Die Zeit.
Nr. 118
2. Jänner 1897.
Wien, Samstag,
Seite 8.
aber schärfer und tiefer hin, so hört man das Pochen einer großen
heit, so unheimlich sie wirkt, kann dennoch in ihrer Bewegungsarmnt
Gesundheit, ein stürmisches Gähren werdedrängerischer Säfte. Die
gar leicht einer frühen Erstarrung zutreiben, wo schließlich die Tiefe —
Blasiertheit, das ästhetische Gigerlthum erscheinen dann als bloße
Form wird, weil der Inhalt immer wesenloser ins Aetherische zerstiebt.
Maske, als eine jener ironischen Verkleidungen, wie der moderne
Mir scheint die ganze Richtung der „Blätter für die Kunst“ an solch
Mensch sie liebt, um sein Schamgefühl zu verbergen. „Begeisterung
formalistischer Einseitigkeit zu kranken, auch ihr Oberpriester St. George,
und Declamation sind Mittel, unseren Stoffwechsel zu beschleunigen,
dessen Standbild Hoffmannsthal in schwärmerischer Jüngerschaft vor
also unser Menschenthum zu steigern. Man verjüngt sich dabei. Es ist
uns erhöht hat.
wie ein Turnen von innen.“ In diesem matt=ironischen Ton verstreut
Es sei indes gestattet, auch ein sociales Moment hier zur
P. Altenberg seine hygienischen Pillen. Denn die Kunst ist ihm Hygiene, der
Sprache zu bringen, das gerade an diesem Platz und im Gegensatz zu
wichtigste Zweig der modernen Psycho=Therapie. Rein äußerlich betreibt
Jung=Berlin seine Bedeutung hat. Jene Kunst, wie sie Hoffmanns¬
er sie natürlich mehr als Gourmandise, als ein Schlürfen und Schlecken
thal und mit ihm die anderen Jung=Wiener vertreten (daneben
seltener Speisen, und daher verdirbt man sich an seinem Austerngericht,
auch Stesan George und die Seinen), sie erscheint mir nicht bloß
so lange man noch unerfahren ist, leicht den Magen. Erst wenn man
als das Product einer durchsättigten Cultur, sondern auch eines
Sect vom Eigenen hinzuzuthun hat, findet man alles wohlschmeckend
sorgenlosen, behaglichen, selbst üppigen Lebens. Sie ist gewisser¬
und gut bekömmlich.
maßen eine Kunst der Millionärssöhne (wobei ich bitte, dieses Wort
Das ist das Wienerische an Peter Altenberg, dass er sich auf
nicht etwa pedantisch zu nehmen). Eine gewisse Blasiertheit, Luxus¬
den Gecken hinausspielt. Was bleibt dem Wiener, zumal dem vorge¬
gewöhnung, selbst Temperamentlosigkeit spricht aus ihr. Man hat
schrittensten, anderes übrig, wenn er den ungeheuren Glanz der cul¬
alles haben können, was man wollte; man hat seine Kräfte ausgeben
turellen Tradition in Nerven und Gliedern hat, und dabei die Lauheit
und schonen können, wie und wo man wollte; was es heißt, dass
und Halbheit der politischen Gegenwart, die Lahmheit der städtischen
einem das Wasser zur Kehle schwillt, das weiß man nicht; man glaubt
Entwicklung, die stetig wachsende Unklarheit auf dem Boden der Rassen¬
sogar nicht daran, wenn man von anderen derartiges vernimmt; und
vermengung bitter und lebhaft bei sich empfidet? Der Pariser, der
doch gibt es das wohl, gibt's gerade in Jung=Berlin, wo mehr als
Londoner fühlt sich ganz anders als treibender Mittelpunkt der Welt.
einer von den „Vätern“ unserer neuen Kunst dem grauen Hunger¬
Er fühlt, welch neue Bewegungen immer noch von seiner Heimatstadt
gespenst ins Auge geblickt hat. Daher ist die Berliner Kunst soviel
ausgehen, und wie der Glanz errungener (oder auch eingebildeter)
unruhiger, soviel stürmischer, düsterer, revolutionärer, auch soviet galgen¬
Machtstellungen nach außen und innen eine rauschvolle Suggestion
lustiger und ausschweifender als die Wiener Kunst, die heiter auf
erzeugt. Der Berliner und Petersburger wähnt mit naiver Sicherheit
sicheren Bäumen wächst und, indem sie das Zerrbild dieser Welt be¬
die Zukunft bereits in seinem Netze eingefangen zu haben. Der Wiener,
trachtet, doch selig dem Schlagen der Nachtigall lauscht.
wie auf etwas anderer Grundlage wohl auch der Römer, findet erst
Noch dentlicher selbst als aus Hoffmannsthal spricht das melan¬
in der Ablehnung „heroischer" Wallungen das nöthige Gleich¬
cholische, alte, leuchtende Blut sich verwandelnder Geschlechter aus
gewicht für seine Existenz. Wenn aber nun trotzdem ein markanter
Leopold Andrian zu uns. Er hat bloß ein dünnnes Büchlein ver¬
heroischer Zug im einzelnen Individuum vorhanden ist, was wird es
öffentlicht, den „Garten der Erkenntnis“, aber er brauchte nichts
thun? Es wird ihm eine Narrenkappe aufsetzen und unter der Narren¬
weiteres mehr zu schreiben — seine Stellung in der Literaturgeschichte
kappe her weise und zornig und muthvoll reden, und so thut meiner
bliebe ihm gesichert. Ich liebe diesen zarten, blassen Prinzen mit den
Ansicht nach Peter Altenberg.
zuckenden Lippen und den fragenden, wissenden Augen, sowie ich seltene
Er selbst ist ein starker und eigenthümlicher Repräsentant der
Blumen liebe, von denen ich weiß, dass sie Letztlinge sind, und deren
„neuen Rasse“, an deren Heraufkommen er arbeitet, und für die ihm
sterbende Farben und süß=kranken Duft ich mit wehmüthiger Andacht
die Kunst ein wertvolles Beförderungsmittel ist. Er betet nicht, wie
genieße. So ist es auch mit dieser Kunst. Sie entzückt, aber sie
etwa Hoffmannsthal und Andrian, zur allheiligen Ruhe. Seine Göttin
bewegt nicht, sie treibt nicht an, treibt nichts aus uns heraus. Man
ist die Bewegung, das stürmische Leben in seinem Ueberschwang bis
kann darüber einschlafen, selig lächelnd. Ein holdes Todesliedchen ist
zur Verzerrung (Pacquerettel). Dabei affectiert er aber in-Auftreten
sie, mit Engelharfenbegleitung. Der ganze Katholicismus steht da¬
und Gebaren durchaus den ruhigen, skeptischen, illusionslosen, ironischen
igung und Seelen¬
hinter mit all' seinen Künsten der Seelenbesch#
Weltmann. Er will sich nicht lächerlich machen; darum macht er selber
noch matte, aber
betäubung. Er ist Aesthetismus geworden, de
sich lächerlich. Und er hängt seine Zärtlichkeit und Liebe an allerhand
unendlich verfeinerte Eindrücke in sich aufnimm, vom Wohlleben er¬
seelisch verkrüppelte Halbbruder=Wesen, deren einziger Vorzug es mit¬
müdet. Natürlich kennt man auch Sorgen. Aber die Sorgen selbst
unter ist, dass sie an seiner Seite eine passable Ringstraßenfigur
sind Luxusgefühle. Sie entstammen nicht irgend welchen „realen“
bilden mögen.
Verhältnissen, sondern einer unsichtbaren, allgegenwärtigen Lebensangst.
Wenn man seine Philosophie bezeichnen soll, so kann man sie
Die ist wie ein Alpdruck nahe, oft in der fürchterlichen Larve der
wohl einen ästhetischen Materialismus neunen, eben im Sinne jenes
gähnend schleichenden Langeweile. Dann fangen die Nerven an sich
oben angeführten Dictums. Er behandelt die Seele durchaus vom
zu ängstigen, sie bekommen das böse Gewissen. Arbeit wollen sie haben,
Leibe aus, und so weckt er die Cultur des ästhetischen Sinnes durch
sie haschen und suchen, schaffen sich Wahngebilde und Visionen. Und
eine raffiniert=systematische Cultur aller Sinne. „Heller goldgelber
aus dieser Unruhe entsteht dann entweder Wahnsinn oder — Kunst.
Thee, Gingerbreads und Marrons glacés“ gewinnen so auf indirectem
Jeder Jesuit wird mir's bestätigen. Nur wird er beides vielleicht —
Wege einen rein ästhetischen Wert. Es ist leicht über derlei Narretei
Religion nennen.
zu lachen. Man spüre aber auch ihren Ernst! Und ich habe mir nun
„Der Erwin“ (wie reizend=affectiert dieses „Der“!) ist, hof¬
einmal in den Kopf gesetzt, Herrn Peter Altenberg ernst zu nehmen,
fentlich mehr als sein Dichter, solch eine schwanke Gestalt auf schmalem,
gerade weil alle Welt über ihn glaubt lachen zu können.
gefährdetem Lebensgrat. Er will — erkennen! Was?! Das Leben!
Auch bereitet er mir in keiner Weise mehr Magenweh. Diese
Sich selbst! Aber vom Leben ist er immer „wie durch eine andere
Kinderkrankheit hab' ich — „überwunden“.
Luft getrennt". Und sich selbst sucht er stets in anderen, denen er an¬
Franz Servacs.
hängt, fast mit der Empfindung eines Weibes („der schöne Sieg oder
das noch viel schönere Besiegtsein"!). Weder in sich, noch im Leben
vermag er wahrhaft aufzugehen. Ueberall ist der Contact zerrissen und
Die Romantik auf der Bühne.
durchlöchert. Das dionysische Gefühl ranschvoller Auflösung ins un¬
Von Roberto Bracco (Neapel).
geheure Ganze mangelt ihm vollständig. Er hat niemals den großen
Im allen etwaigen Missverständnissen von vornherein entgegenzu¬
Pan gesehen. Er ist ein vom Muttercentrum losgerissener Nerv.
treten, bemerke ich vor allem, dass ich in diesem Aufsatze dem
Da muss er denn freilich sterben — „ohne erkannt zu haben“.
So hinterläfst dieses seltene Buch künstlerischer Begnadung doch
Worte „Romantik“ die durchaus moderne, bescheidene und gemeine
einen beklemmenden General=Eindruck. Ich weiß nicht, ob es anderen
Bedeutung beilege und nicht die erlesene Bedeutung, durch die eine
hervorragende literarische Schule sich von jener der Classiker unter¬
so ergeht, aber mich quält die Frage: Was kann daraus noch für
scheiden wollte. Es ist die Bezeichnung eines jener großen Missver¬
ein Neues, Zukünftiges entstehen? Mir erschien es noch stets als das
ständnisse, die die italienische Bühne schädigen, und die den breiten,
Nothwendigste in der Kunst, dass sie eine starke Zukunftsillusion in
besonnten Weg versperren, der dem Vorwärtsschreiten der Jünger der
sich trägt, dass da etwas vorschwebt, zu dem hin man alle Kräfte
dramatischen Kunst günstig ist. Zu dem verderblichen Irrthum tragen
spannt, und wenn sie darüber zerbrechen sollten. So schuf und wirkte
in erheblicher Weise meine Collegen von der Kritik bei, die unter dem
Michel Angelo. Er hat nie gekonnt, was er wollte. Aber gerade
Deckmantel der journalistischen Dreistigkeit und Zwanglosigkeit die Un¬
dadurch ist er uns verehrungswürdig. Auch wir schauen noch hin
wissenheit und den Mangel an gutem Geschmack und richtigem Ver¬
nach seinem Ziele, und so fühlen wir uns ihm im Streben ver¬
ständuis zu verbergen trachten, die für die Urtheilsfähigkeit so sehr
bunden. Das heißt: Wirkung in die Jahrhunderte hinaus — und die
nothwendig sind. Und das Missverständnis entspringt einer merk¬
will jede Kunst doch schließlich haben.
würdigen und kleinlichen Verwechslung.
Aber es kann sein, dass ich mich irre. Vielleicht sind gerade
Man verwechselt nämlich mit der „Romantik“ die Kunst, die
jene psychischen Enderscheinungen, wie die Wiener sie uns schildern,
sich erlaubt, nicht nur ausschließlich alles Häfsliche, alles Abstoßende,
Uebergangsphänomene, und darum ihrer Zukunftswirkung in einem weit
alles Rohe und Kalte zu reproducieren, was das Leben darbietet.
feineren Sinne, als wir vielleicht heute ahnen, sicher. Eine wunderliche
Man findet auf der Bühne die Person, die liebt und geliebt ist, die
Zuversicht dahin gibt mir der letzte Jung=Wiener, den ich hier nennen
weint, die verzweifelt und die sich opfert; man fühlt von da oben
will, Peter Altenberg. Da scheint auf den ersten Blick alles deka¬
einen Hauch zarter und vornehmer Empfindung kommen, eine Leiden¬
dent und raffiniert und übertrüffelt; siech und überreizt. Horcht man
Nr. 118
2. Jänner 1897.
Wien, Samstag,
Seite 8.
aber schärfer und tiefer hin, so hört man das Pochen einer großen
heit, so unheimlich sie wirkt, kann dennoch in ihrer Bewegungsarmnt
Gesundheit, ein stürmisches Gähren werdedrängerischer Säfte. Die
gar leicht einer frühen Erstarrung zutreiben, wo schließlich die Tiefe —
Blasiertheit, das ästhetische Gigerlthum erscheinen dann als bloße
Form wird, weil der Inhalt immer wesenloser ins Aetherische zerstiebt.
Maske, als eine jener ironischen Verkleidungen, wie der moderne
Mir scheint die ganze Richtung der „Blätter für die Kunst“ an solch
Mensch sie liebt, um sein Schamgefühl zu verbergen. „Begeisterung
formalistischer Einseitigkeit zu kranken, auch ihr Oberpriester St. George,
und Declamation sind Mittel, unseren Stoffwechsel zu beschleunigen,
dessen Standbild Hoffmannsthal in schwärmerischer Jüngerschaft vor
also unser Menschenthum zu steigern. Man verjüngt sich dabei. Es ist
uns erhöht hat.
wie ein Turnen von innen.“ In diesem matt=ironischen Ton verstreut
Es sei indes gestattet, auch ein sociales Moment hier zur
P. Altenberg seine hygienischen Pillen. Denn die Kunst ist ihm Hygiene, der
Sprache zu bringen, das gerade an diesem Platz und im Gegensatz zu
wichtigste Zweig der modernen Psycho=Therapie. Rein äußerlich betreibt
Jung=Berlin seine Bedeutung hat. Jene Kunst, wie sie Hoffmanns¬
er sie natürlich mehr als Gourmandise, als ein Schlürfen und Schlecken
thal und mit ihm die anderen Jung=Wiener vertreten (daneben
seltener Speisen, und daher verdirbt man sich an seinem Austerngericht,
auch Stesan George und die Seinen), sie erscheint mir nicht bloß
so lange man noch unerfahren ist, leicht den Magen. Erst wenn man
als das Product einer durchsättigten Cultur, sondern auch eines
Sect vom Eigenen hinzuzuthun hat, findet man alles wohlschmeckend
sorgenlosen, behaglichen, selbst üppigen Lebens. Sie ist gewisser¬
und gut bekömmlich.
maßen eine Kunst der Millionärssöhne (wobei ich bitte, dieses Wort
Das ist das Wienerische an Peter Altenberg, dass er sich auf
nicht etwa pedantisch zu nehmen). Eine gewisse Blasiertheit, Luxus¬
den Gecken hinausspielt. Was bleibt dem Wiener, zumal dem vorge¬
gewöhnung, selbst Temperamentlosigkeit spricht aus ihr. Man hat
schrittensten, anderes übrig, wenn er den ungeheuren Glanz der cul¬
alles haben können, was man wollte; man hat seine Kräfte ausgeben
turellen Tradition in Nerven und Gliedern hat, und dabei die Lauheit
und schonen können, wie und wo man wollte; was es heißt, dass
und Halbheit der politischen Gegenwart, die Lahmheit der städtischen
einem das Wasser zur Kehle schwillt, das weiß man nicht; man glaubt
Entwicklung, die stetig wachsende Unklarheit auf dem Boden der Rassen¬
sogar nicht daran, wenn man von anderen derartiges vernimmt; und
vermengung bitter und lebhaft bei sich empfidet? Der Pariser, der
doch gibt es das wohl, gibt's gerade in Jung=Berlin, wo mehr als
Londoner fühlt sich ganz anders als treibender Mittelpunkt der Welt.
einer von den „Vätern“ unserer neuen Kunst dem grauen Hunger¬
Er fühlt, welch neue Bewegungen immer noch von seiner Heimatstadt
gespenst ins Auge geblickt hat. Daher ist die Berliner Kunst soviel
ausgehen, und wie der Glanz errungener (oder auch eingebildeter)
unruhiger, soviel stürmischer, düsterer, revolutionärer, auch soviet galgen¬
Machtstellungen nach außen und innen eine rauschvolle Suggestion
lustiger und ausschweifender als die Wiener Kunst, die heiter auf
erzeugt. Der Berliner und Petersburger wähnt mit naiver Sicherheit
sicheren Bäumen wächst und, indem sie das Zerrbild dieser Welt be¬
die Zukunft bereits in seinem Netze eingefangen zu haben. Der Wiener,
trachtet, doch selig dem Schlagen der Nachtigall lauscht.
wie auf etwas anderer Grundlage wohl auch der Römer, findet erst
Noch dentlicher selbst als aus Hoffmannsthal spricht das melan¬
in der Ablehnung „heroischer" Wallungen das nöthige Gleich¬
cholische, alte, leuchtende Blut sich verwandelnder Geschlechter aus
gewicht für seine Existenz. Wenn aber nun trotzdem ein markanter
Leopold Andrian zu uns. Er hat bloß ein dünnnes Büchlein ver¬
heroischer Zug im einzelnen Individuum vorhanden ist, was wird es
öffentlicht, den „Garten der Erkenntnis“, aber er brauchte nichts
thun? Es wird ihm eine Narrenkappe aufsetzen und unter der Narren¬
weiteres mehr zu schreiben — seine Stellung in der Literaturgeschichte
kappe her weise und zornig und muthvoll reden, und so thut meiner
bliebe ihm gesichert. Ich liebe diesen zarten, blassen Prinzen mit den
Ansicht nach Peter Altenberg.
zuckenden Lippen und den fragenden, wissenden Augen, sowie ich seltene
Er selbst ist ein starker und eigenthümlicher Repräsentant der
Blumen liebe, von denen ich weiß, dass sie Letztlinge sind, und deren
„neuen Rasse“, an deren Heraufkommen er arbeitet, und für die ihm
sterbende Farben und süß=kranken Duft ich mit wehmüthiger Andacht
die Kunst ein wertvolles Beförderungsmittel ist. Er betet nicht, wie
genieße. So ist es auch mit dieser Kunst. Sie entzückt, aber sie
etwa Hoffmannsthal und Andrian, zur allheiligen Ruhe. Seine Göttin
bewegt nicht, sie treibt nicht an, treibt nichts aus uns heraus. Man
ist die Bewegung, das stürmische Leben in seinem Ueberschwang bis
kann darüber einschlafen, selig lächelnd. Ein holdes Todesliedchen ist
zur Verzerrung (Pacquerettel). Dabei affectiert er aber in-Auftreten
sie, mit Engelharfenbegleitung. Der ganze Katholicismus steht da¬
und Gebaren durchaus den ruhigen, skeptischen, illusionslosen, ironischen
igung und Seelen¬
hinter mit all' seinen Künsten der Seelenbesch#
Weltmann. Er will sich nicht lächerlich machen; darum macht er selber
noch matte, aber
betäubung. Er ist Aesthetismus geworden, de
sich lächerlich. Und er hängt seine Zärtlichkeit und Liebe an allerhand
unendlich verfeinerte Eindrücke in sich aufnimm, vom Wohlleben er¬
seelisch verkrüppelte Halbbruder=Wesen, deren einziger Vorzug es mit¬
müdet. Natürlich kennt man auch Sorgen. Aber die Sorgen selbst
unter ist, dass sie an seiner Seite eine passable Ringstraßenfigur
sind Luxusgefühle. Sie entstammen nicht irgend welchen „realen“
bilden mögen.
Verhältnissen, sondern einer unsichtbaren, allgegenwärtigen Lebensangst.
Wenn man seine Philosophie bezeichnen soll, so kann man sie
Die ist wie ein Alpdruck nahe, oft in der fürchterlichen Larve der
wohl einen ästhetischen Materialismus neunen, eben im Sinne jenes
gähnend schleichenden Langeweile. Dann fangen die Nerven an sich
oben angeführten Dictums. Er behandelt die Seele durchaus vom
zu ängstigen, sie bekommen das böse Gewissen. Arbeit wollen sie haben,
Leibe aus, und so weckt er die Cultur des ästhetischen Sinnes durch
sie haschen und suchen, schaffen sich Wahngebilde und Visionen. Und
eine raffiniert=systematische Cultur aller Sinne. „Heller goldgelber
aus dieser Unruhe entsteht dann entweder Wahnsinn oder — Kunst.
Thee, Gingerbreads und Marrons glacés“ gewinnen so auf indirectem
Jeder Jesuit wird mir's bestätigen. Nur wird er beides vielleicht —
Wege einen rein ästhetischen Wert. Es ist leicht über derlei Narretei
Religion nennen.
zu lachen. Man spüre aber auch ihren Ernst! Und ich habe mir nun
„Der Erwin“ (wie reizend=affectiert dieses „Der“!) ist, hof¬
einmal in den Kopf gesetzt, Herrn Peter Altenberg ernst zu nehmen,
fentlich mehr als sein Dichter, solch eine schwanke Gestalt auf schmalem,
gerade weil alle Welt über ihn glaubt lachen zu können.
gefährdetem Lebensgrat. Er will — erkennen! Was?! Das Leben!
Auch bereitet er mir in keiner Weise mehr Magenweh. Diese
Sich selbst! Aber vom Leben ist er immer „wie durch eine andere
Kinderkrankheit hab' ich — „überwunden“.
Luft getrennt". Und sich selbst sucht er stets in anderen, denen er an¬
Franz Servacs.
hängt, fast mit der Empfindung eines Weibes („der schöne Sieg oder
das noch viel schönere Besiegtsein"!). Weder in sich, noch im Leben
vermag er wahrhaft aufzugehen. Ueberall ist der Contact zerrissen und
Die Romantik auf der Bühne.
durchlöchert. Das dionysische Gefühl ranschvoller Auflösung ins un¬
Von Roberto Bracco (Neapel).
geheure Ganze mangelt ihm vollständig. Er hat niemals den großen
Im allen etwaigen Missverständnissen von vornherein entgegenzu¬
Pan gesehen. Er ist ein vom Muttercentrum losgerissener Nerv.
treten, bemerke ich vor allem, dass ich in diesem Aufsatze dem
Da muss er denn freilich sterben — „ohne erkannt zu haben“.
So hinterläfst dieses seltene Buch künstlerischer Begnadung doch
Worte „Romantik“ die durchaus moderne, bescheidene und gemeine
einen beklemmenden General=Eindruck. Ich weiß nicht, ob es anderen
Bedeutung beilege und nicht die erlesene Bedeutung, durch die eine
hervorragende literarische Schule sich von jener der Classiker unter¬
so ergeht, aber mich quält die Frage: Was kann daraus noch für
scheiden wollte. Es ist die Bezeichnung eines jener großen Missver¬
ein Neues, Zukünftiges entstehen? Mir erschien es noch stets als das
ständnisse, die die italienische Bühne schädigen, und die den breiten,
Nothwendigste in der Kunst, dass sie eine starke Zukunftsillusion in
besonnten Weg versperren, der dem Vorwärtsschreiten der Jünger der
sich trägt, dass da etwas vorschwebt, zu dem hin man alle Kräfte
dramatischen Kunst günstig ist. Zu dem verderblichen Irrthum tragen
spannt, und wenn sie darüber zerbrechen sollten. So schuf und wirkte
in erheblicher Weise meine Collegen von der Kritik bei, die unter dem
Michel Angelo. Er hat nie gekonnt, was er wollte. Aber gerade
Deckmantel der journalistischen Dreistigkeit und Zwanglosigkeit die Un¬
dadurch ist er uns verehrungswürdig. Auch wir schauen noch hin
wissenheit und den Mangel an gutem Geschmack und richtigem Ver¬
nach seinem Ziele, und so fühlen wir uns ihm im Streben ver¬
ständuis zu verbergen trachten, die für die Urtheilsfähigkeit so sehr
bunden. Das heißt: Wirkung in die Jahrhunderte hinaus — und die
nothwendig sind. Und das Missverständnis entspringt einer merk¬
will jede Kunst doch schließlich haben.
würdigen und kleinlichen Verwechslung.
Aber es kann sein, dass ich mich irre. Vielleicht sind gerade
Man verwechselt nämlich mit der „Romantik“ die Kunst, die
jene psychischen Enderscheinungen, wie die Wiener sie uns schildern,
sich erlaubt, nicht nur ausschließlich alles Häfsliche, alles Abstoßende,
Uebergangsphänomene, und darum ihrer Zukunftswirkung in einem weit
alles Rohe und Kalte zu reproducieren, was das Leben darbietet.
feineren Sinne, als wir vielleicht heute ahnen, sicher. Eine wunderliche
Man findet auf der Bühne die Person, die liebt und geliebt ist, die
Zuversicht dahin gibt mir der letzte Jung=Wiener, den ich hier nennen
weint, die verzweifelt und die sich opfert; man fühlt von da oben
will, Peter Altenberg. Da scheint auf den ersten Blick alles deka¬
einen Hauch zarter und vornehmer Empfindung kommen, eine Leiden¬
dent und raffiniert und übertrüffelt; siech und überreizt. Horcht man