VII, Verschiedenes 11, 1906–1909, Seite 40

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1. Miscellaneens
in der Wiener Art liegt, — so übersah man lange, daß Literatur. „Ich glaube,“ meint Schnitzler, „daß wirlich ver¬
der Dichter bei dem schönen und reinen inneren Erlebnis, nünftige Menschen auf Schulen oder Richtungen gar kein Gewicht
das die „Liebelei“ seinem Schaffen bedeutete, durchaus nicht legen werden. Es wird zu allen Zeiten nur auf die Persönlichkeit
stehen geblieben war. Er sah tiefer in die Probleme des Lebens ankommen. Alles andere sind formelle Unterscheidungen, Geschmacks¬
differenzierungen, die sich eigentlich auf das rein Technische be¬
und in die menschliche Seele. Und er erzählte von ihren Schick¬
salen mit einer klaren, tiefen, eindringlichen Kraft, die sich zu= ziehen. Das Wesentliche, worauf es ankommt, hat sich nicht ge¬
weilen ins Dunkle, Geheimnisvolle verbohrte. Seine Weltanschau= ändert, nur die Ausdrucksformen sind zeitweilig andere.“ Ich weise
auf gewisse Gesetze hin, die die neuere Literatur geprägt —
ung und sein Stoffkreis erweiterten sich, rückten hart an die
Grenze, wo die einsamen Reiche der Großen beginnen. Aber er und erwähne dabei beispielsweise die Verbannung des Monologs, die
ist ein österreichischer Dichter, und das bedeutet so viel, als im mir im naturalistischen Drama durchaus berechtigt, im Stilstück
Vaterlande nicht nach vollem Wert eingeschätzt, auch dann noch in aber als verfehlt erscheine. Schnitzler entgegnet: „Es gibt oder
einen ästhetischen Rahmen gepreßt zu werden, wenn Entwicklung sollte auch hier keine anderen Gesetze geben, als die künstlerischer
Notwendigkeiten. Unsere Zeit hat eben ihre Begriffe, die sich die
und Begabung denselben längst gesprengt haben. Sonst wüßte
Schaffenden selbst bestimmen. Es bedarf nur einer großen Per¬
man seit langem, daß Schnitzler weit mehr ist, als der Dichter des
sönlichkeit, diese sofort wieder umzustoßen.“ Ich nenne Shake¬
Wiener Sentiments, daß Stimmung, Kolorit und die natürliche
speare, von dessen Kunst aus man tatsächlich für und gegen jede
Anmut seiner Melodik durchaus nicht mehr das Wesentlichste, Be¬
Sache Beweise anführen könnte. Schnitzler lächelt und meint:
deutsamste seines künstlerischen Schaffens ausmachen.
„Ich will gar nicht so hoch greifen. Wir wollen darüber überein¬
Aber er stand nie im Streit der Meinungen und ist immer
kommen, daß wir Begriffe wie Shakespeare, Goethe und der liebe
seinen Weg gegangen. Ruhig, unbeirrt, ganz in sich gefestet,
Gott nicht zu Vergleichen heranziehen wollen. Das Genie hat das
eine feine und dennoch in sich bewußte Persönlichkeit, die es eben
unbedingte Recht, seine Persönlichkeit nach eigensten Gesetzen aus¬
nicht verschmäht, neben Bedeutung und Temperament auch An¬
zuleben.“ Ich verweise auf die neuen Ideen, die die moderne
mut und Geschmack zu besitzen. Das läßt ihn für den oberflächlich
Literatur erfüllen, auf all die vielen, tiefen Gedankenwerte und Um¬
Beurteilenden feiner, müder, dekadenter, ja artistischer erscheinen,
wertungen, die sich uns in sozialer und sittlicher Hinsicht neu er¬
als er tatsächlich ist. Es ist vielmehr ein tiefdenkerischer, zuweilen
schlossen. Schnitzler erwidert: „Es gibt eigentlich auch da nichts
grüblerischer Zug in ihm, der das Spielerische, das jeder großen
wirklich Neues. Wir sind nur von neuem auf längst Vorhandenes
Formbegabung anhaftet, zu starkem und oft scharfgeschliffenem
gekommen. Die Elemente des Menschentums waren immer
Ausdruck zwingt.
Auch als Mensch ist er nicht von den kleinen Eitelkeiten gegeben! Es gibt eigentlich keine neuen Ideen, es gibt nur
großen Ideen
des literarischen Artistentums befangen, dem kokette Eigenspiegelung neue Gedankenintensitäten. Alle
immer nur des
als der wertvollste Inhalt künstlerischen Schaffens erscheint. Ers sind so alt, wie die Menschheit, und es hat
Nachdruck und
hat vielmehr seine Poetenseele in ein bescheidenes Alltagskleid großen Individuums bedurft, diese Ideen mit
gesteckt — er ist ein ganz liebenswürdiger, anspruchsloser Mensch, Mut persönlich oder durch Vermittlung einer selbstgeschaffenen
der vor den lauten Stimmen der Oeffentlichkeit gern seine Fenster= Gestalt auszusprechen. Jede große Wahrheit ist eine Banalität,
solange man sie nicht selbst entdeckt hat.“
läden schließt.
Ich erwähne des hohen Wertes, den unsere Zeit gerade der
So ist auch sein Heim. Draußen in Währing, in der
Originalität beimesse, und bemerke, daß hier oft des Guten zu
Spöttelgasse — die Front dem Sternwartepark zugekehrt, von der
viel getan werde, daß das Neuartige nur zu leicht überschätzt
Straße abgewendet, von einer merkwürdigen Stille und Welt¬
und über das Bedeutsame gestellt werde. „Gewiß,“ ent¬
abgeschlossenheit umfriedet. Dort suchte ich ihn jüngst wieder auf
gegnet Schnitzler, „aber dies ist eben nur in der Meinung der
an einem hellen, sonnigen Vorfrühlingstag, einem jener Tage,
Zeitgenossen der Fall, die wir so stark überschätzen, weil wir
von denen ich immer glaube, daß ihre wehe Süße nur in der
davon unmittelbar betroffen sind. Es ist überhaupt ein Zug der
Wiener Luft liegt, in dem Hauch, der so weich und mild herüber¬
Zeit, nach Beeinflussungen zu suchen, Vorbilder aufzuspüren und
weht von den Höhen des Wienerwaldes.
daraus einen künstlerischen Vorwurf zu machen, den man früher
Mit herzlicher Begrüßung empfing mich der Dichter in seinem
Arbeitszimmer. Ein eleganter, nicht zu großer Raum, alles gleich= nie erhoben hätte. Heute wird sehr oft Eigenart mit Einseitigkeit
sam aneinander gerückt, durchaus den Eindruck vornehmer Behag= verwechselt. Und oft ist es die Eigenart selbst, die allmählich,
lichkeit erweckend. Er enthält neben dem breiten=Schreibtisch und wenn sie nicht gleichsam durch fremde Blutmischung erneut, durch
der prächtigen Bibliothek des Dichters feine graphische Kunstwerke, geistigen Stoffwechsel belebt wird, zur Einseitigkeit führt.“ Wir
von denen mir eine Radierung „Shakespeares House“ besonders kommen auf künstlerische Anregungen und im Zusammenhange
damit auf des Dichters eigenes Schaffen zu sprechen. Er spricht
auffällt, ferner eine Büste Beer=Hofmanns, ein paar Plastiken,
dankbar von Anregungen, die er empfangen hat, und von dem Wert
und an der rechten Wand das Stehpult, an dem Schnitzler zu
den er auf das Urteil einzelner Menschen lege, wenn er auch im
arbeiten pflegt.
Wir verweilen aber nicht lange. Schnitzler schlägt mir vor, allgemeinen seinem eigenen Gefühl über Wert oder Unwert einer seiner
den herrlichen Frühlingstag zu einem gemeinsamen Spaziergange Arbeiten vertrauen dürfe. Ich frage nach seinem gegenwäctigen Schaffen
kler.
Er hat vor kurzem einen neuen Roman „Der Weg ins- Freie“
zu benutzen. Ih erkläre mich gern einverstanden. Wir brechen
auf. In wenigen Minuten sind wir mit der Elektrischen bei der vollendet und ist eben mit neuen dramatischen Arbeiten be¬

schäftigt. Aber er erzählt nicht gern von ihnen, solange sie nicht
Endstation in Pötzleinsdorf. Nun gehts langsam in gemütlichem
Geplauder durch den Pötzleinsdorfer Wald über Neuwaldegg in vollendet sind. Ich spreche von zweien seiner letzten Dramen,
hr spezisisches Ge¬
dem „Einsamen Weg“ und dem „Ruf des Lebens“, die ich beide
den Dornbacher Park — ein prächtiger Weg durchs erste Grün
liebe und die mir künstlerisch von subtilstem Wert erscheinen. Da
lparzer noch im der Wälder und Wiesen.
Wir sind bald tief im Gespräch. Schnitzlers Konversation ist wir eben im Gespräch darüber sind, kommen wir auf eine breite
klingenden Namen
chlossenes Seiden= von eigenem Reiz. Seine Gedankenkraft wächst im Gespräch. Wiese am Eingang des Dornbacher Parks — ein wunderschönes
tlichen Klänge der Anfangs karger, vorsichtiger, im Ausdruck mehr das einzelne Wort Stückchen Landschaft, von Waldrand und Hügelland rings um¬
uber, die kindliche prägend, wird sein Ideengang bald lebhafter, reicher, farbiger.schlossen. Schnitzler bleibt stehen und sagt lächelnd: „Hier steht
hickes leise um¬ Der Dialog gibt ihm willkommene Stichworte. Er schafft, schöpft, in meiner Phantasic das Haus des Herrn von Sala im „Ein¬
samen Weg“, da drüben am Waldesrand habe ich es mir immer
g die Dichterkraft bildet gleichsam im Konversieren, und man gewinnt einen Einblick
gedacht. Sehen Sie,“ meint er, „dort drüben, gerade dort müßte
e. Er wurde zum in die feine Präzision, mit der der Mechanismus seines Denk¬
les stehen.“ Wir kommen auf die Darstellung zu sprechen, die das
sen Anfängen der prozesses arbeitet.
Ich frage ihn im Gespräch nach seiner Meinung über die [Werk in Berlin gefunden, und sind nun doch bei dem in Wien
m seinen Platz an
hachteln nun einmal verschiedenen Strömungen und Richtungen in der modernen unvermeidlichen Thema: Schauspielkunst angelangt. Ich spreche von den
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