VII, Verschiedenes 11, 1899–1901, Seite 8

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1. Miscellaneons
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Deuische
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¼
Der im Jahrbuch des Burgtheaters ent¬
haltenen Statistik zufolge vertheilen sich die Zahlen der Auf¬
führungen dieser Bühne auf einzelne Autoren wie folgt. Der
Meistaufgeführte ist — Arthur Schnitzler mit 38 Vor¬
stellungen von 5 Stücken; dann folgt Hauptmann (26).—
Schiller und Suderman (je 22), diesen zunächst Felix
Philippi (21); Hofmannsthal hat es auf eben¬
soviel Aufführungen gebracht wie — Grillparzer,
nämlich 14, ein trauriges Zeichen für den gegenwärtigen
Zustand des Burgtheaters. Ludwig Fulda (12) und Georg
Hirschfeld (10) überholen Namen wie Goethe (9),
Lessing und Otto Ludwig, die überhaupt nur ein¬
mal (l) erscheinen. Von Friedrich Hebbel wurde im
abgelaufenen Spieljahre überhaupt kein Stück auf¬
geführt; Henrik Ibsen, als dessen Prophet der gegen¬
wärtige Leiter des Burgtheaters Dr. Schlenther gilt,
findet man — viermal, dafür Victorien Sardou fünf¬
zehnmal. Das ist das Niveau, auf welches die vordem „erste
Bühne Deutschlands“ unter Schlenther herabgedrückt er¬
scheint. Damit stimmt auch das jämmerliche Repertoire
des Burgtheaters: „Agnes Jordan“, „Georgette“, „Frau
Susanne", „Der verarmte Edelmann“, „Ein Attaché“, „Der
Probepfeil“ „Der Hüttenbesitzer“ — das nennt sich eine
deutsche, einführende Bühme am Ausgange des neunzehnten
Jahrhunderts! An eine gute „Faust“=Aufführung, an die
„Agnes Bernauer“ denkt man nicht. Wozu auch? Wir
haben ja die Herren Schnitzler. Hirschfeld, Bernstein, Fulda, us
100 Blumenthal, Lindau, Hofmannsthal, Philippi, Siegmund
das
Schlesinger, Faber=Goldschmidt, Kadelburg, Herzl, Doczi¬ gen
Abonn Dux und Triesch; das sind vierzehn Juden, die den Stock
Abon des derzeitigen Burgtheater=Repertoires bilden.
Theater, Kunst und Literatur
IN
Hofburgtheater.
(Zum erstenmale: „Hans“, Schauspiel in drei Aufzügen von#)
Max Dreyer. — „I lore yon“, Lustspiel in eiuem Act von“
Theodor Herzl.)
Nach langer Pause wieder einmal ein Novitäten¬
abend, und zwar ohne Kainz, was in einer
Zeit, in der Gegenwart und Zukunft des Burgtheater¬
repertoites auf die künstlerische Vielseitigkeit dieses Schau¬
spielers aufgebaut sind, besonders hervorgehoben werden muß.
Und noch ein anderer Umstand verdient ausdrücklich vermerkt
zu werden. Der Autor des dreiactigen Dramas, das den
größeren Theil des gestrigen Abends füllte, zählt nicht zu jener
Clique, deren Mitglieder zu den von Directer Schlenther
fast ausschließlich Bevorzugten gehören, Max Dreyer, deren
Schauspiel „Hans“ gestern zur Aufführung gelangte, ist sogar
ein eliterarischer Gegner der „moderen“ Sippe, dessen
Protection sich der Leiter unserer Bühne so ange¬
legen sein läßt und er ist vor Allem ein wirk¬
licher Deutscher, wodurch er sich fast von sämmtlichen
Autoren vortheilhaft unterscheidet, deren Werke in den letzten
Jahren am Franzensring den Spielplan beinahe vollständig
beherrschten. Trugen dermaßen schon die äußeren Umstände
dazu bei, uns den gestrigen Abend in einem sympathischeren
Lichte erscheinen zu lassen, der günstige Eindruck wurde durch
den inneren Werth des Dreyer'schen Dramas vollends ent¬
schieden. Endlich wieder einmal ein Stück, das alle jene
crassen Effecte verschmäht, mit welchen ein Theil unserer
dramatischen Schriftsteller zu wirken bestrebt ist, das sich aber
auch in gleicher Weise von jener Richtung ferne
hält, die darin besteht, auf alle erprobten Mittel
der Bühne zu verzichten und ihre Aufgabe nur in
einer möglichst realistischen Darstellung zumeist völlig
Das Schauspiel
undramatischer Vorgänge erblickt.
„Hans“ ist ein psychologisches Gemälde von seltener Feinheit;
die poetische Filigranarbeit, die der Dichter an seine Schöpfung
gewendet hat, fällt umso angenehmer auf, als man daran
gewöhnt ist, von unseren modernen Autoren zumeist nur
Zimmermannsarbeit verrichten zu sehen. Dreyer verfügt ferner
über eine nicht sehr häufig anzutreffende Fähigkeit, zu
charakterisiren und zu motiviren, und wenn man außerdem
noch erwähnt, daß er es wie kein Anderer versteht, Stimmungs¬
milieus zu schaffen, die trefflich zu den einzelnen Phasen der
psychologischen Entwicklung passen, so glauben wir schon durch
die Anführung dieser Hauptvorzüge, die uns an dem Dreyer¬
schen Werke aufgefallen sind, gezeigt zu haben, daß
Zwir es in „Haus“ mit einem Producte nicht
gewöhnlicher dramatischer Begabung zu thun haben. Doch
nun zur Handlung des Stückes. „Hans“ ist die Tochter des
Professors Hartog, dem von der Regierung die Leitung einer
biologischen Anstalt anvertraut wurde, die ihren Sitz auf einer
Nordseeinsel hat. Hartog ist schon ziemlich früh Witwer ge¬
worden und die Tochter, auf der in Jahren, wo andere junge
Mädchen nur dem Veranügen zu leben pflegen, schon die Last
der ganzen Hauswirthschaft ruhte, ist infolge dessen in ge¬
wisser Beziehung hart und männlich geworden, der nur seiner
Wissenschaft lebende Vater dagegen ist unpraktisch, unselbst¬
ständig. Um diese zwei Personen herum gruppiren sich noch der
Großvater, die Mitarbeiter des Professors und ein
der gewesene
ehemaliger Schulkamerad Hansens,
Marinelieuienant und jetzige Maler Heinrich Jensen. In diesen
Kreis weniger Menschen, die an einander gewöhnt sind und
gleichsam eine Familie bilden, tritt plötzlich eine neue Er¬
scheinung, Anna Berndt, die in der Pension die Freundin
Johanna Hartog's gewesen war. Das Weltkind, das sich
draußen im Leben die Flügel verbrannt hat, flüchtet sich nun
in die Einsamkeit des Nordseeeilandes. Sie hat den Betheue¬
rungen eines gewissenlosen Verführers Glauben geschenkt, der
sie und ihr Kind verließ, als er der Verführten überdrüssig
geworden war. Das Kind ist dann gestorben, und doppelt ver¬
lassen sucht Anna bei der Kameradin Trost und Schutz, ohne
aber vorerst das Geheimnis ihres Lebens preiszugeben. Auf
den Professor, der zwar bei seiner energischen Tochter in den
besien Händen ist, dessen allzu kurzes Eheglück ihn aber
doch nach einem Nachfrühling Sehnsucht empfinden läßt,
bleibt die eigenthümliche, anziehende Erscheinung des Gastes
nicht ohne Eindruck. Hans, die bisher ihrem Vater Alles ge¬
wesen ist, sowie auch er ihr Alles war, sieht mit schwer ver¬
hehlter Vitterkeit, was sich neben ihr vorbereitet. Da erfährt
sie von der Freundin Alles, auch den Schatten, der auf
deren Vergangenheit ruht. Ihr jungfräulicher Stolz empört
sich gegen das, was sie hört, da sie es nicht zu verstehen
vermag. Eine Verbindung Annas mit ihrem Vater, in die sie
auch sonst nur schwer eingewilligt hätte, erscheint ihr nun
ganz und gar unmöglich und um eine Entscheidung herbei¬
zuführen, erzählt sie dem Professor, was geschehen ist. Dieser