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1. Miscellaneous box 41/2
ssseeea Die Wienerin. 188888888888 253
Wien längst zur Legende geworden. Die
auch anständig auszufüllen. Dieses Verständ¬
Legende von dem „guten“ Kleid hat aber nie wird nicht so leicht überall aufgebracht
in Wien überhaupt niemals bestanden. Daß
werden. Es ist eine alte Streitfrage, für
also die Hausfrau ein besonders geschätztes
wen sich die Frau eigentlich anzieht. Es
sind die Satiriker, die da behaupten: für
Ausstattungsstück, etwa das „Blauseidene“
die Frau. Nach ihnen gibt es keine süßere
von Saison zu Saison sorglich aufhebe und
und reinere Freude, als mit der eigenen
es dann hervorhole, wenn sich nach Jahr
Pracht ein halb Dutzend Rivalinnen tot zu
und Tag ein bedeutender Anlaß ergibt, -
ärgern. Ich bin kein Satiriker und möchte
das gibt es in Wien nicht. Kleider muß
mich vor allen Dingen nicht in die Irrgänge
man natürlich haben; man muß sich doch be¬
einer Konjekturalpsychologie verlieren. Ich
kleiden. Jede Frau braucht also gelegent¬
gebe auch zu, daß nur Frauen eine Toilette
lich ein neues Kleid. Was die Wienerin
kritisch zu betrachten und zu würdigen wissen
betrifft, so glaube ich, daß es in ihrem gan¬
und daß die Männer meist nichts davon
zen Leben keine Phase gibt, in der sie nicht,
verstehen und kein Interesse dafür haben.
und zwar besonders dringend ein neues
Dennoch möchte ich dabei bleiben: der tiefste
Kleid brauchte. Ich kann da sämtliche Ehe¬
metaphysische Grund für jeglichen Toilette¬
männer Wiens zu Zeugen aufrufen. Sie
aufwand ist der Mann. Er erkennt die Ur¬
werden einstimmig bekunden, daß eine
sache nicht, aber er spürt die Wirkung. Schon
Wienerin nie „etwas zum Anziehen“ hat.
Blitz und Schlag —
Die aber müssen es wissen; sie haben es aus
mancher hat sich —
in eine Frau verliebt, und wenn er dann
erster Quelle. Es muß also immer ein
angedonnert nach Hause kommt, und Du
neues Kleid her. Verstehen wir uns recht;
fragst ihn: Was hat sie denn angehabt?
nicht immer ist ein Kleid ein Kleid. Mein
dann weiß er es nicht einmal, der Arme.
Gott, ein Kleid — bekleidet ist man bald!
Er weiß es nicht, und doch war es vielleicht
Man nennt es ein Kleid, weil das die Sache
gerade die Kunst der Toilette, die ihn zur
dringlicher erscheinen läßt; gemeint ist eine
Strecke gebracht hat. Mitgeholfen hat sie
Toilette.
jedenfalls. Die Wienerin hat die Bedeutung
Nun sind wir beim springenden Punkt.
der Kunst des Sichanziehens vollkommen
Die Wienerin hat keinen Sinn dafür, eine
begriffen und übt sie mit Virtuosität und
Toilette zur Tracht erstarren zu lassen, sie
weil sie sie begriffen hat, tut sie gern in
hält sich an die Mode. Darum kann sie
übriges. Das Ergebnis: hoch hinaus, sehr
auch nicht das „Blauseidene“ für große An¬
häufig um einen Grad zu hoch. Wie ich
lässe parat liegen haben. Ist der Anlaß da,
kein Satiriker bin, bin ich auch kein Sitten¬
dann — verlassen Sie sie darauf — ist auch
richter. Ich halte es da genau so wie mit
das seiner würdige neue Kleid zur Stelle.
dem gedichteten Schwert an meiner Linken:
Manchmal findet sich auch so ein Esel von
hab' ine Freude dran, hurra!
einem Ehemann, der praktische Ratschläge
soll das Volk bei der Arbeit auf¬
gibt. Manchmal, nicht oft, und die prak¬
suchen. Die Wienerin verträgt es, auch bei
tischen Ratschläge gewöhnt er sich dann auch
der Arbeit aufgesucht zu werden. Man geht
sehr bald ab. Er hat irgend einmal irgend
auch in Wien mit der Zeit. Die Befreiung
etwas in einem deutschen Roman von dem
guten Blauseidenen gelesen und meint nun
der Frau macht auch da ihre Fortschritte,
und wie anderwärts haben sich auch in
in seiner Unschuld, daß ein solches für einen
Wien die Frauenberufe vervielfacht. Tau¬
vorliegenden Fall ganz leicht ein wenig ge¬
sende von Wienerinnen stehen im Berufe,
ändert, adaptiert, modernisiert werden
was den Hauptberuf, zu gefallen, nicht
könnte. Selten wird so fröhlich gelacht, wie
ausschließt. Nun denn — nach allem, was
bei derartigen Vorschlägen. Machen Sie
man sieht und hört, ist die Wienerin bei der
aus halblangen engen Armeln ganz lange,
Arbeit tüchtig und anstellig. Das ist wie
weit ausgebauchte; aus einer Küraßtaille
anderswo auch. Auf vielen ihrer neuen
eine Blusentaille; schinden Sie aus dieser
Gebiete bewährt sich die Frau sogar besser
die Princesse=Form heraus und modernisieren
als der Mann. Sie arbeitet flink, verstän¬
Sie aus einer englischen Toilette den Em¬
dig, gewissenhaft. Daß die Wienerin auch
pire= oder Altwiener Stil heraus! Sie können
bei der Arbeit ihren Humor behält und lustig
es nicht; dann reden Sie aber auch nichts!
bleibt, schadet weder ihr noch der Arbeit.
Mit solchen Naivitäten hat man kein
Sie bleibt in ihrer Branche. Wie sie im
Glück bei der Wienerin. Es gibt also gar
Hause und in der Gesellschaft bezaubert, was
keinen anderen Ausweg, als — ein neues
ihr nahe kommt, so auch bei der Arbeit im
Kleid. Und das ist denn zur richtigen Zeit
Berufe. Das allerdings hat seine bedenklichen
da, und die Wienerin sieht dann darin so
übelstände. Sie werden gewöhnlich viel
aus, daß der weise Ratgeber selber seine
rascher, als es für die Kontinuität des ge¬
Freude daran hat und ohne weiteres zugibt,
regelten Geschäftsbetriebes zuträglich ist, sei
daß er wirklich ein Esel gewesen sei.
es vom Herrn Chef, sei es von anderen her¬
Das ist nämlich eine der wichtigsten Künste
ausgeheiratet. Das ist in der Tat ein Un¬
der Wienerin, wie sie eine Toilette zu tragen
versteht! Die Pariserin mag das ebensogut glück, aber es kann gleich hinzugefügt werden,
verstehen. Zugegeben. Die Wienerin ver= daß sie dieses Unglück mit bewunderswerter
steht es aber entschieden besser, eine Toilette Würde zu tragen wissen.
1. Miscellaneous box 41/2
ssseeea Die Wienerin. 188888888888 253
Wien längst zur Legende geworden. Die
auch anständig auszufüllen. Dieses Verständ¬
Legende von dem „guten“ Kleid hat aber nie wird nicht so leicht überall aufgebracht
in Wien überhaupt niemals bestanden. Daß
werden. Es ist eine alte Streitfrage, für
also die Hausfrau ein besonders geschätztes
wen sich die Frau eigentlich anzieht. Es
sind die Satiriker, die da behaupten: für
Ausstattungsstück, etwa das „Blauseidene“
die Frau. Nach ihnen gibt es keine süßere
von Saison zu Saison sorglich aufhebe und
und reinere Freude, als mit der eigenen
es dann hervorhole, wenn sich nach Jahr
Pracht ein halb Dutzend Rivalinnen tot zu
und Tag ein bedeutender Anlaß ergibt, -
ärgern. Ich bin kein Satiriker und möchte
das gibt es in Wien nicht. Kleider muß
mich vor allen Dingen nicht in die Irrgänge
man natürlich haben; man muß sich doch be¬
einer Konjekturalpsychologie verlieren. Ich
kleiden. Jede Frau braucht also gelegent¬
gebe auch zu, daß nur Frauen eine Toilette
lich ein neues Kleid. Was die Wienerin
kritisch zu betrachten und zu würdigen wissen
betrifft, so glaube ich, daß es in ihrem gan¬
und daß die Männer meist nichts davon
zen Leben keine Phase gibt, in der sie nicht,
verstehen und kein Interesse dafür haben.
und zwar besonders dringend ein neues
Dennoch möchte ich dabei bleiben: der tiefste
Kleid brauchte. Ich kann da sämtliche Ehe¬
metaphysische Grund für jeglichen Toilette¬
männer Wiens zu Zeugen aufrufen. Sie
aufwand ist der Mann. Er erkennt die Ur¬
werden einstimmig bekunden, daß eine
sache nicht, aber er spürt die Wirkung. Schon
Wienerin nie „etwas zum Anziehen“ hat.
Blitz und Schlag —
Die aber müssen es wissen; sie haben es aus
mancher hat sich —
in eine Frau verliebt, und wenn er dann
erster Quelle. Es muß also immer ein
angedonnert nach Hause kommt, und Du
neues Kleid her. Verstehen wir uns recht;
fragst ihn: Was hat sie denn angehabt?
nicht immer ist ein Kleid ein Kleid. Mein
dann weiß er es nicht einmal, der Arme.
Gott, ein Kleid — bekleidet ist man bald!
Er weiß es nicht, und doch war es vielleicht
Man nennt es ein Kleid, weil das die Sache
gerade die Kunst der Toilette, die ihn zur
dringlicher erscheinen läßt; gemeint ist eine
Strecke gebracht hat. Mitgeholfen hat sie
Toilette.
jedenfalls. Die Wienerin hat die Bedeutung
Nun sind wir beim springenden Punkt.
der Kunst des Sichanziehens vollkommen
Die Wienerin hat keinen Sinn dafür, eine
begriffen und übt sie mit Virtuosität und
Toilette zur Tracht erstarren zu lassen, sie
weil sie sie begriffen hat, tut sie gern in
hält sich an die Mode. Darum kann sie
übriges. Das Ergebnis: hoch hinaus, sehr
auch nicht das „Blauseidene“ für große An¬
häufig um einen Grad zu hoch. Wie ich
lässe parat liegen haben. Ist der Anlaß da,
kein Satiriker bin, bin ich auch kein Sitten¬
dann — verlassen Sie sie darauf — ist auch
richter. Ich halte es da genau so wie mit
das seiner würdige neue Kleid zur Stelle.
dem gedichteten Schwert an meiner Linken:
Manchmal findet sich auch so ein Esel von
hab' ine Freude dran, hurra!
einem Ehemann, der praktische Ratschläge
soll das Volk bei der Arbeit auf¬
gibt. Manchmal, nicht oft, und die prak¬
suchen. Die Wienerin verträgt es, auch bei
tischen Ratschläge gewöhnt er sich dann auch
der Arbeit aufgesucht zu werden. Man geht
sehr bald ab. Er hat irgend einmal irgend
auch in Wien mit der Zeit. Die Befreiung
etwas in einem deutschen Roman von dem
guten Blauseidenen gelesen und meint nun
der Frau macht auch da ihre Fortschritte,
und wie anderwärts haben sich auch in
in seiner Unschuld, daß ein solches für einen
Wien die Frauenberufe vervielfacht. Tau¬
vorliegenden Fall ganz leicht ein wenig ge¬
sende von Wienerinnen stehen im Berufe,
ändert, adaptiert, modernisiert werden
was den Hauptberuf, zu gefallen, nicht
könnte. Selten wird so fröhlich gelacht, wie
ausschließt. Nun denn — nach allem, was
bei derartigen Vorschlägen. Machen Sie
man sieht und hört, ist die Wienerin bei der
aus halblangen engen Armeln ganz lange,
Arbeit tüchtig und anstellig. Das ist wie
weit ausgebauchte; aus einer Küraßtaille
anderswo auch. Auf vielen ihrer neuen
eine Blusentaille; schinden Sie aus dieser
Gebiete bewährt sich die Frau sogar besser
die Princesse=Form heraus und modernisieren
als der Mann. Sie arbeitet flink, verstän¬
Sie aus einer englischen Toilette den Em¬
dig, gewissenhaft. Daß die Wienerin auch
pire= oder Altwiener Stil heraus! Sie können
bei der Arbeit ihren Humor behält und lustig
es nicht; dann reden Sie aber auch nichts!
bleibt, schadet weder ihr noch der Arbeit.
Mit solchen Naivitäten hat man kein
Sie bleibt in ihrer Branche. Wie sie im
Glück bei der Wienerin. Es gibt also gar
Hause und in der Gesellschaft bezaubert, was
keinen anderen Ausweg, als — ein neues
ihr nahe kommt, so auch bei der Arbeit im
Kleid. Und das ist denn zur richtigen Zeit
Berufe. Das allerdings hat seine bedenklichen
da, und die Wienerin sieht dann darin so
übelstände. Sie werden gewöhnlich viel
aus, daß der weise Ratgeber selber seine
rascher, als es für die Kontinuität des ge¬
Freude daran hat und ohne weiteres zugibt,
regelten Geschäftsbetriebes zuträglich ist, sei
daß er wirklich ein Esel gewesen sei.
es vom Herrn Chef, sei es von anderen her¬
Das ist nämlich eine der wichtigsten Künste
ausgeheiratet. Das ist in der Tat ein Un¬
der Wienerin, wie sie eine Toilette zu tragen
versteht! Die Pariserin mag das ebensogut glück, aber es kann gleich hinzugefügt werden,
verstehen. Zugegeben. Die Wienerin ver= daß sie dieses Unglück mit bewunderswerter
steht es aber entschieden besser, eine Toilette Würde zu tragen wissen.