VII, Verschiedenes 10, Antisemitismus, Seite 41


tiker, gegen die Sie so wettern, von Hofrat
Kamare, von Zuckmayer, sogar von
Billinger, der zwar fast Nationalsozialist,
jedoch echter und großer Dichter ist.
Es ist eben eine Fabel nur, daß ari¬
sche Autoren, wenn auch noch so begabt,
von der jüdischen Kritik abfällig behan¬
delt werden. Das behaupten, von
Literaturhistorikern à la Bartels abge¬
sehen, nur die Unfähigen, die Nichts¬
könner, die ihr mangelndes Talent durch
einen Beweis der Reinrassigkeit ersetzen
möchten. Es ist ja schon sast ein Jahr
vergangen, seitdem die Juden in Deutsch¬
land aus Kunst und Wissenschaft ver¬
drängt wurden, aber die früher angeb¬
lich unterdrückten arischen Genies sind
noch immer nicht zum Vorschein ge¬
kommen, trotzdem Dr. Goebbels ihnen
die Bahn ganz freigemacht hat. Es ist
eben leichter, Wertvolles zu
verbrennen, als neues Wert¬
volles zu schaffen.
Der Dirigent Reichwein wurde stets
als mittelmäßig bezeichnet, und zwar
nicht
nur von Juden, sondern auch von jenen
arischen Kreisen, denen es um Wiens Ruhm
als musikalischer Metropole bangte. Und
am Tage, an dem er das Dirigieren eines
Konzertes aus dem Grunde ablehnte, weil
im Programm ein Werk von Felix Mendels¬
sohn=Bartholdy war, mußte die gesamte
Kulturwelt darüber in ein Hohngelächter
ausbrechen. Wissen Sie übrigens, daß der
Arier Brahms den Arier Bruckner systema¬
tisch unterdrückt hat?
Wissen Sie, duß es ein Jude war
(Hermann Levi), der als erster Wagner¬
Werke in Bayreuth dirigierte?
Und auch der Kritiker einer Wiener
Tageszeitung, den Sie in dem Briefe an
mich angreifen, hat weder Werner Krauß
noch Gerhart Hauptmann seine Ehrfurcht
versagt, trotzdem diese beiden Größen sich
dem Hitler=Deutschland zur Verfügung ge¬
stellt haben. Er hat es bloß bedauert, daß
insbesondere Gerhart Hauptmann sich selbst
und seinen himmelstürmenden Werken der
früheren Zeit untreu geworden ist. Uebri¬
gens schrieb seinerzeit die „Wiener Zeitung“
selbst, Werner Krauß braucht sich durchaus
nicht zu beeilen, nach Wien zu kommen.
Daß der Goethesche „Faust“ ein geniales
Werk ist, ist eine Binsenwahrheit. Auf Goethe
haben aber diejenigen, die dem National¬
sozialismus nahe sind, kein Recht. sich zu be¬
rufen.
Dieser größte deutsche Dichter wäre,
würde er heute leben, ein entschiedener
Gegner des Nationalsozialismus. Die
Engherzigkeit der Hitlerschen Ideologie
könnte keinesfalls zu diesem großen,
vielleicht größten Dichter aller Zeiten
passen.
Was Sie über Kunst und Bodenständig¬
keit anführen, ist ebenfalls nicht stichhältig.
Der größte deutsche Meister Albrecht
Dürer hatte zum Vater einen Gold¬
schmiedegesellen, der aus dem oberungarischen
Orte Ajtos nach Nürnberg eingewandert ist.
Die Ungarn sind finnisch=mongolischen Ur¬
sprunges. Das Wesen der Kunst Dürers ist
aber — das werden hoffentlich auch Sie zu¬
geben — urdeutsch. Zwischen dem Irrtums¬
begriffe „Rasse“, der Kunst und der Volks¬
zugehorigkeit bestehen eben keine Zusam¬
menhänge, mein Herr. War es nicht ein
Oesterreicher, August von Pettenkofen,
der die Herrlichkeit der ungarischen Puszta
am schönsten veranschaulichte? Und ist nicht
der hervorragendste Komponist Ungarns,
Franz Liszt, ein Kind deutscher Eltern an
der deutsch=ungarischen Sprachgrenze im
heutigen Burgenlande gewesen? Es war ein
Jude, Josef Israels, der den Zauber der
holländischen Landschaft in unübertrefflicher
Weise in seinen Werken festgehalten hat.
Und der Jude Max Liebermann
ist heute noch der größte deutsche Maler
der Gegenwart, wenn es auch den Na¬
tionalsozialisten nicht paßt. Ist es nicht
lächerlich, wenn da die gesamte moderne
Kunst mit einem Schlagwort „Kultur¬
bolschewismus“ abgetan wird, wogegen
Nolde, der doch ein spezifischer Ver¬
treter dieser Richtung ist, auch von den
heutigen Machthabern Deutschlands als
großer Meister gefeiert wird, nur weil er
sich rechtzeitig der Partei angeschlossen
*) Siehe Nr. 18 der „Gerechtigkeit“

Alexander von Württemberg immer neue
Mittel zur Schröpfung des Volles ersinnen
mußte, aber die Gerechtigkeit gebietet, auch
seine Verdienste um sein württembergisches
Volk anzuerkennen. Hatte er doch zahlreiche
neue Industrieunternehmungen, die Arbeit
schufen, ins Lehen gerusen. Wurum dieses
Werk, wie auch andere Bücher Feuchtwangers
bei der „neudeutschen“ Intelligenz Anstoß
erregt hat? Ich glaube, aus Neid Feucht¬
wanger wird überall in der Welt stark ge¬
Aber seine Bücher, bei denen, neben¬
bei gesagt, ein arischer Verlag größte
Gewinne einheimste, sind verbreitet, nicht
deshalb, weil sie von einem Juden
stammen, sondern eben deshalb, weil sie
literarisch wertvoll sind.
Thomas Mann ist ein Arier und seine
Werke, vor allem „Zauberberg“ sind
auch in der ganzen Welt gelesen. Können
Sie sich nicht doch dazu aufraffen, einzusehen,
daß die künstlerische Qualität
einzig und allein entscheidet und daß ein
Machwerk immer ein Machwerk bleibt, ohne
Rücksicht darauf, ob sein Autor ein Arier
oder Jude ist?
Nur Sie und Ihre Gesinnungs¬
genossen können einem Lien Feucht¬
wanger, einem Jakob Wasser¬
mann, einem Franz Werfel, einem
Max Brod, einem Arnold Zweig,
einem Stephan Zweig und einem
Beer=Hoffmann jede Begabung
absprechen, aus diesem einen Grunde,
weil sie Juden sind. Fragen Sie den
Meister unserer dramatischen Kunst,
Schönherr, ob er derselben Meinung
ist?
#—
Dichter des „Mauritius“, Wassermann, der
Schöpfer des „Jedermann“, Hoffmannsthal,
der Autor des „Anato!“, Schnitzler, der Ver¬
fasser
der „Marie Antoiniette“.tephan
Zweig, der Dichter des „Wie ich es sehe“.
Altenberg, werden für die ganze Welt, eb
Sie wollen oder nicht, stets zu den spezifisch
österreichischen Schriftstellern gehören.
Der Arier Richard Strauß ist zweifel¬
los der größte deutsche Musiker der Ge¬
genwart. Sie wissen aber wahrscheinlich
nicht, daß die Textbücher zu seinen so
erfolgreichen Opern der Nichtarier Hoff¬
mannsthal schrieb. Dasselbe war mit
Mozart, dem die Texte der Nichtarier
Da Ponte lieferte.
Aber war Gustav Mahler nicht ebenfalls
ein Musikgenie, nur deshalb nicht, weil er
tein Arier wor? Und daß neben den Meistern
der Operette Johann Strauß, Millöcker,
Lehar, auch Offenbach, Le¬
Fall, Kalman
und Ensler sich wunderbar bewähren, müßte
Sie doch eines Besseren belehren. Ich meiner¬
seits freue mich ungemein, daß mein. Vater¬
land Oesterreich so viele große Talente sein
eigen nennt. Sie sollen sich nur mehren, das
wurde nur zur Steigerung unseres Ansehens
in der Welt beitragen. Ist es doch eine Ehre
für uns, daß unser kleines Vaterland kulturell
zu den Großmächten zählt. Blicken Sie doch.
um Gotteswillen, um sich! Wo wird der¬
malen in der Welt kulturell so vieles ge¬
leistet, wie in unserem kleinen Lande?
Müßte Sie das, als guten Oesterreicher, nicht
auch stolz machen?
Ich sehe, daß ich heute mein Antwort¬
schreiben nicht zum Abschluß bringen kann.
Ich behalte mir vor, auf die letzten Punkte
Ihres Briefes demnächst zurückzukommen.
Irene Harand.