VII, Verschiedenes 11, 1906–1909, Seite 37

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1. „scellansuns
Neues Wiener Journal
Sorntag
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gehlt. Er gerit ost in einen Eser, daß er eine Frage oder eines Es wird hier eine schädigende Theaterpollit gemacht, ein Schach¬,
Bemerkung überhört und sich erst nach Minuten besinnt und spiel mit Personen getrieben.
„In unserer Presse stehen die wirklichen österreichischen!
seinen Monolog unterbricht. Wie ein Lieblingsthema behandelt er
Fragen und Probleme gar nicht in Diskussion. Es werden
die Kontraste zwischen Berlin und Wien, und über unsere Stadt
fremde Ideen in die Betrachtungen verpflanzt, Ideen, die
spricht er wie von einer Sache, an die er große Hoffnungen
in unsere Verhältnisse nicht passen. Jeder Lokalredakteur spricht
gesetzt und die ihn tief enttäuscht hat. Gedankengänge in seinem
von einer Wiener Gesellschaft, die es nicht gibt, wenigstens im
Buche über Wien werden von ihm weitergesponnen, mit Erläute¬
Sinne und in der Zusammensetzung der Pariser Gesellschaft nicht
rungen versehen, und mit größerer Zuversicht wendet er sich
gibt. Wir haben eine Aristokratie, die sich hermetisch abschließt
Oesterreich und seiner Zukunft zu, die nach seiner Auffassung in
und keinen Kontakt hat, und was sonst noch da ist, das ist keine
einer Vereinigung friedlich gestimmter Nationalitäten und Kulturen
Gesellschaft. So operiert man mit falschen Begriffen und Vor¬
einzig liegt, ähnlich jenem Ideal von vereinigten Staaten Europas,
stellungen. Und es steckt auch eine große Verlogenheit in allen
von dem große Kulturmenschen schon lange träumen.
Selbstverhimmelungen des Wienertums ...“
„Wir besitzen eine Fülle von produktiven Kräften, aber
„Aber Sie selbst, das kann ich wohl annehmen, werden
ohne rechten Nutzen für das eigene Vaterland. Unsere ganze Pro¬
immer wieder von einer Sehnsucht nach Wien getrieben“, unter¬
duktion ist auf das Ausland angewiesen und unsere Talente
brach ich Bahr.
wandern aus. Sie finden in der Heimat einfach keine Resonanz,
„Ich besitze eine starke Liebe für Oesterreich. Mein Traum
werden vereinsamt und verbittert. Die Berliner Kunstanstalten sind
ist ein vereinigtes Oesterreich nach dem Ideal etwa von ver¬
vollgefüllt mit Oesterreichern. Sie haben in Berlin österreichische
einigten Staaten Europas. Es gibt bei uns fruchtbare und starke
Theaterdirektoren, Regisseure, Schauspieler. Klimt gewinnt in
Nationen mit einem hestigen Kulturstreben. Was weiß Wien von
Deutschland immer größeren Einfluß und in gleicher Weise Kolo
seinen Provinzen? Von all den Städten ringsherum, ihren Menschen,
Moser und Hofmann. Olbrich, der sich seit Jahren dort ansässig
ihrer Eigenart?“
gemacht hat, muß ich nicht erst erwähnen. Man beginnt in
„Man ist hier den Polen und den Tschechen gegen¬
Dentschland Ideen in Wirklichkeit umzusetzen und darauf kommt
über vielfach von einem „westeuropäischen Hochmut“ wie
es an. Ich habe immer an das Wort von Goethe erinnert: „Ich
dies ein Wiener Schriftsteller unlängst treffend ausdrückte, er¬
will Folge haben.“ Bei uns in Wien sieht man die bloße Karriere
füllt“, bemerkte ich.
als Erfüllung eines Künstlerschicksals an. Man glaubt, daß
„Man schürt die Gegensätze zwischen den Nationen in Oester¬
wenn irgend eine Kapazität
genug erreicht
damit
reich, die aufeinander angewiesen sind und die zusammen eine
Damit wird jede
wird.
berufen
Herrenhaus
ins
Einheit von großem Kulturwert und Reiz ausmachen würden.
Was wollen Sie noch? Aber
Klage beschwichtigt.
Das empfinden schon heute einzelne. Es gibt bei den Tschechen
wir wollen unsere Ideen, unsere Träume und Ideale ins Leben
wohl noch Panslawisten, aber das sind politische Romantiker, die
tragen. Für mich wenigstens ist dies Lebensbedürfnis. Kunst, die
das Empfinden ihres Volkes nicht aussprechen. Man muß viel¬
bloß in den Hirnen einzelner lebt, die ist etwas Unfruchtbares,
fach den nationalen Uebereifer überwinden. Ich wurde geradezu
Totes. Ich habe in meinem Buche nachgewiesen, welche tragischen
verdammt, als ich in Prag anstatt das deutsche das tschechische
Erscheinungen in Wien durch die Isoliertheit der Künstler und
Nationaltheater aufsuchte und dort Genialitäten bewunderte. Ichst
durch jenen Mangel an Resonanz entstehen mußten. Ich lese eben
halte auch Prag für eine durchaus slawische Stadt und ich fand
jetzt die Briefe Kürnbergers, der ein Leben damit zubrachte, sich
dort den ganzen Charakter des Slawischen, alles Weiche,
von seinem Vaterlande fortzusehnen. Die Talente sind in Wien
Impulsive des slawischen Wesens. Gleichsam vor den Toren
in einen Winkel gestellt, sind abgesperrt und verlieren, weil sie Wiens vollzog sich im Verlaufe der Regierungszeit unseres Kaisers.
nicht wirken können, den Kontakt mit dem Leben. So sehen sich die Geburt des tschechischen Bürgertums, eine Umwandlung zur
viele unserer Dichter als Zuflucht auf das Kostüm, die
Demokratie, wozu die Franzosen Jahrhunderte benötigten.
Maske und auf Vergangenheiten angewiesen in ihrer geradezu
„Es ist ein Lieblingswunsch von mir, einmal in einer
das
matürlichen Lebensfremdheit. Bei Schnitzler ist
Reihe von Romanen das Leben in den eigenartigsten österreichischen
Judentum, sind es die staxken Erlebnisse in dem Milieu
Provinzstädten zu schildern. Ich denke an Prag, an das schöne
dieser Stadt, die ihm Wirklichkett und Wirkung geben. Ein Dichter
Krakau, an Salzburg, wo ich meine Knabenzeit verbrachte,
ist ein Mund, der Mund seines Volkes, dem er Ausdruck und
an das wundervolle Ragusa, an das interessante Czernowitz,
Sprache gibt. Steht ein Volk nicht hinter ihm, dann ist er un¬
wo ich ein Semester studierte. In den Provinzen leben tiefe und
fruchtbar und ohne rechte Bedeutung. Das ist dasjenige, was
eigenartige Menschen und da trifft man oft noch den schönen
zum Beispiel d'Annunzio die starke Wirkung gibt. In seinen
Dilettanten aus einer früheren österreichischen Zeit, der fern ist
Worten bebt die Seele eines Volkes, seine Leidenschaften, seine
jedem Snobismus und jener widerlichen Art, aus allem Kunst zu ###
Liebe, sein Haß und seine Sehnsucht. Sehen Sie sich beispiels¬
weise in bezug auf Einheit, Notwendigkeit und den Gleichklang machen. Da wird etwa ein Lied von Schubert gesungen mit der##
der Dichterpsyche mit der Volksseele etwa die französische Literatur= ganzen persönlichen Empfindung und im Geiste einer entschwundenen
Zeit. Da gibt es noch wirkliche Genießer und Kunstliebhaber.“
geschichte an. Das ist eine Kette von Folgen, von Notwendig¬
Bahr hatte mich inzwischen in das Vestibül hinunterbegleitet
keiten und Entwicklungen. Oder England. Da sind in Kultur und
und wir standendann einen Moment noch in dem schönen Vorgarten,
Leben umgesetzte Denker= und Künstlerideen. Da wird Ihnen dieser
in dem es Zeichen des Frühlings bereits gab. „Sehen Sie,“
Rosettische Frauentypus auffallen, diese Schönheit, die wie alle
fügte er hinzu, indem er mir zum Abschied die Hand reichte, „das
Schönheit schon früher da war und die nur von einem Künstler
ist mein Ideal von der Zukunft Oesterreichs: die Vereinigung
entdeckt und zum Ausdruck gebracht werden mußte. Kultur nenne
der Nationalitäten bei aller Wahrung ihrer Individualität und
ich bei einem Menschen, wenn er ganz nach innerer Notwendigkeit
die Erziehung einer Oberschicht der Arbeiter für die kulturellen
lebt und wenn er seiner Erscheinung und seinem Wirken eine
Prohleme und Ideale. Da liegt der Weg zur Gesundung.“
Harmonie gibt.
„Daran fehlt es bei uns. Ein unleidlicher Snobismus ist“
hier großgezogen worden, nicht aber eine Sehnsucht nach Ver¬
wirklichung.“
„Womit hängt diese Erstarrung unseres geistigen und Volks¬
lebens nach Ihrer Ansicht zusammen?“ wandte ich mich fragend an
den Sprechen.
„Das hängt zusammen mit dieser großen Verbreitung und
dem Einfluß der katholischen Tendenzen. Dieser Katholizismus ist
Lebensseindlichkeit. Das ist sein Geist. Und er ist darin grund¬
verschieden vom Urchristentum, fü. das ich eine unsagbare Liebe
hege. Auch das Urchristentum wandte sich gegen die Welt, aber
unter Welt verstand das Urchristentum die bestehende Gesellschaft,

Herb
ein Reich der Lebensfreud
— Ephemen¬