VII, Verschiedenes 11, 1899–1901, Seite 39

S
box 41/1
1. Miscellaneon
12
lichen Rede ihnen angekündigt, eine Stunde später hatte
es sich erfüllt, als ein tosendes Bravogeschrei ertönte und
ein schadenfrohes Grinsen durch die versammelte Schaar
der Jobber, Pressleute und Librettowucherer gieng. Nie
sah ich auf solchen Gesichtern den Abglanz von so
heiliger Begeisterung ruhen wie an diesem Abend,
an dem ich nach zweitägigem, an Aufregungen reichen
Kampfe einem Schuldurtheil standhielt. Ich sah das
verklärte Antlitz des Herrn Buchbinder, als der Klage¬
anwalt mir die Thätigkeit des -Schnüffelnss imputierte,
und ich gewahrte die freudige Erregung des die
vorderen Reihen beherrschenden Socialpolitikers Isi
Singer, als Herr Harpner pathetisch verkündete, der
Kampf gegen die Creditanstalt und Südbahn sei kein
anticorruptionistischer Kampf. Ich glaube, die Sicherung
des Terminhandels auf ein volles Jahrhundert, die be¬
hördliche Sanctionierung des Schnittess hätte in dieser
Gesellschaft keinen größeren Jubel wecken können
als meine Verurtbeilung. Mich soll’s nicht wundern,
wenn ich noch erfahre, dass an diesem Abend die
liberalen Zeitungsherausgeber beschlossen haben, den
Betrag des defraudierten Zeitungsstempels für eine
Auflage den Armen Wiens zu spenden, und sicher¬
lich ist in allen anständigen Häusern der inneren Stadt,
im Palaste des Millionendiebes wie in der von Olbrich
eingerichteten Hütte des schlichten Börseaners, an
diesem Abend illuminiert worden. Psychologisch inter¬
essant, meint ein Leser der „Fackel“, sei das plötzlich
erwachte Solidaritätsgefühl all jener inferioren Elemente
gewesen, die sich sonst — im Existenzkampf — feindlich
gegenüber stehen und die jetzt der durch die Angst
geschärfte Instinct sich zusammenrotten ließ. Alle gegen
Einen. -Es liegt eine tiefe, feierliche Ironie in dem
Jubelruf: Wir haben gesiegt!- Und ein anderer Freund
versichert, die Richtigstellung zweier Informationen im
Gerichtssaal werde zwar mir nicht schaden, aber
meinen erbärmlichsten Gegnern ungeheuer nützen. -Ich
glaube an einen wirklichen und wahrhaftigen Sieg der
——
13 —
Corruption, an eine totale Abstumpfung des öffent¬
lichen Gewissens. Ich kann nur wünschen, Sie mögen
den Satz des Klageanwaltes, dass die „Fackel“ ein ge¬
fährliches Blatt sei, durch jede Nummer zu bestätigen
und zu widerlegen streben. Oder wollen Sie in der Aus¬
wahl Ihrer Gegner vorsichtiger sein? Nur Leute an¬
greifen, die wirtschaftlich und social zu schwach sind,
um Sie zu klagen! Es könnte auch Einer auf die
Idee kommen, Ihnen zu rathen, Ihre Informationen
sorgfältiger zu prüfen. Aber glauben Sie mir: daran
liegt es nicht. Der Mann wäre ein Idealist. Lügen
dart man, so viel man will; aber man muss achtgeben,
mit wem und gegen wen. In Beziehung auf die Cor¬
ruption jedoch gilt der Satz Goethes: -Den Teufel
spürt das Völkchen nie, und wenn er sie beim Kragen
hätte. Alle Welt fühlt sich wohl dabei. Stören Sie
die Leute nicht, sondern setzen Sie sich zu Tische.
Sie haben den Anticorruptionismus zu ernst genommen.
Wenn man das kunstgerecht machen will, so muss
man dem Wissenden zu verstehen geben, dass
man auch anders könnte, wenn man wollte. Dann
geht’s ... Sollte wirklich der Antiliberalismus an
jenem 23. Februar eine Schlacht verloren haben? Es
wird immer klarer, dass unsere Gegner die Zeichen
der Zeit besser verstehen als wir.¬
Na, und wenn schon der Bukovics dem Bahr
das Grundstück geschenkt hat — was geht denn das
den Kraus an? So lautet die Frage, der man in
den letzten Tagen da und dort in Wien begegnen
konnte. Sie bezeichnet das ethische Niveau, auf dem
sich auch die wiederholte verzweifelte Erklärung des
Zeugen Bukovics bewegt hat: wie er sein Repertoire
mache und ob er Herrn Bahrs Stücke am Sonntag
oder nur an Wochentagen gebe, dies sei seine Privat¬
sache, in die sich niemand zu mischen habe. Der Social¬
demokrat Harpner pflichtete dieser Anschauung durch
den oft und oft erhobenen und dem Gedankenkreise