VII, Verschiedenes 11, 1895–1898, Seite 4


So hätte denn das Raimund=Theater seine erste „literarische
Première“ gehabt ...
Man wi.5 antworten: Raimund und Anzengruber,
verle
die da draußen bereits zu Worte gekommen sind, gehörten sozu¬
dem
sagen auch in die Literatur; und wird damit sicher fehlgehen.
soge
Von literarischen Premièren dürften Anzengruber und Raimund
gesch
nicht einmal träumen, wenn sie das zweifelhafte Glück hätten,
Meli
Zeitgenossen der Moderne zu sein.
har
Ich fühle mich gar nicht zu der Untersuchung berufen, was
ber
die sogenannte literarische Première ausmacht; ich könnte nur
dies und jenes äußere Merkmal constatiren das immer zutrifft
Niso
oder zuzutreffen scheint.
und
der
„Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten“, die sich einst
Wah
durch das angelaufene Fenster diest oder jenes Literaten=Casés
erklä
dem trüben Blick gezeigt. Da und dort taucht Einer auf, der
casi
sich sichtlich die Mühe gibt, so auszusehen, als wäre das Stück,
Fer¬
das dort auf der Bühne gegeben wird, sein eigenes, ureigenstes
zun
Werk.
soll
Das ist eine Specialität der literarischen Premièren. Ein
Gab:
Dutzend Herren im Parkett oder Parterre macht bei jedem
Stell
Beifallslaut die befriedigte Autorenmiene. „Hab ich exch doch
Freu
daran gekriegt", und schüttelt bei jedem Zischton die olympische
Pet
Locke: „O über die Dummheit dieses Publicums!“
zwise
Wenn man im Zweifel ist, ob man es mit einer litera¬
dem
rischen Première zu thun hat — die Schablone des Theater¬
der 1
zettels hüllt sich in unverbrüchliches Schweigen — dann frage
gewä
man nach Actschluß Einen aus jenem „Autoren“=Dutzend: „Haben
baldi
Sie sich unterhalten?“
schaft
Schneidet der Betreffende eine Verachtungsgrimasse, halt,
die
das ist eine liierarische Première.
sche
Bei der unterhält man sich nicht und darf sich auch nicht
Präsi
langweilen. Wer das Letztere thut — es soll öfters vorkommen —
arch
hat es sich selbst zuzuschreiben.
hun
Die hübsche kleine Blondine aus Rudolfsheims geseg¬
neten Gefilden, die ich heute nach der Vorstellung vor
dem Theater sagen hörte: „Hübsch ist's, aber ein Lust¬
sa
spiel ist es doch nicht!“ mag sich mit den Manen Arthur
des (
Schnitzlers absinden; das Raimund=Theater aber sei dessen
vergs
zufrieden, daß die heutige Erstaufführung ein so schönes Publicum¬
ragout aufwies. Etwas Gesellschaft, etwas Literatur und recht
werde
viel Rudolfsheim und Fünfhaus! Hermann Sudermann
reiche
aber ist ein Dichter von Gettes Gnaden, und der darf es
aus
sich schon gefallen lassen, daß seine „Heimat“ als literarische
(haftu
Premiere verschrieen wurde.
achtze
Eine merkwürdige, eine hochinteressante Aufführung das!
Magda kundet das Recht des Individuums, die Pflicht
1
gegen sich selbst; aus ihren slammenden Worten klirren rasselnd
den 2
die fallenden Fesseln, die conventionelle Heuchelei dem Weibe
... Deß freut sich das entmenschte Literatenthum.
anlegt
Bravo! Bravo!
Jett betritt Herr Klein als Pfarrer Heffterdingk die
Jute)
Bühne. Und da und dort tönt leise, discret ein verständni߬
druck
inniges, heiteres Kichern. Schau! Schau! Herr Klein imitirt
sprech
seinen Herrn und Director; er erscheint unabsichtlich oder — ab¬
mend
sichtlich in der Maske Müller=Guttenbrunn's. Der
Vorst
schen
Kopf ist unverkennbar — hat sich doch die Guillotine sämmtlicher
Tripi
Wiener Witzblätter an ihm seit Jahren versucht. Die „Heimat“
Aeuß
war auch eine „gesellschaftliche Première“.
aber
Und nun im dritten Acte. Fräulein Barsescu steht auf
putat
der Bühne, die hohe Gestalt scheint noch zu wachsen, die traft¬
malig
volle Stimme vibrirt, die Nasenflügel beben in nervöser Er¬
reise
regung.
Sie, die dem Vaterhause zuliebe sich dem Verführer und
publi
Verderber ihrer Jugend, dem jetzt ungeliebten Manne opfern
Kam
Tage
will, weist dem kalten, herzlosen Streber die Thüre, der für sein
Vorf
eigenes Fortkommen ihr und sein Kind in die Wagschale
werfen will.
Red
Hinaus! Hiraus! Hinaus!
Und da tont von der dichtbesetzten Galerie herunter begeisterter,
unverfalschter, herzbefriedigender Beifallsjubel. Das ist dort oben
so recht selbstverständlich; die Mutterliebe, die allen Bedenken die
Spitze ristet und vor dem Aeußersten nicht zurückschreckt. Es war
auch eine Volkspremiere.
erarische Premiere, gesellschaftliche Premiere, Volkspremiere! Von
Ein schoner Erfolg. Nur traue ich dem befrackten Freunde des

Tichters, der nach dem zweiten Acte danken kam, nicht recht zu,
Hhohen
daß er Warme und Herzenston genug finden wird, Hermann
Sudermann seinen ganzen Wiener Erfolg deutlich zu machen.
st—g.
Kai#
bereit
Im Hofoperntheater sind die Proben zu den beiden
in 2