VII, Verschiedenes 11, 1906–1909, Seite 38

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Totes. Ich habe in meinem Buche nachgewiesen, welche tragischen
verdammt, als ich in Prag anstatt das deutsche das tschechische
Erscheinungen in Wien durch die Isoliertheit der Künstler und
tutionaltheater aufsuchte und dort Genialitäten bewunderte. Ich
durch jenen Mangel an Resonanz entstehen mußten. Ich lese eben
halte auch Prag für eine durchaus slawische Stadt und ich fand
jetzt die Briefe Kürnbergers, der ein Leben damit zubrachte, sich port den ganzen Charakter des Slawischen, alles Weiche,
von seinem Vaterlande fortzusehnen. Die Talente sind in Wien Impulsive des slawischen Wesens. Gleichsam vor den Toren
in einen Winkel gestellt, sind abgesperrt und verlieren, weil sie Wiens vollzog sich im Verlaufe der Regierungszeit unseres Kaisers
nicht wirken können, den Kontakt mit dem Leben. So sehen sich die Geburt des tschechischen Bürgertums, eine Umwandlung zur
viele unserer Dichter als Zuflucht auf das Kostüm, die
Demokratie, wozu die Franzosen Jahrhunderte benötigten.
Maske und auf Vergangenheiten angewiesen in ihrer geradezu
„Es ist ein Lieblingswunsch von mir, einmal in einer
matürlichen Lebensfremdheit. Bei Schnitzler ist es das
Reihe von Romanen das Leben in den eigenartigsten österreichischen!
Judentum, sind es die starken Erlebnisse in dem Milieu
Provinzstädten zu schildern. Ich denke an Prag, an das schöne
dieser Stadt, die ihm Wirklichkeit und Wirkung geben. Ein Dichter
Krakau, an Salzburg, wo ich meine Knabenzeit verbrachte,
ist ein Mund, der Mund seines Volkes, dem er Ausdruck und
an das wundervolle Ragusa, an das interessante Czernowitz,
Sprache gibt. Steht ein Volk nicht hinter ihm, dann ist er un¬
wo ich ein Semester studierte. In den Provinzen leben tiefe und
fruchtbar und ohne rechte Bedeutung. Das ist dasjenige, was eig#nartige Menschen und da trifft man oft noch den schönen
zum Beispiel d'Annunzio die starke Wirkung gibt. In seinen Dilettanten aus einer früheren österreichischen Zeit, der fern ist
Worten bebt die Seele eines Volkes, seine Leidenschaften, seine;
Liebe, sein Haß und seine Sehnsucht. Sehen Sie sich beispiels= dem Snobismus und jener widerlichen Art, aus allem Kunst zu
machen. Da wird etwa ein Lied von Schubert gesungen mit der
weise in bezug auf Einheit, Notwendigkeit und den Gleichklang
ganzen persönlichen Empfindung und im Geiste einer entschwundenen
der Dichterpsyche mit der Volksseele etwa die französische Literatur¬
Zeit. Da gibt es noch wirkliche Genießer und Kunstliebhaber.“
ggeschichte an. Das ist eine Kette von Folgen, von Notwendig¬
Bahr hatte mich inzwischen in das Vestibül hinunterbegleitet
keiten und Entwicklungen. Oder England. Da sind in Kultur und
und wir standendann einen Moment noch in dem schönen Vorgarten,
Leben umgesetzte Denker= und Künstlerideen. Da wird Ihnen dieser
in dem es Zeichen des Frühlings bereits gab. „Sehen Sie,“
Rosettische Frauentypus auffallen, diese Schönheit, die wie alle
fügte er hinzu, indem er mir zum Abschied die Hand reichte, „das
Schönheit schon früher da war und die nur von einem Künstler
ist mein Ideal von der Zukunft Oesterreichs: die Vereinigung
entdeckt und zum Ausdruck gebracht werden mußte. Kultur nenne
der Nationalitäten bei aller Wahrung ihrer Individualität und
ich bei einem Menschen, wenn er ganz nach innerer Notwendigkeit
die Erziehung einer Oberschicht der Arbeiter für die kulturellehi
lebt und wenn er seiner Erscheinung und seinem Wirken eine
Prohleme und Ideale. Da liegt der Weg zur Gesundung.
Harmonie gibt.
„Daran fehlt es bei uns. Ein unleidlicher Snobismus ist
hier großgezogen worden, nicht aber eine Seynsucht nach Ver¬
wirklichung.“
„Womit hängt diese Erstarrung unseres geistigen und Volks¬
lebens nach Ihrer Ansicht zusammen?“ wandte ich mich fragend an
den Sprecher.
„Das hängt zusammen mit dieser großen Verbreitung und
dem Einfluß der katholischen Tendenzen. Dieser Katholizismus ist
Lebensfeindlichkeit. Das ist sein Geist. Und er ist darin grund¬
verschieden vom Urchristentum, für das ich eine unsagbare Liebe
hege. Auch das Urchristentum wandte sich gegen die Welt, aber
unter Welt verstand das Urchrisientum die bestehende Gesellschaft,
etwas Ephemeres und verhieß uns ein Reich der Lebensfreude,
des Glückes. Für den Katholizismus ist die Welt der Kosmos,
das sich entwickelnde Leben. Da heißt es Abkehr, Abtötung, Ver¬
zicht. Und daducch geschieht es, daß bei uns die Energien unter¬
bunden werden.“
„Was den Wiener so sehr schwächt, ist seine Sentimentalität.
Alles Alte in seiner Vaterstadt betrachtet er als eine Art Reliquie.
Diese Melancholie haben Städte, die im Sterben begriffen sind.
Man beweint jedes Haus, das niedergerissen wird, ergeht sich in
Seufzern und Klagen über Entschwundenes. Das ist ein Beweis
irgend einer seelischen Schwäche, eines Verfalls. Diese Barbaren
gab es zu allen Zeiten, die unbekümmert das Alte niederrissen
in einem starken Daseinsgefühl: Jetzt sind wir da, jetzt wollen
wir sein, unseren Teil am Leben und unsere Bequemlichkeiten!
haben. In Wien werden Elegien geschrieben: Mein altes Wien!
Ich gebe Ihnen die Versicherung, in dem Moment, in dem man
von mir sagen wird: „Ach, der alte Bahr!“ da werde ich's wissen,
daß es mit mir vorbei ist, mit meiner Zeit und mit meiner
Wirkung, und dann werde ich mich tummeln, um zu sterben.
„Auch diese Sentimentalität unterbindet jede Tatkraft. Man
hat Tränen, wo Hilfe notwendig wäre, und läßt dabei einen
ruhig elend werden, verzweifeln, verhungern und sterben. Der
Berliner hat keine Sentiments, aber er greift ein und handelt,
wo sich die Notwendigkeit ergibt. Er verfügt über eine gesunde
Sachlichkeit. In dieser gewaltigen Stadt wird sofort Platz gemacht
für alles, was produktive Kraft besitzt. Daher diese fortwährende
Verjüngung. Es wird geschimpft und kritisiert, aber man weiß die
Dinge von der Person zu scheiden.
„In Wien geht alles auf das Persönliche und Private los.
Unser ganzes Leben wird vom Vorurteil beherrscht. Das gibt den
Urteilen eine beispiellose Unverläßlichkeit. Die Theaterkritiker wenden
sich hier gegen Personen, nicht gegen Sachen, und all diese Vor¬
eingenommenheiten muß ich immer von einem Urteil abstrahieren,
wenn ich mich über den Erfolg und die Aufnahme einer Auf¬
führung informieren will. Erst durch ein mathematisches Verfahren
gelingt es mir, die Wahrheit herauszufinden. Eine lange Zeit hin¬
durch warf man mir einen Mangel an Bodenständigkeit vor. Aber
wenn ich heute ein Drama mit Erdgeruch bieten würde,
dann wird man mir von der einen Seite entgegenhalten, daß ich
einer Mode von gestern folgte, und ein anderer wird mich damit
abweisen, daß dieser Erdgeruch nicht der rechte Erdgeruch ist.