namentlich in dramatischer und theatralischer Hinsicht. Selbst für die
Novellenform wäre dieses bißchen Ehebruchsfabel zu sein und zu körper¬
los, die Art der psychologischen Behandlung zu spitzfindig und zu er¬
müdend. Es wird hier nicht Ehebruch geschrieben, sondern doziert, und
die Gestalten gebärden sich, als ob sie berufsmäßig Psychologie betreiben
würden. Ohne Zweifel ist dieses Stück eines der schwächsten, das der
mise und berühmte Arthur Schnitzler geschrieben hat. und die Begeiste¬
rung der Preisrichter kann man sich nur aus einer gewissen Verlegen¬
heit erklären, aus dem Unvermögen, dem Ausland irgendeine bemerkens¬
werte österreichische, in den letzten drei Jahren entstandene dichterische
Leistung vorzuführen. Es ist dies ein beschämendes Bewußtsein, das
uns alle beherrscht: Publikum, Kritik, Theaterdirektoren, alle, die am
Theater mit dem Geist, dem Gemüt oder der Tasche interessiert sind.
Ueber die erschreckende Sterilität der österreichischen Literatur, insbeson¬
dere der dramatischen, kann man sich keinen Moment täuschen, und alles,
was wir dagegen tun, besteht in der Gründung von neuen Operetten¬
bühnen, in der geschickt geschürten Begeisterung für dieses Genre und in
der Unterbreitung von Majestätsgesuchen — in Sachen der Operette.)
Ober wir befasfen und mit hen Jronanlan „nd #.a ##

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Ausschnitt aus
Wiener Algemeine Zeitung, Wient
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E vom:
2 JAL. 1900
Won Gellparzer zu Schnitzker.] Unter diesem Titel
veröffentlicht heute das „Deutsche Volksblatt“ ein Feuilleton,
das sich in der bekannten Manier dieses edlen Organs darüber
ausläßt, daß ein Jude den Grillparzer=Preis bekommen hat,
Schnitzler, der Sohn eines eingewanderten ungarischen Juden.
Dal aber selbst für das „Deutsche Vorlsblatt“ die Konfession
Schnitzlers kein vollkommen stichhältiger Grund ist, dem
Dichter die Würdigkeit für den Grillparzer=Preis abzusprechen,
so muß natürlich seine schriftstellerische Tätigkeit in Grund und
Boden hinein verdammt werden. Das Blatt bezeichnet daher
Schnitzler als „den Pornographen, der die schlecht parfümierten
Kanapeegeschichten und Sexualanekdoten seines „Reigen“ aus
dem Champagnerrausch liederlicher Chambre separée¬
Stimmungen ihre Anregungen holte."Wir wollen uns natürlich
nicht der ganz überflüssigen Mühe unterziehen, den Literatur¬
gelehrten des „Deutschen Volksblatt“ gegenüber Schnitzler in
Schutz zu nehmen, Schnitzler, dessen künstlerischer Ruf viel zu
fest gegründet ist, als daß derartiges böswilliges Gekläffe über¬
haupt an ihn heranreichen würde. Wenn aber das „Deutsche
Volksblatt“ Schnitzler wieder einmal als Pornographen be¬
zeichnen will, so möge es sich doch darauf besinnen, daß es
sich mit einer solchen „Kritik“ selbst ins Gesicht schlägt. Einen
Pornographen kann Schnitzler nur derjenige nennen, dem
selbst nichts rein ist und der künstlerische Schlderungen,
die er rein nicht zu genießen versteht, in Pornographien ver¬
dreht. Das ist ein Zeichen für die Sinnesart! Gibt es doch
„seltsame Herrschaften“, die selbst Goethes „Faust“ als „un
sittlich“ bezeichnen.