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1. Miscellaneeus
Und nun zu Herrn Bahr. Er veröffentlicht einen Kauf¬
vertrag, den er mit dem Volkstheaterleiter abgeschlossen
hat. Er hat also das Grundstück in Ober- oder Unter-St.
Veit nicht geschenkt bekommen. Ich war also unrichtig
informiert. Und wieder ist es mir darum zu thun, meinen
besten Glauben in der Sache und meinen guten Glauben
in der Information zu beweisen. Ich bekämpfe Herrn
Bahr und sein die letzten Reste einer österreichischen
Literatur verheerendes Treiben seit zehn Jahren. Ein
persönliches Motiv wird mir höchstens Herr Bahr nach¬
sagen können; nachweisen nicht einmal er. Diesem
Kampfe liegt die Gegensätzlichkeit zweier literarischer
Organismen, zweier Weltauffassungen zugrunde: Herr
Bahr ist, soweit die Thätigkeit im Dienste der Actien¬
gesellschaft Steyrermühl dies zulässt, mehr dionysisch
veranlagt, ich anders. Herr Bahr ist für das productive
Schaffen überhaupt und für sein eigenes ganz be¬
sonders und für schrankenlose dramatische Bethätigung
sogar dort, wo die Objectivität des Kritikers darunter
leiden könnte. Und ich — bin der ewige Störenfried.
Herr Bahr ist mehr positiv veranlagt, ich mehr kritisch,
Herr Bahr fördert das Unkraut, ich jäte es aus.
Und da er den Ehrgeiz hat, das literarische Unkraut,
das er im Laufe der Jahre gefördert, selbst noch zu
überwuchern, scheint er mir doppelt gefährlich. So
erklären sich Eifer und Heftigkeit meines Kampfes.
Dazu kommt: Herr Bahr ist weitaus begabter als die
anderen; wo die anderen sich mit dem Emporschwindeln
ihrer eigenen werten Persönlichkeit begnügen, hat er
immer die Kraft, sich und ein Dutzend Talentlosig¬
keiten durchzusetzen. Ferner: er ist ein Renegat ins
Ghetto, er leiht dem Treiben der geschäftig wimmelnden
Schmöcke seine arische Repräsentanz, und während er
mit der Geriebenheit von hundert Buchbinders seine
dramatische Erwerbsthätigkeit mit dem kritischen Amte
verkuppelt, bleibt er nach außen der selbstlose Förderer
aller heimatlichen Talente, der Entdecker sämmtlicher
im Reichsrath nicht genügend vertretenen Provinzen, der
—.—
patriotische Culturbringer, dem sich die schwarzen Bärte
und die gelben Flecke seiner Concordiabrüder mählich
zu einem profitablen Schwarzgelb verdichtet haben.
Freimaurer machen seine Premièrenerfolge, die Reclame
der journalistischen Gevatterschaft und die Bereit¬
willigkeit der dem Freunde und einflussreichen Kritiker
ergebenen Direction besorgen das Uebrige. Er ist der
deutlichste Vertreter des Systems, das auf Wiens Bühnen
so drückend, alle Lebensgeister dieser Stadt ertödtend
wirkt, der bedenkenloseste Missbraucher jener Gewalt,
die da Presse heißt und die, als -Concordiat con¬
stituiert, der geistigen Entwicklung dieser Stadt hundert¬
mal gefährlicher wurde als das -Concordat-, dessen
Herrschaft sie ablöste. Wie die Mitglieder der Maffia
und Camorra von den sicilischen Gutsbesitzern Ab¬
gaben an Geld, Getreide oder Vieh bei sonstiger Ein¬
äscherung des Hofes erpressen, so erzwingen die Mit¬
glieder der -Concordia- von den Wiener Theaterdirectoren
die Abgabe von Tantièmen bei sonstiger Zerstörung
des Theaters. Verzweifelnd hat der alte Jauner
von dem Revolver, den er als wirksame Waffe in
jahrzehntelanger Theaterlaufbahn kennen gelernt hatte,
selbst Gebrauch gemacht, und Alexandrine v. Schönerer,
die durch zehn Jahre in der Wahl schwankte, ihr
Theater durch elende Kritiken oder durch elende Operetten
ruinieren zu lassen, ist schließlich, völlig gebrandschatzt,
vom Schauplatz ihres Martyrthums abgetreten. Ich
habe Herrn Bahr oft und oft vorgehalten, dass er, der
einst mit harten, wenn auch stets nur allgemeinen, An¬
würfen gegen dies schändliche System zu Felde zog,
es jetzt mit aller Kraft zu stützen und mit aller Ge¬
schäftsklugheit zu nützen trachtet. Ich thue dies auch
heute und wiederhole zum hundertsten Mal, dass er
offenkundiger und bewusster als die anderen seine
Kritik über ein bestimmtes Wiener Theater in den
Dienst seiner Geschäftsbezishungen zu ebendem¬
selben Theater stellt. Denn ich vermag nicht nur
nachzuweisen, dass er, als der Tantièmenstrom
1. Miscellaneeus
Und nun zu Herrn Bahr. Er veröffentlicht einen Kauf¬
vertrag, den er mit dem Volkstheaterleiter abgeschlossen
hat. Er hat also das Grundstück in Ober- oder Unter-St.
Veit nicht geschenkt bekommen. Ich war also unrichtig
informiert. Und wieder ist es mir darum zu thun, meinen
besten Glauben in der Sache und meinen guten Glauben
in der Information zu beweisen. Ich bekämpfe Herrn
Bahr und sein die letzten Reste einer österreichischen
Literatur verheerendes Treiben seit zehn Jahren. Ein
persönliches Motiv wird mir höchstens Herr Bahr nach¬
sagen können; nachweisen nicht einmal er. Diesem
Kampfe liegt die Gegensätzlichkeit zweier literarischer
Organismen, zweier Weltauffassungen zugrunde: Herr
Bahr ist, soweit die Thätigkeit im Dienste der Actien¬
gesellschaft Steyrermühl dies zulässt, mehr dionysisch
veranlagt, ich anders. Herr Bahr ist für das productive
Schaffen überhaupt und für sein eigenes ganz be¬
sonders und für schrankenlose dramatische Bethätigung
sogar dort, wo die Objectivität des Kritikers darunter
leiden könnte. Und ich — bin der ewige Störenfried.
Herr Bahr ist mehr positiv veranlagt, ich mehr kritisch,
Herr Bahr fördert das Unkraut, ich jäte es aus.
Und da er den Ehrgeiz hat, das literarische Unkraut,
das er im Laufe der Jahre gefördert, selbst noch zu
überwuchern, scheint er mir doppelt gefährlich. So
erklären sich Eifer und Heftigkeit meines Kampfes.
Dazu kommt: Herr Bahr ist weitaus begabter als die
anderen; wo die anderen sich mit dem Emporschwindeln
ihrer eigenen werten Persönlichkeit begnügen, hat er
immer die Kraft, sich und ein Dutzend Talentlosig¬
keiten durchzusetzen. Ferner: er ist ein Renegat ins
Ghetto, er leiht dem Treiben der geschäftig wimmelnden
Schmöcke seine arische Repräsentanz, und während er
mit der Geriebenheit von hundert Buchbinders seine
dramatische Erwerbsthätigkeit mit dem kritischen Amte
verkuppelt, bleibt er nach außen der selbstlose Förderer
aller heimatlichen Talente, der Entdecker sämmtlicher
im Reichsrath nicht genügend vertretenen Provinzen, der
—.—
patriotische Culturbringer, dem sich die schwarzen Bärte
und die gelben Flecke seiner Concordiabrüder mählich
zu einem profitablen Schwarzgelb verdichtet haben.
Freimaurer machen seine Premièrenerfolge, die Reclame
der journalistischen Gevatterschaft und die Bereit¬
willigkeit der dem Freunde und einflussreichen Kritiker
ergebenen Direction besorgen das Uebrige. Er ist der
deutlichste Vertreter des Systems, das auf Wiens Bühnen
so drückend, alle Lebensgeister dieser Stadt ertödtend
wirkt, der bedenkenloseste Missbraucher jener Gewalt,
die da Presse heißt und die, als -Concordiat con¬
stituiert, der geistigen Entwicklung dieser Stadt hundert¬
mal gefährlicher wurde als das -Concordat-, dessen
Herrschaft sie ablöste. Wie die Mitglieder der Maffia
und Camorra von den sicilischen Gutsbesitzern Ab¬
gaben an Geld, Getreide oder Vieh bei sonstiger Ein¬
äscherung des Hofes erpressen, so erzwingen die Mit¬
glieder der -Concordia- von den Wiener Theaterdirectoren
die Abgabe von Tantièmen bei sonstiger Zerstörung
des Theaters. Verzweifelnd hat der alte Jauner
von dem Revolver, den er als wirksame Waffe in
jahrzehntelanger Theaterlaufbahn kennen gelernt hatte,
selbst Gebrauch gemacht, und Alexandrine v. Schönerer,
die durch zehn Jahre in der Wahl schwankte, ihr
Theater durch elende Kritiken oder durch elende Operetten
ruinieren zu lassen, ist schließlich, völlig gebrandschatzt,
vom Schauplatz ihres Martyrthums abgetreten. Ich
habe Herrn Bahr oft und oft vorgehalten, dass er, der
einst mit harten, wenn auch stets nur allgemeinen, An¬
würfen gegen dies schändliche System zu Felde zog,
es jetzt mit aller Kraft zu stützen und mit aller Ge¬
schäftsklugheit zu nützen trachtet. Ich thue dies auch
heute und wiederhole zum hundertsten Mal, dass er
offenkundiger und bewusster als die anderen seine
Kritik über ein bestimmtes Wiener Theater in den
Dienst seiner Geschäftsbezishungen zu ebendem¬
selben Theater stellt. Denn ich vermag nicht nur
nachzuweisen, dass er, als der Tantièmenstrom