VII, Verschiedenes 11, 1906–1909, Seite 41


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1. Miscellancons
Neues Wiener Journal
Sonntag
Erite *
Darstelen der lleren und der neueren Schule. Auch hier liht Wie treien aus den Bald zinans. Der Straßentens
Schnitzler nur technische Unterschiedlichkeiten gelten. Er ist der An= umfängt uns. Wir besteigen die nächste Elektrische und fahrenun
fl
sicht, daß die modern Darstellungsart wohl vieles menschlich zur Stadt zurück. Unser Gespräch dreht sich nur mehr um
näherbringe, aber auch geeignet sei, über manche innere Unzu=gleichgültige Dinge, denn die Stimmen des Alltags überdröhnen
länglichkeit der Darsteller hinwegzutäuschen. Er sagt: „Es ist die tieferen und feineren Gedanken. Aber viele von ihnen tönenn
zweifellos, daß große Schauspieler sehr häufig imstande sind, auch innen fort, haben die Kraft edler Melodik, die dem Gedächtnis k#
nicht wieder verklingen will ...
wenn sie nicht sehr klug sind, bedeutende Intellekte darzustellen,
daß sie aber für den tiefer Blickenden versagen, sobald sie inneren
Adel darzustellen haben, ohne ihn zu besitzen. Dem scheint aller¬
dings zu widersprechen, daß Künstlerinnen von sogenanntem
Vom „Fausl“.
schlechten Ruf sehr wohl vermögen sogenannte reine Wesen dar¬
Neustes — Allernenstes.
zustellen. Bei dieser Gelegenheit zeigt es sich eben nur, daß wir
Von
sehr unrecht tun, unsere Begriffe von Reinheit vom Geschlechtlichen
abzuleiten.“
Paul Lindau.
Wir sprechen im Anschluß hieran von den moralischen Be¬
Das Fest der Auferstehung ist wohl besonders dazu angetan,
griffen der modernen Weltauffassung. Schnitzler meint: „Wir wollen
dem herrlichsten Österdrama unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden.
das Wort modern ausschalten. Man sollte überhaupt immer
Worte, die allzuvieldeutig sind, möglichst aus der Sprache ver= Die neueste Bearbeitung des „Faust“, die mir vorliegt, bietet
bannen. Sonst kommt man nicht weiter, oder macht es den dazu den willkommensten Anlaß.
Der „Faust“ gehört zu den Tragödien, die gar nicht genug
„Geistreichen“ zu leicht. Zu diesen Worten gehören beispielsweise
auch Religion und Philosophie. Für den einen ist Religion nichts bearbeitet werden können. Die Zahl der hervorragenden Drama¬
turgen, die sich dieser schönen Aufgabe mit heißem Bemühen
als individuelle Stellungnahme zu den ewigen unlösbaren Fragen!
unterzogen haben, ist denn auch übergroß. Man braucht nur an
In diesem Sinne ist es natürlich, daß jeder Mensch Religion hat,
die Direktoren des Burgtheaters zu erinnern, an Laube, Dingel¬
so natürlich, wie daß jeder Mensch atmet. Für andere ist Religion
stedt, Wilorandt und Schlenther, nur an Otto Devrient und
nur ein ganz bestimmtes Verhältnis zur Gottheit, zur Legende,
zur Offenbarung. Durch diese Zwiespältigkeit kommt in den Dis= LArronge — der kleineren zu geschweigen, obwohl sich auch
kussionen über Religion soviel Gerede heraus — ja manchmal unter diesen Leute befinden „von nicht geringen Meriten“, wie
der selige Fontane sagte.
noch Schlimmeres: Mißverstehen, Unaufrichtigkeit und Tücke.“
Zum Exempel: Thcodor Damm, weiland Direktor
Wir sind beim Philosophieren und sprechen vom Gegensatz
des Tivoli=Theaters in Hamburg=St. Georg. Die undankbare
der altruistischen Weltanschauung zur modernen Herrenmoral.
Nachwelt hat ihn vergessen. Die dankbare Mitwelt von St. Georg
Schnitzler meint, der Altruismus sei oft nichts anderes, als der
hat ihn gefeiert; denn er gab in seinem bescheidenn Theater
Egoismus des Wehleidigen. Eine höhere Form des Altruismus
so an Sonn= und Feier¬
gegen geringes Entgelt sehr viel:
beruhe wohl im wesentlichen auf nachempfindender Phantasie, die
tagen den „Faust“ zweimal — als Nachmittags= und Abend¬
fremdes Erlebnis in eigenes transponiert!
Wir kommen auf die österreichische Literatur und ihre vorstellung.
Stellung im Auslande zu sprechen und ich erwähne, daß man in
Um das zu ermöglichen, waren natürlich einige Striche
Deutschland der österreichischen Literatur vornehmlich ihren weichen,
geboten. Damm ließ daher der Tragödie ersten Teil si
müden, stillgestimmten Grundton vorwerfe, für den eben nur bei
beginnen:
uns das richtige Empfinden vorhanden sei. „Es wird eben so
Faust (auf der Straße, geht ärgerlich auf und ab): Donner¬
häufig, entgegnet Schnitzler, auch hier Brutalität mit Kraft ver¬
wetter! (Er stampft mit dem Fuß auf.)
wechselt und Feinheit mit Schwäche, während gerade im
Mephisto (von rechts kommend): Wozi er Lärm? Was
Künstlerischen so oft Brutalität ein Zeichen von Kraftlosigkeit und
steht dem Herrn zu Diensten? (Bewegung Fausts.)
Feinheit ein Zeichen von Stärke ist.“
Euch soll sogleich Tokayer fließen.
Ich bemerke, daß wohl auch die heimische Kritik zuweilen
(Aus der Flasche, die er im Wams gebergen hatte, füllt er
das gleichfalls dort bereitgehaltene Glas und reicht es Faust, das dieser
dazu beitrüge, falsche Begriffe zu verbreiten und dem Ausland
mit einem Zuge leert.)
gegenüber zu Schlagworten zu machen. Der Dichter meint: Es
Du siehst mit diesem Trank im Leibe
gibt eben Kritiker, denen es gelingt, das Gute in einer gewissen
Bald Helenen in jedem Weibe. (Ab.)
denen aber in der Nähe allerlei
Entfernung zu schätzen
(Gretchen vorübergehend.)
Persönliches den Blick trübt —, man könnte sie — „weitsichtige
Faust (feurig geworden, tritt an sie heran):
Mein schönes Fräulein, darf ich's wagen?
Kritiker“ nennen!
er ee
Wir sprechen auch von Musik, zu der Schnitzler — wie
und streicht die vorwurfsvol
Und nun sind wir also nach einer Minute mitten in der
er mir gesteht — vielleicht ein noch innigeres Verhältnis hat
das ist bald gesagt" bis z
Handlung und haben uns die Hälfte des ersten Teils geschenkt.
als zur Literatur. Von neueren Musikern, die ihm ein tiefes
TTodesschlaf zu Gott ein als
Da sich Damm auch bei anderen Kleinigkeiten nicht lange auf¬
künstlerisches Erlebnis bedeuten, nennt er besonders Anton
In der richtigen Bere
hielt, brachte er es fertig, das Stück in wirksamer und allgemein
Bruckner und Gustav Mahler. Auch von Pfitzner und Reger
Verwundung und dem Tode
sowie von den Liedern von Streicher und Hugo Wolf spricht er verständlicher Weise in knapp zwei Stunden herunterzuspielen
werden dürfen, welche die
mit besonderem Nachdruck. Er weist dabei auf die Parteiungen allerdings nur die Gretchen=Tragödie bis zum Schluß der
a chwichen, macht er die Sa
Valentin... Scho
auch im musikalischen Leben hin und fügt hinzu: „Es scheint Kerkerszene.
So kurz hat sich der neueste Bearbeiter A. Sydow nicht
Mephisto (zu Faust):
in der selben Seele selten für zwei Begeisterungen Raum zu
Valentin (fällt): O#
sein. Für eine. Haß mehr findet sich aber immer noch ein gefaßt. In seiner Neugestaltung füllt der „Faust reichlich einen
Aus ist's!
langen Theaterabend. Dafür bleiben uns aber auch einige große
Plätzchen!“
So wandern wir plaudernd weiter durch den Dornbacher Szenen — wie der Monolog, die Szene mit Wagner, Mephisto,
Wie ich schon sagte: An
der Oster=Spaziergang, die Schülerszene, Hexenküche und andere,
Park. Der herrliche Frühlingstag löst auch Betrachtungen über die
gewöhnen. Ich habe mich dar
die wir ungern missen würden — in mehr oder minder freier
Natur aus. Schnitzler betont den großen Einfluß, den
Ich will indessen nicht
Bearbeitung erhalten; es wird obenein noch vieles ganz Neue
landschaftliche Schönheiten auf seine Stimmungen haben. Nament¬
lich von Reisen habe er tiese Eindrücke mitgenommen. In der geboten, das wir nicht einmal in den Paralipomenen zum rungen Sydows rückhaltlos
Natur liebt er am meisten den Laubwald. Das ist sein Begriff Goetheschen Faust finden, und unter diesem Neuen ein Schluß werde ich an gehöriger
erscheint mir A. Sydow als
der Tragödic von geradezu verblüffender Wirkung.
von Sommer, von schöner, ruhiger Reise...
W
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