VII, Verschiedenes 11, 1906–1909, Seite 57

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1. Miscellaneeus

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Auber durch Lanner und Strauß Vater repräsen= agrarisch Fühlenden, aller, die als Söhne von Pick, der Autor des Fiakerliedes, zur Seite gesetzt age aufgewor
wird. Und so habe sich der Sänger des Praters Volksmusik, ind
tiert, als deren Nährquellen man den gemütlichen Ackerbürgern eine atavistische Liebe zum Landleben
Ländler des Volkes kennt. Den spezifischen Wiener hegen und in den Tiefen ihres Herzens das Idegl und des Wienerwaldes allgemach zum Sänger si erschallts
Ton aber hat ein Zeit= und Glaubensgenosse der grünen Wiese tragen, gegen die unverb'ümten der Ringstraße, zum mondänen Großstadtwiener und Schwesterl
Offenbachs in seinen Kupletts geschaffen, Alexander
umgewandelt. Schade, daß Spocht die transleithani= Unlängst
Großstadtinstinkte des Juden. Auch im geistigen
Krakouer, der jenem an Genie vielleicht nicht eben¬
sche Tendenz des „letzten“ Strauß nicht in seinen schönen Vorder
Leben kommen sie überall zum Vorscheine. Heine ist
biktig, aber doch ein großes Talent war. Er ver
der Großstadtromantiker. Und nicht umsonst ist der
geistreichen Calcul mit einbezogen hat. Man denke: morgen weckten
dichtete das Wiener Arom bis zur Penetranz. Er
Der Komponist der zweiten Volkshymne, des Mödlinger Sta
Dichter der Großstadt Wien heute Artur Schnitzler.
unterstrich das Rührselige und Sentimentale, das
In Offenbach gewann die Großsiadt Paris, deren Donauwalzers komponiert einen Zigeunerbaron“ ich meinen Oh
ein Werk das Wien, das Oesterreich als das Land Die befrackten
im österreichischen Volkscharakter liegt. Und er
Bevölkerung mit ihrer heimlichen Sehnsucht nicht
rückte das Wiener Empfinden vom Rustikalen weg
der Reaktion gegenüber Ungarn, dem Lande der wahrhaftig —
mehr ins Hinterland gravitierte, ihren tönenden
Freiheit verspoltet und verhöhnt. Man denke sich, tschechische Vol
ins Städterische hinüber. So ist en der Sänger der [Ausdruck. Und die großstädtische Wiener Mitlk
daß ein Franzos; ein Italiener, ein Tscheche, ein noch das „He
Stadt Wien geworden und seine Weise ist noch
hat Krakauer kreiert.
immer tonangebend, auch in der Luegeropolis. Die
Ungar solches täte. Ausgeschlossen. Johann Strauß, gedacht, ist's al
Und Johann Strauß Sohn??
der Komponist unserer zweiten Volkshynne, des mert das „Hre
Wiege der Pariser Musik hat zu Köln gestanden,
Es ist jetzt ein Buch über ihn erschienen von
Donauwalzers, hat es getan und, was am allet= lie Tal,
die Wiege der Wiener Musik 2— ol o! — in Cali¬
Richard Specht.*) Ein glänzend geschriebenes Buch,
merkwürdigsten ist: es ging ihm durch, man schlug Man dente# ##
zien... Wobei es recht charakteristisch ist, daß
das dem Autor in Wien sehr übel vermerkt wird.
ihm in Wien nicht die Fenster ein, sondern juhele schechischen S
der Pariser Orphens nach der dramatischen, der
eben darum verdient es gelesen zu werden. Es ent¬
ihm mit Enthusiasmus zu. Ja, das ist Wienerisch die Folgen au
Wiener nach der lyrischen Seite hin sich entfaltete.
hält so manche bittere Wahrheit. Es zeigt Strauß
Dieser eingefleischte Lokalpatriotismus, dieser Anstoß daran.
Gewiß dürfen wir beide Fälle als Beweise
als das echte Wiener Genie, das von Frauen ge¬
Götzendienst mit dem alten Steffel einerseits, diese unrichtigen St
für die eigentümliche, enorme Anpassungsfähigkeit
gängelt, jedem augenblicklich einwirkenden Reiz und
nationale Charakterlosigkeit und Apathis bis zur nicht in den
der Juden an fremde Volksindividualitäten ans Einfluß untertan, nicht die Kraft hat, das Genie
Selbstpreisaebung und Selbstverhöhnung auf der Aber kennzeic
führen und aus dem eigentümlichen Talent der zum wahren Künstler zu läutern, das aus uner¬
anderen Seite. Aber man dar als Milderungsgrund Hier in Wien
Juden herleiten, das Charakterisiische fremder Er¬,
#chöpflicher Fülle immer neue Motive erfindet und
eben den endemischen Musikdusel des Wiener ins die Worte mac
scheinungen rasch und sicher zu erfassen. Aber ganz
aneinander reiht, statt wenige zu reichster Mannig¬
Feld führen. Wenn er eine Musik hört, h##t er kümmert sichtd
reichen diese Momente zur Erklärung wohl nicht
faltigkeit zu entwickeln. Ein Genie, das aus dunklen
überhaupt zu denken auf. Dann ist es dem unent= unter der S#
aus. Es kommt noch etwas hinzu. Der Jude ist in
urmusikalischen Trieben schafft, das vom Worte
wegtesten Christlichsozialen sogar gleicheiltig, ob Johann Stig
Europa überall der geborene Vertreter städtischen
nicht beflügelt, sondern gehemmt wird. Das Beste,
ein Fef Jude die Musik gemacht hat. Wien hat bekümmerte.
Geistes, besser gesagt: großstädtischer Kultur. Dem
Gesündeste dieser Kunst sei ihr steirisches Erbe.
Parteiorgane, aber noch keine Parteiohren. Daher Geige #####
Juden ist die Großstadt mehr als eine eherne,
In dem, was als spezifisch Wienerisch gelten kann,
der unbehinderte Ruhm von Oskar Strauß, Leo Himmel“
leidige Notwendigkeit. Sie ist ihm ein Ideal. Man
sei auch Strauß sehr viel von Kralauer beeinflußt.
Gib Ac
Fall usw. bis in die schwärzesten Bezirke. Nur im
versteht den halben Antisemitismus, ich meine den
Von Krakauer, dem als zweiter Dioskure Gustav
Gebiet der höheren Musik — siehe Mendelssohn, mal aus Dein
Antisemitismus als Kulturerscheinung aus diesem
Goldmark, Mahler — wird gern die konfessionelle Gewand allb
Punkte. Nämlich als den instinktiven Kampf aller *) Berlin, Marquardt & Co.