VII, Verschiedenes 10, Antisemitismus, Seite 46

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vom: 17.5.1934
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Gereftete Bücher von Alfred Kantorowicz
Am zehnten Mai fand in Paris die Einweihung der Bibliothek des
verbrannten Buches statt. Bei der Eröffnungsfeler wurde die fol¬
gende Rede gehalten:
Vor einem Jahr wurden im Deutschland Hitlers die Scheiterhaufen
errichtet, auf denen der Extrakt der Literatur seit dem Zeitalter
der Aufklärung in die Flammen geworfen wurde. Reichsminister
Goebbels hielt die „Festrede“ Er nannte diesen Vandalismus einen
„symbolischen Akt“. Es war ein für den Nationalsozialismus symboli¬
scher Akt: er demonstrierte den Beginn der Barbarei in Deutschland.
Herr Goebbels versicherte den Studenten, sie täten gut daran, „#
diese mitternächtige Stunde den Ungeist der Vergangenheit den Flam¬
men anzuvertrauen“. Zum Schluß der Feier, so berichtete der „An¬
griff“, wurde zunächst die erste Strophe des Liedes: „Volk ans Gewehr“
gesungen; dann brauste aus Tausenden und aber Tausenden Kehlen
das Horst-Wessel-Lied auf. So wurde die „symbolische“ Vernichtung
von zweihundert Jahren intellektueller Entwicklung würdig beschlossen.
Seit dieser Zeit sind mehr als dreitausend Bücher und Schriften
von den Nationalsozialisten in Deutschland verboten worden. Einige
Millionen Bände wurden teils verbrannt, teils eingestampft. Allein aus
den berliner Bibliotheken und Volksbibliotheken wurden nach einem
triumphierenden Bericht der Scherlpresse bis zum zwanzigsten Mai
1933 über zehntausend Zentner — ungefähr eine Million Bände
herausgeholt und vernichtet.
Der Kampf des Nationalsozialismus gegen die Vernunft, gegen das
Denken, gegen die Literatur und die Wissenschaft entspringt nicht nur
der kleinbürgerlichen Halbbildung der führenden Männer dieser Be¬
wegung. Sie sind gezwungen, diesen Vernichtungskampf zu führen,
weil ihre Bewegung nur bestehen kann, wenn sie verschleiert statt
aufzuklären; weil ihre Existenz davon abhängt, ob und wie lange es
ihnen gelingt, die Erkenntnisse der rcalen Verhältnisse mit allen Mitteln
zu verhindern. Eine Bewegung, die den Rausch an die Stelle der Er¬
kenntnis, die Phrase an die Stelle der Analyse setzt, muß die Männer
und die Werke der Erkenntnis und der Analyse als Todfeinde ansehen.
Sie muß mit Gewalt, mit Terror, mit Vernichtung verhindern, daß die
Produkte des fortgeschrittenen Bewußtseins von den eigenen Anhän¬
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gern zur Kenntnis genommen oder gar zu Waffen in den Händen der
Feinde dieses Systems der Lüge und Verdrehung werden.
Aber die Spekulation der Herren ist kurzsichtig, wie alle ihre Speku¬
lationen. Grade das Verbot, die Vernichtung mehrerer tausend Werke
von historischer und aktueller Bedeutung hat diese Werke zum inner¬
sten und unverlierbaren Besitz aller derer gemacht, die das große Erbe
des bürgerlichen Zeitalters auch in einer neuen Gesellschaftsordnung
zu bewahren wünschen. Die Barbaren können Lessings historische
Bedeutung nicht rückgängig machen, sie können die Gedichte Heines
nicht aus den Gehirnen derer reißen, die sie lieben; sie können den
großen Hegelschüler Feuerbach nicht dadurch vergessen machen, daß
sie jetzt sein Grab verwüsten. Sie verfolgen den Hegelschüler Karl
Marx mit tödlichem Haß und verleumden seine Lehre; aber sie schaffen
seine Erkenntnisse nicht aus der Welt, wei sie sich der Konsequenz
der Tatsachen auf die Dauer nicht entziehen können. Sie verlagen Ein¬
stein und Hunderte bedeutender Gelehrter; aber sie können die Ergeb¬
nisse der Forschung nicht rückgängig machen. Siegmund Freud wird
nicht dadurch widerlegt, daß sie seine Schriften ins Feuer werfen.
Lenins historisches Werk bleibt, auch wenn sie seine Bücher für
„Schund und Schmutz“ erklären. Voltaire und Spinoza, Heinrich Mann
und Arthur SchnitzlerEgon Erwin Kisch und Bert Brecht, Zola und
Gorki, Lion Feuchtwanger und Jacob Wassermann, Romain Rolland,
André Gide, Upton Sinclair, Stefan Zweig — die lebenden und toten
Schriftsteller und Wissenschaftler, die sie mit ihrem sturen Haß ver¬
folgen, werden nicht dadurch aus der Geschichte eliminiert, daß die
Nationalsozialisten ihre Werke auf eine „Schwarze Liste“ setzen.
Um den intellektuellen Fortbestand, um die Weiterwirkung der
Erkenntnisse, Lehren und Analysen, welche die Barbaren durch Ver¬
bote und Brandstiftung aus der Welt zu schaffen meinen, ist keine
Sorge. Es blieb die Aufgabe der kämpferischen deutschen Emigration,
die äußere Vernichtung kostbarer Bestände der Literatur nach Mög¬
lichkeit zu verhindern. Daran arbeiten wir mit Hilfe französischer,
englischer und amerikanischer Freunde.
Was Sie hier sehen, meine Damen und Herren, ist ein Beginn. Sie
sehen hier einige tausend Bücher aufgestellt, eine Auswahl aus etwa
dreizehntausend Bänden, die bei uns im Keller lagern müssen, weil wir
noch nicht den Raum haben, um alle Bücher unterzubringen. Und selbst
diese dreizehntausend Bände, von denen ich spreche, sind nur ein
Bruchteil jener großen Bibliotheken, die hinzukommen werden, wenn
die französischen und englischen und amerikanischen Freunde uns
weiter helfen. Berühmte Bibliotheken, die unschätzbare und einmalige
Dokumente enthalten, stehen uns zur Verfügung, sobald unsere Freunde
uns das Geld für den Transport dieser Bibliotheken geben. Ich kann,
aus sehr begreiflichen Gründen, diese Bibliotheken nicht bezeichnen;
ich kann die Namen ihrer Besitzer nicht nennen, ohne Personen oder
die Sache zu gefährden. Aber ich kann Ihnen die Versicherung geben,
daß wir diese Bibliotheken aus Deutschland herausschaffen können.
Wie wir das machen? Einige interessierte Herren von der Presse
haben diese Frage gestellt. Darauf werde ich allerdings keine Antwort
geben. So viel kann ich indessen mitteilen; mehrere Bibliotheken, dar¬
unter eine der berühmtesten und wertvollsten deutschen Bibliotheken,
befinden sich bereits in Paris oder in der Schweiz oder in Holland. Ich
appelliere an Sie, meine Damen und Herren, ich appelliere an die Ver¬
treter der Weltpresse, die hier versammelt sind, werben Sie in der
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