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254 B Balduin Groller: Die Wienerin. ##8888
Schade ist's doch, in vielen Fällen sehr
als Tennisspielerin oder als Ladenmam¬
schade. Das österreichische Volk ist mit Ta¬
sell oder als kleine große Dame in die Er¬
lenten allerart reich begnadet, und eine
scheinung, sei sie nun ein kecker Schnabel
gütige Vorsehung hat keine Zeichen von Er¬
oder gehöre sie zur timiden, zur schüchternen
müdung erkennen lassen, als sie sich an die
Sorte. Süß sind sie alle, nur entsprechen
sie dem Begriff nicht, der mit der neuen
Wienerinnen machte. Auch sie sind gesegnet,
und ich neige der Ansicht zu — vorzugs¬
registrierten Schutzmarke gemeiniglich ver¬
weise. Wo sie stehen und was sie in die
bunden wird. Das, was das Schnitzlersche
Hand nehmen, offenbaren sich ihre Begabung
Wort zum Ausdruck bringt, ist eigentlich ein
und ihre Anstelligkeit. So ist's in jedem Be¬
internationaler Begriff. Jede Großstadt hat
ruse, und wenn sie dann herausgeheiratet
ihre Armee von süßen Mädeln, jene tausend¬
werden, dann wird immer etwas verloren.
gestaltige, wechselnde, schwankende Nasse, die
Friedrich der Große hat manchmal ein leises
nur ein gemeinsames Merkmal hat, das der
Bedauern gefühlt, daß er Herrscher und
moralischen Angestochenheit. Das gibt es
nicht Flötenspieler geworden sei. Ich weiß
natürlich auch in Wien, obschon es unrecht
nicht, ob so eine herausgeheiratete Wienerin
wäre, es nicht ausdrücklich hervorzuheben,
nicht auch so ein ähnliches Bedauern fühlt,
daß das Hauptkontingent zu dieser ver¬
aber ich weiß, daß sie herrscht, wenn sie ge¬
lorenen Armee nicht von den Wienerinnen,
heiratet worden ist. Wenigstens dürfte nir¬
sondern von den Zugereisten gestellt wird.
gends in der Welt das Geschlecht der Si¬
In diesem Sinne von dem „süßen Mädel“
mandl — das ist der technische Lokulausdruck
als von einer Wiener Besonderheit zu
für den Pantoffelhelden — so weit verbreitet
sprechen, wäre also durchaus unzulässig und
sein wie in Wien. Nebenbei bemerkt, ich
würde auf eine schiefe, ja ungerechte Auf¬
persönlich bin schon so weit, daß ich mit
fassung schließen lassen. Ich habe durchaus
nicht die Absicht, in die Arena hinabzusteigen
kühner Stirn behaupte: jeder anständige
und mit eingelegter Lanze ein scharfes Tur¬
Mensch muß ein Pantoffelheld sein. Man
nier zu bestehen für die Wiener Moral.
mag mir nun beipflichten oder nicht, das
—
eine läßt sich doch feststellen: die Wiener Si¬
Ich denke mir tiefsinnig: Moral ist Moral,
und Menschen sind Menschen. Denke mir
mandl sind nicht zu bedauern; es geht ihnen
gar nicht schlecht.
weiters und nicht leichthin, sondern auf
Grund der Beobachtungen eines Menschen¬
In allen Berufen tun sich die Wienerinnen
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alters, daß Moral und Menschen in der
hervor, sagte ich, und ich weiß wirklich nicht,
welchen ich ausnehmen sollte. Sie rücken
ganzen Kulturwelt so ziemlich auf gleicher
tapfer auf, selbst in den vornehmen Berufen
Stufe stehen und daß man zu besonderer
des Schrifttums und der Kunst. Es hat eine
Überhebung nirgends besonderen Grund hat.
Zeit gegeben, da man mit einiger Gering¬
Wien ist im Punkte der Moralität nicht
schätzung auf die dichtende Weiblichkeit herab¬
schlechter und nicht besser als andere Gro߬
blickte. Die Zeit ist längst vorbei. Jetzt müssen
städte auch, Einsprache darf aber erhoben
wir, wir andern, froh sein, wenn sie nicht ge¬
werden gegen falsche Vorstellungen. Das
„süße Mädel“, das so oft zitiert wird, be¬
ringschätzig auf uns herabblicken. Sie spielen
steht als Institution oder als Typus in
nämlich auch schon führende Rollen, und im
Troß halten sie Schritt und stehen jede Pace
Wahrheit nicht. Damit sei nicht für die
Tugend gekämpft, sondern eine Tatsache
durch. Alle Kunstschulen werden von ihnen
aus ver¬
festgestellt. Ich würde mir
eifrig besucht. Auf den Ausstellungen ist ein
—
schiedenen Gründen — die Haare nicht
Unterschied zu ihren Ungunsten längst nicht
mehr zu bemerken, und was nun die Sänge¬
ausraufen, auch wenn es zufällig an¬
rinnen, die Heroinen, die Sentimentalen und
ders stünde, aber es steht wirklich nicht so,
die Soubretten betrifft, so brauche ich wahr¬
wie vielfach angenommen wird. Es wäre
haftig nicht erst lange Romane zu erzählen.
ja möglich. In Paris besteht die Institu¬
Man weiß von ihnen ja, und nicht nur bei
tion; dort blüht der Typus des „süßen Mä¬
dels“ in den kleinen fanx menages, wo die
uns, sondern in der ganzen Welt.
kleinen Grisetten den kleinen Studenten die
Eher ließen sich Romane erzählen von
kleine Wirtschaft führen. Möglich wäre es,
dem „süßen Mädel“. Auch so eine Sache!
Das süße Mädel ist förmlich eine Wiener
es könnte auch in Wien so sein, aber es ist
Spezialität geworden, wenigstens in der
nicht.
Vorstellung der Leute und vornehmlch der
So, nun wäre ich eigentlich fertig mit der
Leute im Ausland. Ein Wiener Dichter,
Wienerin. Auch ihr Name ist Weib. Das
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Arthur Schnitzler, ist schuld daran. Er hat
sagt vieles und erspart mir vieles zu sagen.
sie erfunden, hat den Typus aufgestellt und
über das Allgemeingültige, also Selbstver¬
ständliche können wir schweigend hinweg¬
er weiß so berückend und überzeugend zu er¬
gehen. Was ich auch noch zu sagen ver¬
zählen, daß man ihm gerne jedes Wort
möchte, das Quellenstudium könnte es doch
glaubt. Ich meine aber, daß er es erstens
nicht so — Sie wissen schon wie? — gemeint
nicht ersetzen. Dieses möchte ich empfehlen
und mich zugleich dagegen verwahren, daß
hat, und zweitens, daß er falsch verstanden
ich für die Wienerin Reklame machen wollte.
worden ist. Die Bezeichnung trifft zu auf
das Wiener Mädel überhaupt, trete es nun Das hat sie nicht nötig.