VII, Verschiedenes 11, 1906–1909, Seite 36

W
Wien, I., Schulerstraße Nr. 9
und in den eigenen Filialen.
Städtische Angelegenheiten.
Aus dem Rathause.
Die nächsten Gemeinderatssitzungen. — Der Huldigungsfestzug.
Empfänge. — Die Kinderhuldigung.
Zur Verifizierung der in der zweiten Hälfte des
Monats März vorgenommenen Gemeinderats= und Bezirksrats¬
wahlen ist für nächsten Freitag den 10. d. M. eine Gemeinde¬
ratssitzung anberaumt, in welcher auch die Verabschiedung der
ausscheidenden Gemeinderäte erfolgen wird. Möglicherweise gelangt
in dieser Sitzung das Referat über die Subvention der Gemeinde
für den Jubiläumsfestzug zur Beratung. Dann wird
der Gemeinderat erst wieder für den 24. d. M. einberufen
werden. An dieser Sitzung nehmen zum erstenmal die neuen
Gemeinderäte teil, die ihre Angelobung zu leisten haben.
Außerdem dient die Sitzung der Wahl ver beiden zur Wiederwahl
in den Gemeinderat gelangten Vizebürgermeister Dr. Porzer
und Hierhammer und zur Neu= beziehungsweise Wiederwahl
der Stadtrite. Es sind zwölf Stadtratsmandate frei, und zwar
der Herren Brauneiß, Büsch, Gräf, Sebastian Grünbeck, Hörmann,
Knoll, Oppenberger, Rauer, Weitmann, Wessely und Braun sowie
des durch Tod abgegangenen kaiserlichen Rates Dr. Krenn. Die

#0 heatunt i
r Gemahl begleitet sie dann, wenn sie später singt. Er
scheint ganz millionärrisch verliebt und lauscht mit sichtlichem Ent¬
zücken ihren klingenden Arien. Besonders den Dollarien.
Die Stimme der jungen Frau ist von sehr sympathischer,
goldener Klangfarbe — ausgesprochen Sopran
und zeichnet
sich durch Reichtum in den hohen Noten aus.
Gegen 1 Uhr wird ein Luuch serviert. Das Menü enthält
zumeist ungemein kostbare Gerichte. So u. a.:
Hundert Mark knödelsuppe oder portugiesische Mille¬
[Reis suppe — Tausend Kronen hummer
— Gold¬
fasan und ähnliche standesgemäße Genüsse. Zur Zubereitung der
Speisen wird ein ganz ungewöhnliches Fett verwendet: Echte
Brillantine.
Nach Tische rastet sich das junge Paar von den An¬
strengungen der bisherigen Tagestätigkeit aus. Nach der Ruhe
erscheint der gräfliche Hausarzt, um sich nach dem Befinden der
Herrschaften zu erkundigen.
Die beiden Gatten ließen sich von ihm vorgestern wiegen,
um ihr Gewicht festzustellen. Der Graf wiegt 84 Kilo 25 Deka,
die Gräfin annähernd 800.000 Pfund Sterling. Der Graf
hat seit seiner Ehe an Gewichtigkeit zugenommen, die junge Frau
um einige tausend Pfund abgenommen.
Um 7 Uhr 20 Minuten fährt die gräfliche Equipage vor.
Zwei „Goldfüchse" (für die der Graf besondere Sympathie
hat) reinrassiges Vollblut (für das die Gräfin schwärmt)
sind vorgespannt. Eine Minute vor ½8 Uhr betritt das gräfliche
Ehepaar seine Loge im Opernhaus; um 9 Uhr 41 Minuten ver¬
lassen die Herrschaften das Theater.
Der weitere Bericht folgt telegraphisch.
Robert.
Bei
Hermann Bahr. #/
Von Hermann Menkes.
Das Heim Hermann Bahrs in Ober=St.=Veit ist in diesen
Blättern einmal schon geschildert worden. Die Villa, ein Werk
Meister Olbrichs, ist in eine stille und freundliche Landschaft mit
schmalen Wegen, Waldansätzen und Gärten harmonisch hinein¬
gebaut. Stilisierter und mit einem Raffinement an Tönen muten
die sonnigen und lichtvollen Innenräume an. Diese Zimmer und
Gelasse bieten Farbensymphonien im Sinne des modern
Malerischen. Die Farben und Formen der Gegenstände sind auf
Einheitlichkeit gestimmt. Der angebrachte Bilderschmuck, eine
Rabierung von Munch, zeichnerische Porträts der Duse und der
Sada Jacco, paßt zu dem gebotenen Rahmen, und ganz be¬
sonders paßt in dieses Milieu die Gestalt Hermann Bahrs.
Das ist der Meister, wie er in modernen Romanen dar¬
gestellt ist. Eine hohe Gestalt, die zur Fülle neigt. Die schon
etwas ergrauten Haare lang gewachsen und ein wenig derangiert.
Die Stirn energisch geformt und an der einen Seite frei. Ein
gut gepflegter, schöner Vollbart à la Lenbach. Die Kleidung
apart, Ateliertracht.
Er ist eben aus Berlin, wo er als Regisseur an den
Reinhardtschen Bühnen seit zwei Jahren wirkt, in sein stilles
Heim für kurze Zeit zurückgekehrt. Es war naheliegend, daß sich
unser gleich lebhaft entsponnenes Gespräch dem Theater zuwandte.
„Von den frühen Morgenstunden bis Mittag und vom Nachmittag
bis 1 Uhr morgens bewege ich mich im Theater. Und wenn ich
einen Abend nicht bei Reinhardt bin, dann verbringe ich diese
Stunden eben in einem anderen Theater. Das ist so mein Leben
in Berlin.“ Und Bahr knüpft die Fäden seiner reizvollen Kon¬
versationskunst mit feinen Uebergängen von einem Thema an
das andere. Alles fließt aus einer impulsiven Natur, aus einem
prachtvollen Temperament, das sich bald in Zorn, in Pathos, in
einer Malice oder in einer humoristischen Wendung Bahn bricht.
Die Worte sind bald die eines grübelnden Verstandesmenschen,
bald die eines Poeten, der leicht plastischen Ausdruck, Farben und
Töne findet. Er liebt den lyrischen Akzent, das Gleichnis, und er
erinnerte mich jetzt noch ganz an den jungen Bahr, der im
Berliner Café Kaiserhof den um ihn versammelten Jüngern einer
modernen Kunst und Literatur mit großartiger Geste seine Para¬
doxons und Apercus zum besten gab. Seine Stimme klingt zu¬
weilen jugendlich hell, voll Wohllaut und auch mit dem Timbre
einer starken Männlichkeit. Bald in den Stuhl lässig zurückgelehnt,
bald auf und ab gehend oder an der Tür seines Arbeitszimmers
gelehnt, immerzu rauchend, ist seine Gestalt zuweilen wie in Nebel