VII, Verschiedenes 10, Antisemitismus, Seite 40

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„OBSERVER
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WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
erschtigkeit, Vien
11.1. 1934.
vom:
Meine Antwort an einen Antisemiten
Wissen Sie übrigens, daß es gerade jene
II.*)
hat? Gibt Ihnen ein derartiges Geschäft
nichtarischen Elemente sind, denen Sie am
nicht zu denken?
Auch in bezug auf die Kunstkritik sind
liebsten jedes Recht in Oesterreich streitig
Das Kapitel Alfred Kerr ist traurig.
Sie, sehr geehrter Herr W., schlecht infor¬
machen würden, die immer wieder einen
Kerr war in Berlin einer der besten, wenn
miert. Der führende Kritiker der „Neuen
Anzengruber, einen Raimund, einen
nicht der beste Förderer aller Talente, ohne
Freien Presse“ war jahrzehntelang der
Nestroy, einen Bauernfeld und einen
Rücksicht darauf, ob es sich um Arier oder
Arier Ludwig Speidel. Neben ihm
Adalbert Stifter verherrlichen?
Nichtarier handelte. War er doch der ge¬
wirkten die Arier Hugo Wittmann,
Können Sie mir aber anderseits auch
treueste Anhänger Gerhart Hauptmanns.
Max Kalbeck, Eduard Pötzl Hermann
nur einen einzigen unter den prominen¬
Daß Alfred Kerr heute die Stellungnahme
Bahr, Vinzenz Chiavacci u. v. a.
ten jüdischen Schriftstellern zeigen, der
dieses großen Dichters, an den ei wie an
Diese wie auch ihre jüdischen Kollegen
sich so weit vergessen hätte, ein Buch
einen Gott glaubte, weh tut, ist doch klar.
fragten nie nach der Abstammung der Schrift¬
zur Hebung des Bierkonsums zu
Und daß er, verbittert in der Emigration
steller, sondern nach deren Begabung. So
schreiben, wie es einer der von Ihnen als
lebend, von seinem schriftstellerischen Tem¬
haben arische und jüdische Kritiker Hans
Leuchten angeführten Schriftsteller getan
perament getragen, sich von Hauptmann
wie
Bartsch gleicherweise
anerkannt
hat, der sich heute so gerne als Ur¬
abwendet, und zwar vom heutigen Gerhart
Schnitzler oder Hoffmannsthal. Richard
teutone grieren möchte... Sie gehören
Hauptmann und nicht vom Hauptmann der
Dehmel, Detlev von Liliencron,
eben auch zu jenen, die (manchmal über¬
„Weber“, kann man ihm bei Gett nicht übe!
Hermann Hesse, Frank Wedekind,
haupt nicht vorhandene) Splitter im
nehmen. Was hat das abei nnt Judentum
Otto Erich Hartleben durchwegs
fremden Auge sehen und den Balken im
und jüdischer Kritik zu tun? Hat dieser
Ararier, wurden von allen in den
eigenen nicht.
jüdische Kritiker früher darnach gefragt, ob
Himmel gehoben. Lesen Sie gefälligst einige
Hauptmann ein Jude oder Nichtjude ist?
Jahrgänge der „Neuen Freien
frühere
Köstlich ist es auch, wie Sie deutsche und
Und nun Lion Feuchtwanger.
Presse“ und des „Neuen Wiener Tagblattes“
jüdische Schriftsteller einander gegenüber¬
„Jud Süß“ ist gewiß an sich keine sympa¬
nach und Sie werden sich davon überzeugen.
stellen und gegeneinander abwägen. Der
thische Erscheinung, da er für den Herzog
Und wie begeistert waren die jüdischen Kri¬
Dichter des „Mauritius“ Wassermann, der
Alexander von Württemberg immer neue
tiker, gegen die Sie so wettern, von Hofrat
Schöpfer des „Jedermann“ Hoffmannsthal,
Mittel zur Schröpfung des Volkes ersinnen
Kamare, von Zuckmayer, sogar von
der Autor des „Anatol“, Schnitzler, der Ver¬
mußte, aber die Gerechtigkeit gebietet, auch
Billinger, der zwar fast Nationalsozialist,
rephan
fasser der „Marie=Antei
seine Verdienste um sein württembergisches
Zweig, der Dichter des „Wie ich es sehe",
jedoch echter und großer Dichter ist.
Volk anzuerkennen. Hatte er doch zahlreiche
Altenberg, werden für die ganze Welt, eb
Es ist eben eine Fabel nur, daß ari¬
neue Industrieunternehmungen, die Arbeit
Sie wollen oder nicht, stets zu den spezifisch
sche Autoren, wenn auch noch so begabt,
schufen, ins Leben gerufen. Warum dieses
österreichischen Schriftstellern gehören.
von der jüdischen Kritik abfällig behan¬
Werk, wie auch andere Bücher Feuchtwangers
Der Arier Richard Strauß ist zweifel¬
delt werden. Das behaupten, von
bei der „neudeutschen“ Intelligenz Anstoß
Literaturhistorikern à la Bartels abge¬
los der größte deutsche Musiker der Ge¬
erregt hat? Ich glaube, aus Neid Feucht¬
sehen, nur die Unfähigen, die Nichts¬
genwart. Sie wissen aber wahrscheinlich
wanger wird überall in der Welt stark ge¬
nicht, daß die Textbücher zu seinen so
könner, die ihr mangelndes Talent durch
lesen.
erfolgreichen Opern der Nichtarier Hoff¬
einen Beweis der Reinrassigkeit ersetzen
Aber seine Bücher, bei denen, neben¬
mannsthal schrieb. Dasselbe war mit
möchten. Es ist ja schon fast ein Jahr
bei gesagt, ein arischer Verlag größte
Mozart, dem die Texte der Nichtarier
vergangen, seitdem die Juden in Deutsch¬
Gewinne einheimste, sind verbreitet, nicht
Da Ponte lieferte.
land aus Kunst und Wissenschaft ver¬
deshalb, weil sie von einem Juden
drängt wurden, aber die früher angeb¬
Aber war Gustav Mahler nicht ebenfalls
stammen, sondern eben deshalb, weil sie
lich unterdrückten arischen Genies sind
ein Musikgenie, nur deshalb nicht, weil er
literarisch wertvoll sind.
noch immer nicht zum Vorschein ge¬
tein Arier war? Und daß neben den Meistern
kommen, trotzdem Dr. Goebbels ihnen
der Operette Johann Strauß, Millöcker,
Thomas Mann ist ein Arier und seine
die Bahn ganz freigemacht hat. Es ist
Lehar, auch Offenbach, Leo Fall, Kalman
Werke, vor allem „Zauberberg“ sind
eben leichter, Wertvolles zu
und Eysler sich wunderbar bewähren, müßte
auch in der ganzen Welt gelesen. Können
verbrennen, als neues Wert¬
Sie doch eines Besseren belehren. Ich meiner¬
Sie sich nicht doch dazu aufraffen, einzusehen,
seits freue mich ungemein, daß mein Vater¬
volles zu schaffen.
daß die künstlerische Qualität
land Oesterreich so viele große Talente sein
Der Dirigent Reichwein wurde stets
einzig und allein entscheidet und daß ein
eigen nennt. Sie sollen sich nur mehren, das
als mittelmäßig bezeichnet, und zwar nicht
Machwerk immer ein Machwerk bleibt, ohne
wurde nur zur Steigerung unseres Ansehens
nur von Juden, sondern auch von jenen
Rücksicht darauf, ob sein Autor ein Arier
in der Welt beitragen. Ist es doch eine Ehre
arischen Kreisen, denen es um Wiens Ruhm
oder Jude ist?
für uns, daß unser kleines Vaterland kulturell
Und
als musikalischer Metropole bangte.
und Ihre Gesinnungs¬
Nur Sie
zu den Großmächten zählt. Blicken Sie doch.
am Tage, an dem er das Dirigieren eines
genossen können einem Lion Feucht¬
um Gotteswillen, um sich! Wo wird der¬
Konzertes aus dem Grunde ablehnte, weil
wanger, einem Jakob Wasser¬
malen in der Welt kulturell so vieles ge¬
im Programm ein Werk von Felix Mendels¬
mann, einem Franz Werfel, einem
leistet, wie in unserem kleinen Lande?
sohn=Bartholdy war, mußte die gesamte
Max Brod, einem Arnold Zweig,
Müßte Sie das, als guten Oesterreicher, nicht
Kulturwelt darüber in ein Hohngelächter
einem Stephan Zweig und einem
auch stolz machen?
ausbrechen. Wissen Sie übrigens, daß der
Beer=Hoffmann jede Begabung
Arier Brahms den Arier Bruckner systema¬
Ich sehe, daß ich heute mein Antwort¬
absprechen, aus diesem einen Geunde,
tisch unterdrückt hat?
schreiben nicht zum Abschluß bringen kann.
weil sie Juden sind. Fragen Sie den
Wissen Sie, daß es ein Jude war
Ich behalte mir vor, auf die letzten Punkte
Meister unserer dramatischen Kunst,
(Hermann Levi), der als erster Wagner¬
Ihres Briefes demnächst zurückzukommen.
Schönherr, ob er derselben Meinung
Werke in Bayreuth dirigierte?
Irene Harand.
ist?
Und auch der Kritiker einer Wiener
Tageszeitung, den Sie in dem Briefe an