VII, Verschiedenes 11, 1895–1898, Seite 11

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2. Jänner 1897.
Die Zeit.
Wien, Samstag,
Nr. 118.
erziehung und wie seine neuen Weisheiten alle heißen, längst „über¬
Moralitäten und Hanswurstiaden sprachen von den Brettern herab
wunden“ haben wird, wenn er vielleicht wirklich im Parlamente sitzt
und entfesselten den Musikanten= und Schauspielergeist. Und das alte
oder von der Bühne herab parlamentiert oder auf dem allernenesten
gute Fürstengeschlecht der Habsburger drückte dem allem noch seinen
Drahtseil der Nervengankelkunst tanzt. Wies auch immer kam, in der
besonderen patriarchalischen Stempel auf. Hei, da war gut leben in
Welt und bei ihm selber, stets hatte er noch ein letztes und daraus
Wien! Das Volk nahm an allem theil, in seinen Lustbarkeiten prickelte
quillend, auch wieder ein erstes Wort in Bereitschaft gehabt und wird's
ein künstlerischer Funke, Anmuth, Leichtigkeit, Sinnenfrendigkeit durchdrau¬
auch haben. .... Das ist, was wir Berliner an Hermann Bahr zu
gen das Leben. Dann kam jene Zeit, wo Haydn und Mozart, Beethoven
schätzen wissen.
und Schubert euer Wien zu einem künstlerischen Welteentrum machten.
Hermann Bahr ist für Wien und Oesterreich etwa, was Georg
Grillparzer erstand und Hebbel kam und die Blüte des Burgtheaters
Brandes für den skandinavischen Norden war (oder noch ist): der
hob an. Dem Volk aber erwuchsen in Nestroy, ein Johann Strauß.
große Entbinder. Seit er seinen Fuß auf Wiener Erde gesetzt hat,
Mit dem Wiener Walzer hatte die örtliche Wiener Cultur ihre unver¬
waren mit einem Schlage die Talente da. Und alle sind seiner
löschliche Note bekommen, diese bezaubernde Synthese von Leichtsinn,
helfenden Kunst in niezulösender Dankbarkeit verbunden.
Schwermuth und holder Schwärmerei. Dazu dann noch das Prunk¬
Der erste, der kam, war Arthur Schnitzler, und damit kam
genie eines Makart. Damit war ein Abschluss schon erreicht.
gleich ein echtes Stück vom guten, alten, nun wieder jung gewordenen
Eine Pause mufste kommen, ein Stillschweigen der inneren
Wien. Er ist nicht gar zu schnell berühmt geworden, und das war sein
Sammlung. Das Schöne, das Selbsterrungene musste sich hinein¬
Glück. So bewahrte er sich umso länger seine Naivetät, die gerade bei
senken in die tiefsten Schichten, mufste alles durchdringen und bereiten
ihm von unschätzbarem Jnwelenglanz ist. Er hat etwas Goethisches
für neue Zeiten der Erfüllung, wo die ehemaligen Blüten bereits zu
in seinem Naturell, etwas vom frühen Goethe, in der Art, wie er im
Bestandtheilen eines tragfähigen Fruchtbodens geworden waren. Dass
Volke wurzelt, wie er das Volk fühlt und liebt und wie er doch wieder?
auch diese Uebergangs= und Vorbereitungsperiode nicht gänzlich leer
als der vornehme Herr und denkende Mensch zum Volke sich herab=)
blieb, dass ein Anzengruber in ihr wirken konnte, ist ein besonderes
lässt. Diese Junigkeit der Gemüthsverbindung macht seine Naivetät.
Glück, und das fällt gleichsam außerhalb des Rahmens der Ent¬
Er hat so schöne, schlichte Worte für seine „süßen Mädln“ und die
wicklung. Denn Anzengruber, wie mich däucht, gehört in diesen
süßen Mädln haben die gleichen Worte für ihn. Trotzdem ist er ein
Zusammenhang nicht hinein. Er ist kein Product einer städtischen
neugieriger, wissbegieriger Experimentator. Aber das ist der Unterschied
Cultur. Er gehört dem österreichischen Volke, aber nicht der Stadt
gegen Berlin: hier experimentiert man mit dem Verstande, Schnitzler
Wien. Darin liegt seine einsame Größe, aber auch seine Beschränkung.
thut es mit dem Herzen; bei uns experimentiert man an sorglich zu¬
Denn man möge bedenken, dass die Stadt Wien schließlich doch auch
bereiteten Präparaten, Schnitzler thut es am lebenden Organismus.
dem — österreichischen Volke gehört. Und ist sie nicht sein Ackerland,
Und niemals verwischt er beim Experimentieren den Duft des Lebens.
so ist sie doch sein prangender, tönender Garten.
Er lässt es auf sich wirken in seiner Ganzheit, Unberührbarkeit, er
Das aber ist nun die That unseres Hermann Bahr und
schlürft mit feiner prüfender Zunge seine Poesie. Ja, wenn man es
die darf ich an diesem Orte wohl nennen: er hat die moderne Cultur¬
recht nimmt, experimentiert er eigentlich nur an sich selber. Das Draußen
mission der Stadt Wien, er hat die Entstehungsmöglichkeit einer
liegt heiter, gelassen, nur wenig in Mitleidenschaft gezogen, schankelt
neuen jung=wienerischen Kunst zuerst erkannt. Er ist bekanntlich bloß
in seinen Bahnen ruhig auf und nieder. Aber in ihm selber sitzt der
„ein Herr aus Linz“ — das wäre, was für Berlin etwa „ein Herr
Nerv, der feine, empfindliche, der bei jeder Berührung zuckt, und der
aus Magdeburg“ sein würde. Und wenn er sich erfrecht hat, trotz
stets in der Wonne bereits die Qual, in der Lust die Unlust spürt.
mangelnder Ortsangehörigkeit eine specisisch Wiener junge Kunst
Und dann wieder die Freude, solche Schmerzen empfinden zu können,
ins Leben zu rufen, so mag er auf unser Berlin hinweisen, wo die
weil man soviel edler darum ist, soviel weiser. Und die noch viel
Herren Literaturgründer, wie ausgeführt, nicht etwa aus Magdeburg,
höhere Freude, den ganzen Complex von Schmerzen und Seligkeiten,
sondern viel weiter her zusammengeweht wurden. Hermann Bahr war
diesen wüsten durcheinandergeschlungenen Ballen ineinanderverbissener
aber nicht bloß jener Herr aus Linz, er war auch ein Herr aus Paris,
Amphibien, den mit zarter fühlender Hand sachte aufdröseln zu können,
aus Berlin, ja aus Petersburg. Er kam als ein „guter Europäer“
Worte dafür zu finden, malende Ausdrücke, spiegelnde Verdichtungen!
nach seinem alten lieben Wien (denn das war es ja für ihn) zurück,
Die Sprache zu zwingen, dass sie den Erlebnissen unseres Inneren
und wie er in Wien Europa wiederfand, so entdeckte er in sich —
folgt, die spröde, geizige, verschämte deutsche Sprache, die doch einen
Wien. Er begriff, was Wien werden konnte, wenn es nur ganz wieder
Reichthum in sich birgt und ein fesselloses Jauchzen, eine Biegsamkeit
„Wien“ wurde. Da konnte man nicht, wie in Berlin, aus freier Hand
und herrische Uebergewalt wie — ja, das meine ich wirklich! — wie
etwas aufpfropfen, weil eben vorher noch nichts da war und die
keine zweite Sprache der Welt. Und Schnitzler hat vor allem die
ganze Stadt im Werden stand. Wien musste man als ein Ge¬
Wärme und die Anmuth unserer Sprache und ihre leise, singende
wordenes betrachten, als eine ehrwürdige Culturstätte, und die
Wehmuth.
konnte nur aus sich selber wachsen. Auch die neuen und neuesten Keime
Die kühle Pracht aber, das mystische Leuchten und den wiegenden
mussten tief in das geheimmsvolle Erdreich alter Kunstgewöhnungen
Wohllaut offenbarte unsere Sprache dem jungen Hugo von Hoff¬
eingelassen werden. Dann konnten sie sich zu organischer Blüte entfalten.
mannsthal, den tir in Berlin so gerne noch „Loris“ nennen.
Das war Hermann Bahr wohl kaum von anfang an theoretisch
Welch ein Künstler auf der Harfe sprachlich festgegossener Laute! Wo¬
klar. Er fühlte es aber heraus und er gieng mit entzückender Sicherheit
her kommt die Musik in diese Worte, die wir doch alle, alle brauchen?
seinen Weg — beinahe ins Extrem seines bisherigen Wesens. Welch
Woher in den Sinn und Unsinn dieser magische Hintersinn? Lese ich
ein unruhevoller, zappliger, zapplig sein wollender, buntscheckig
seine Gedichte, so habe ich die Empfindung, dass Schleier hinter
zusammengenähter Schnupperer und Prophet war er doch bei seiner
Schleiern sich lösen, und dass die ganze Ferne dunstig erhellt ist und
Ankunft! Wie kritzelte er uns in „Dora“ seinen „Jan Bludinski“
duftweiß zittert im wehenden Frühhauch, verschwiegen, verrätherisch.
hin! Es passt sehr gut auf ihn selber. Er ist nach dem Examen
Die Geheimnisse unseres Daseins schweben her, gleich schönen verhüllten
kreuz und quer durch die Welt, coureur dunivers, neugierig bei
Frauen, deren Augen funkeln wie Edelsteine, nein, wie Tigeraugen,
allen Völkern herum, auf Abenteuer des Geistes und der Sinne, im
nein, wie Kinderthränen. Und eine wüde Weisheit tropft von hohen
Genusse lernend und genießend in der Lehre, Dandy, Zigenner und
Bäumen, nicht wie welke gekrümmte Blätter im Herbst, sondern schim¬
Dilettant, gern mit der Pose des „guten Europäers“ fünf rasche,
merndem Frühlingsblütenregen vergleichbar. So jung, so müde! So reif
reiche Jahre, bis er am Ende doch die irren Spiele der feinen Nerven
und so getröstet! Und dennoch alle Sehnsucht ausgespannt nach gnaden¬
genug und wie Heimweh nach Ernst und Ordnung, nach irgend einem
voller Erfüllung eines erhebten Daseins. Bilder sehe ich vor mir,
Grate des Lebens bekam“ und nun nicht etwa ins Parlament gieng,
wie vom glanzberauschtenreiben italienischer Renaissancemenschen,
sondern ins Café Griensteidl und später seine Wochenschrift begründete.
stolz und tönend. Aber silbrig ist darüber gegossen der Dust und
Ja, er war „Wiener“ geworden, der vorher so ganz Französling ge¬
Dämmer einer deutschen Mondnacht. Doch kann man auch sagen, dass
wesen war, den wir im Spott schon „Bahrbey de Bahrbarres“ ge¬
seine Worte sind wie Nachtfalter im Sonnenlicht, und dass es aus
nannt hatten. Er schien uns umzuschlagen, hin und her wie die Mode,
ihnen tönt wie das Allegretto eines Trauermarsches. Wir denken an
aber es war rasch zu bemerken, wie sehr er jede Mode verfeinerte, wie
Kleist, Shakespeare, Novalis, wir hören Daute und Goethe reden,
er sie im Grunde erst intelligent machte. Vor allem aber lebte er in den
und vom Orient weht ein Märchenhauch herüber. Aber wir wissen,
dass das bloß Associationen sind, ungreifbare Klang= und Erinnerungs¬
wechselnden Moden nur sein wechselndes Selbst. Er gehört nicht zu
den Menschen, die ein ganzes Leben darnach zu ringen haben, den
bilder, die nimmermehr das Wesen treffen, als welches vielmehr den
Ausdruck für ihre Persönlichkeit zu finden — ihm ist es gegeben, sich
ureigenen Bedürfnissen eines umheimlich vorgeschrittenen, von allen
immer auszudrücken, in jeder Phase, mit jeder Nuance, in allen
Culturen genährten Innenlebens unserer eigensten Zeit entquillt.
Widersprüchen seiner complicierten Geisteswandlungen. Wer möchte so
So wach und hellsichtig spricht dieser junge Mensch zu uns,
pedantisch=albern sein, ihn auf seine Vergangenheit, nein: seine Ver¬
doch stets in verhüllten vieldentigen Worten — wohl kein starker Er¬
gangenheiten festzunageln? Frei und flackernd, wie wabernde Lohe, von
leber, aber ein fühlender Beschauer, ein sensibler Betrachter. Das
jedem Windzug bewegt, jedes Windzuges spottend, rastlos sich
„Leben“, so wie andere es leben, verbannt er aus seiner Sphäre. Er
selber lebend, lachend der greifenden Hand entschlüpfend, ein listig¬
scheut die enge, die entwethende Berührung. Er will nur den Hauch
lustiger Lügner und als Lügner ehrlich, o, viel ehrlicher als die
und Gischtschaum der Dinge und die Sonnenlichter, die darüber spielen,
plumpen Fanatiker der Aufrichtigkeit, die schließlich nur sich selbst be¬
nicht die fressenden chaotischen Gluthen, in denen der brutale Zeugungs¬
trügen — so kennen wir Herrn H. B., und so wird er bleiben, selbst
drang schaffend=zerstörend wühlt. Ob er daher wohl jemals die untersten
wenn er sich noch siebzehnmal häutet, selbst wenn er eines Tages den
Stränge wird packen leinen, bleibt zweiselhaft. Solch frühe Abgeklärt¬
alten Goethe und das junge Wien, die Schönheit, Reifheit, Selbst¬