VII, Verschiedenes 10, Antisemitismus, Seite 59


Stimmung zu besiegen. Er verstand es,
schon während der ersten Minuten seines
Vortrages die Versammelten zu fesseln,
und bald hatte die Stimmung die ge¬
wohnte Höhe erreicht, die dann auch
während des ganzen Abends nicht mehr
abflaute.
Wir entnehmen den Darstellungen des
Herrn Führer folgendes:
Ich soll heute über das Thema zu
ihnen sprechen: „Haben die Juden schöp¬
ferisch gewirkt?“ Da muß ich als erstes
erwähnen, daß mein Vortrag nur einen
kleinen Ausschnitt aus dem Wirken der
Judenheit bringen kann, denn es würde
über den Rahmen eines Abends weit hin¬
ausgehen, die schöpferische Arbeit der
vielen berühmten und großen Mäner, die
die Juden hervorgebracht haben, auch nur
Die breite Masse des Volkes ist nicht
sehr urteilsfähig und seit Jahrhunderten
wird sie immer wieder von gewissenlosen
Hetzern gegen eine kleine Minderheit auf¬
gewiegelt. Nur den niederträchtigen Me¬
thoden des Hakenkreuzes und seiner Vor¬
läufer ist es zuzuschreiben, daß es heute,
im zwanzigsten Jahrhundert, noch einen
Antisemitismus gibt.
Ehre, wem Ehre gebührt, heißt ein
altes Wort. Aber den Juden, aus deren
Mitte so viele ausgezeichnete Männer
hervorgingen, will man die Ehre ver¬
weigern. Es ist unglaublich, welchen
Brutalitäten die Juden ausgesetzt sind,
und gerade das Volk, das sich zu den
ersten Kulturvölkern re'inete, das
deutsche Volk, hat lner Schritt¬
macherdienste geleistet. (Heftige Pful¬
rufe.) Ich selbst bin Christ, aber ich
habe mich sehr viel mit den Leistungen
der jüdischen Mitbürger beschäftigt.
Ich muß sagen, es ist mir unverständ¬
lich, wie ein denkender Mensch, wie
jemand, der sich in Geschichte, Kunst
und Literatur ein wenig umgesehen
hat, auf dem Standpunkt stehen kann,
die Juden seien minderwertiges Volk.
Vor allem haben wir Christen den
Juden großen Dank zu sagen für ein
außerordentliches Werk, das sie uns ge¬
schenkt haben: Das Alte Testament.
Man hat mir einmal erwidert, dieses Werk
sei kein Produkt der Juden, sondern es be¬
stehe aus göttlichen Weissagungen. Selbst
wenn dieser Standpunkt richtig wäre,
müßte man doch den Antisemiten darauf
antworten: Wenn Gott in seiner Weisheit
gerade das jüdische Volk ausgewählt hat,
um aus seinem Mund zu reden, so dürfte
man doch hieraus wahrlich nicht den
Schluß ziehen, daß dieses Volk minder¬
wertig ist. (Stürmischer Beifall.) Im
Schatten der Bibel ist die ganze Literatur
des Abendlandes aufgebaut, die großen
Maler wurden von ihr beeinflußt. Die
Sprache des Alten Testaments ist von so
großer Gewalt, wie die keines zweiten
Buches der Weltliteratur. Sie ist „rauh
und
wie ein Schlachtgesang
Die
süß wie ein Erntechor“
8 u S
Salomos und
Bücher
Sirach enthalten unerschöpfliche Weis¬
heit; die Tragikomödie Simsons ist die
erste Strindbergiade. Der Jude, der nach
Jesus Christus der größte war, ist Baruch
Spinoza. Er hat nicht nur eine neue
Philosophie, sondern auch eine neue Reli¬
gion geschaffen und wird mit seinen Ideen
noch viele Generationen beeinflussen. Er
hätte, wenn sein Sinn danach gestanden
wäre, die größten Ehren empfangen
und ein reicher Mann werden können. Aber
er zog es vor, ein einfacher Hand¬
werker zu bleiben, und sein Nachlaß be¬
stand aus einigen alten Kleidern.
Von der Habgier, die den Juden so gern
angedichtet wird, ist also hier nichts an¬
zutreffen. Nach Baruch Spinoza ist Hein¬
rich Heine zu nennen, der neben Goethe,
Mörike und Eichendorff der größte
Liederdichter aller Zeiten ist.
Seine Werke wurden in sämtliche Sprachen
übersetzt. Er gehört zu den populärsten
deutschen Dichtern, aber er mußte fern
seiner Heimat im Exil enden und hat nicht
ein einziges Monument in Deutschland.
Aus der etwas älteren Literatur will ich
nur noch den Nobel-Preisträger Paul
Heyse, den unübertroffenen Novellen¬
dichter, nennen.
Die neuere Dichtkunst weist ebenfalls
Prephet“ stehen auf dem Spielplan
aller Opernbühnen. Ebenso „Hoff¬
manns Erzählungen“ von Offen¬
bach, dessen klassische Operetten
gleichfalls aus den Spielplänen richt
wegzudenken sind. Wer kennt nicht
Halévys „Jüdin“ Goldmarks
„Königin von Saba“? Zum Schluß sei
unter den großen Komponisten noch
Gustav Mahler genannt, der auch
als Direktor der damaligen Wiener
Hofoper eine große Rolle gespielt hat.
Unter den zeitgenössischen Malern
einer der hervorragendsten ist der Jude
Max Liebermann. Der heute Fünfund¬
achtzigjährige ist Mitbegründer der Ber¬
liner Sezession, Mitbegründer des Im¬
pressionismus. Er hat sehr viel zu
dem Ruhm der deutschen Kunst
beigetragen. Nichtsdestoweniger
wurde er von einem Goebbels so
schmachvoll behandelt, daß man ihm ein
Dekret übersandte, durch das ihm
das Malen verboten wir d. (Heftige
Pfuirufe.) Wenn man von allem anderen
absicht: Welche unglaubliche Brutalität
liegt darin, einem Mann von 85 Jahren
so viel Kränkung zuzufügen! Weitere be¬
rühmte jüdische Maler sind unter vielen
anderen Isidor Kaufmann, Jehudo
Epstein, Josef Israels.
Vielleicht noch Größeres als auf dem
Gebiet der Kunst haben die Juden in der
Wissenschaft und in der Technik
geleistet. Wir alle wissen, daß seit dem
Mittelalter eine fürchterliche Krankheit
die Menschheit peinigte: die sogenannte
„französische Krankheit“, die Syphilis. Sie
triumphierte über alle Versuche, ihrer
Herr zu werden. Bis der Jude Paul Ehr¬
lich erschien und das Salvarsan erfand.
Seit damals ist die Menschheit von der
Geißel der Lustseuche befreit. Fin anderer
ganz großer jüdischer Arzt ist Wasser¬
mann, ohne dessen nach ihm benannte
Blutprobe Paul Ehrlich vielleicht seine
große Erfindung nicht hätte machen
können.
Die Antisemiten bezweifeln ganz
besonders die technische Be¬
gabung der Juden und doch haben
die Juden gerade hier Außerordent¬
liches geleistet. Da ist u. a. zu nennen
Siegfried Markus, der als einfacher
technischer Arbeiter nach Wien kam
und doch kein Geringerer ist als der
Erfinder des Benzinmotors
und des Benzinautos. Nur war es
ihm nicht vergönnt, das Aufblühen
seiner Erfindung zu sehen. Erst be¬
trächtlich später kamen Benz und
Daimler mit dem Auto heraus. Der
tatsächliche Erfinder des
Kraftwagens ist der Jude
Siegfried Markus. Wenn wir
das Wunder des Radios bestaunen,
dann müssen wir Robert v. Liehens
gedenken, dem die Verstärker¬
röhre zu danken ist, ohne die auch
heute ein Radicempfang nicht möglich
wäre. An dem Haus der Ravag in der
Johannesgasse in Wien kündet eine
Gedenktafel den Ruhm des Juden
Robert v. Lieben, des Erfinders der
Verstärkerröhre. Unbekannt und in
Armut ist Philipp Reiß gestorben
und doch war er der Erfinder
des Telephons. Erst lange nach
ihm haben andere ausgewertet, was
er bereits in den fünfziger Jahren des
19. Jahrhunderts entdeckt hatte.
Eine andere technische Großtat, die be¬
sonders in Deutschland ausgebeutet wird,
ist das lenkbare Luftschiff. Der
Erste, der ein solches gebaut hat, war
aber nicht der Graf Zeppelin, sondern der
jüdische Holzhändler David
Schwarz, der den Sieg seiner Idee
aber nicht mehr erlebte. Erst Zeppelin, der
die Patente gekauft hat, ist damit hervor¬
getreten. Ebensowenig wie Schwarz und
Markus wird Emil Berliner gewürdigt,
der das Mikrophon und das Gram¬
mophon erfunden hat. Er hat es aber
wenigstens noch erlebt, daß ihm seine Er¬
findung Früchte getragen hat. Eine Größe
ersten Ranges ist ferner Albert Ein¬
stein. Seine Relativitätstheorte wird
heute von allen großen Physikern aner¬
kannt, man nennt ihn „der neue Newton“
Ueber 4000 Broschüren wurden über seine
Lehrsätze geschrieben. Diese Leuchte der
Wissenschaft wurde aus Deutschland aus¬
gewiesen und erst kürzlich ist man gegen
seine beiden Töchter gewalttätig vor¬
gegangen, indem man ihre Villa bei Berlin
enteignete und für das Hakenkreuz in Be¬
sitz nahm. Die Nationalsozialisten sehen
nicht darauf, was jemand leistet, sondern,
von einem Wahnsinn befallen, anerkennen
sie nur dann eine Leistung, wenn sie von
einem „Arier“ herrührt.
Unbestreitbare Tatsache ist, daß die
Juden in allen Ländern und auf allen
Gebieten Hervorragendes geleistet
haben. Nur wird es immer wieder
verschwiegen. Von den zwei
Milllarden Menschen, die es auf der
Erde gibt, sind nur 17 Millionen Juden;
das ist lange kein ganzes Prozent.
Aber von den 170 Nobel-Preisträgern
OBERSETZUNGEN
AUS ALLEN SPRACHEN
IN ALLE SPRACHEN
DEMAN
FISCHHOF 3
BEIM HOHEN MARKT: „ANKERUHR“
TELEPHON: U-20-7-14, A-43-8-63
sind 19 Juden, das sind 12 Prozent.
Aber noch ganz anders verschiebt sich
diese Statigtik zugunsten der Juden,
wenn man Deutschland betrach¬
tet. Dort kommen auf über 60 Mil¬
lionen Einwohner 550.000 Juden. Aber
unter den 34 deutschen Nobel-Preis¬
trägern befinden sich 11 Juden, das
sind nicht weniger als 33 Prozent!
deutschen
Wahrlich, die
Juden haben viel zum deut¬
schen Anschen beigetragen!
Zum Dank werden sie verfolgt, mi߬
handelt, ihrer Menschenwürde beraubt.
Als die Emisskre des Hakenkreuzes sich
in Oesterreich breitmachen wollten, war
die Harand-Bewegung eine der ersten, die
aufgestanden ist und erklärt hat, es wäre
eine Niedertracht, Menschen zu verfolgen,
weil sie von einer jüdischen Mutter geboren
wurden. Sie wird nicht rasten, sondern
weiter die Massen aufklären, daß die
jüdischen Mitbürger nicht anders sind als
die Christen. (Lebhafte Bravorufe.) Die
Juden sind wahrlich nicht besser, sie sind
aber auch nicht schlechter als wir. Die An¬
hänger der Harand-Bewegung kennen nur
einen Unterschied zwischen den Men¬
schen, den zwischen Anständig und Un¬
anständig. (Stürmische Bravorufe.)
Es müssen immer neue Kämpfer zu uns
stoßen, die sich gegen das Hakenkreuz
wenden; einer soll dem anderen die Bruder¬
hand reichen, es trennt uns nichts,
nur die Demagogie und Gemein¬
heit von Führern, die sich große Posi¬
tionen schaffen wollten. (Stürmischer
Beifall.)
Die Harand-Bewegung kämpft
für Wahrheit und Gerechtigkeit. Helfen
Sie mit, daß sie bald ihr Ziel er¬
reicht! Wahrheit und Gerechtigkeit sind
das Notwendigste, das wir brauchen, um
wirklichen Frieden anzubahnen und zu be¬
festigen. Werden auch Sie Streiter und
Kämpfer in unseren Reihen. Kämpfen Sie
mit für den wahren Frieden! (Brausender,
minutenlanger Beifall.)
Nachdem sich der minutenlange, stür¬
mische Beifall gelegt hatte, ergriff Doktor
Wolf das Wort, der wiederholt durch Bei¬
fall unterbrochen wurde. Die Rede des
Dr. Zalman wurde mit großem Beifall
aufgenommen. Leider können wir aus
Platzmangel nicht alle Reden wiedergeben.
Wir heben bloß noch hervor, daß eine aus¬
gezeichnete Stimmung bis zum Schluß der
Versammlung herrschte, die erst nach
10 Uhr zu Ende war.