VII, Verschiedenes 11, 1909–1911, Seite 7

1. Miscellaneous box 41/2
SateiusEiscg
Symbol, das ragende Panier; sich zu ihr bekennen,
wird Ehrenpflicht und Mannesstolz. Mit der gleichen
Selbstverständlichkeit und Anspruchslosigkeit teilt die
Offizierfrau ihres Mannes Los. Manche verwöhnte
Großstädterin bei uns würde schaudern, ihre Ver¬
setzung betreiben, in Berlin intrigieren, Konnexionen
einspannen.
Ist es größere Leichtherzigkeit? Und liegt in
dieser Leichtherzigkeit nicht viel mehr Vornehmheit,
Liebenswürdigkeit, Güte als in unserer vielbetonten,
pflichtmäßigen Hausfrauentüchtigkeit?
Weil sie nicht viel Wesens von sich machen,
kennt das Reich sie nicht. Die Allianz mit Öster¬
reich ist populär. Gewiß! Es könnte nichts Volks¬
tümlicheres geben, dem jeder roteste Sozialdemokrat
zustimmte!
Und in dieser Volkstümlichkeit, deren Gründe wohl
die große Masse, die dem greisen Herrscher oder
irgendeinem mannhaften Bekenntnis vom Regierungs¬
tisch zujubelt, nicht klar erkennt, liegt doch noch
Tieferes, ruht eine Anerkennung, eine Ahnung. Der
Feinde ringsum sind viele, regsame, erfolgreiche,
kühne und listige Gegner, das Zerbröckeln des alten
Kaiserstaates bildet den Lieblingsgegenstand ihrer
Preßerörterungen, dunklere Zettelungen der Politiker
und Volkswirte erscheinen noch gefährlicher, nach wie
vor mögen sich eigennützige und uneigennützige
Schwärmer für sogenannte natürliche Rechte, die
Ansprüche irgendeines sagenhaften Kasimir oder
Stepan begeistern — hier an der Grenzwacht sollte
jeder deutsche Posten, Soldat oder Matrose, wissen,
daß bis zum Ostseestrand und zum Belt das ganze
große Deutsche Reich Mann für Mann hinter ihm
steht, und daß wir mit uns nicht feilschen und markten
ente der rassischen dehterung
lassen um deutsche Macht und Heerlichkeit, um Sitte, I/vorstehen. Erst kürzlich hat uns de
Konflikt auf diese „russische Gefahr“
Sprache und erworbenen Besitz.
merksam gemacht. Die beständigen Un
auch nicht ohne ihren Hintergrund sein
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daß Europa nicht eher zur Vollend
Gleichgewichts gelangen wird, als bis
Russisches.
seine Lösung erfahren hat. Wie so
nöten sein, daß wir uns mit ihm ver
Es sind hundert Jahre her, daß Nikolaus Gogol geboren
Keiner der großen russischen Dichter
wurde. Wir sind in Deutschland vertraut mit seinen
ist so russisch oder russischer als Go##
komantischen Zeitgenossen Puschkin und Lermontoff, ungleich
„Taras Bulba“ und den Dijanka =Erz
vertrauter noch mit seinen großen Nachfolgern Turgenjeff,
intimsten Kenner der russischen Volks
Dostoj#wski, Tolstoi; den Vater des großen russischen
der zugleich auch als der eigentlich
Naturalismus aber, der, wie in Frankreich Balzac, den
russischen „Anklageliteratur“ anzusehen
modernen Realismus aus der Romantik hervorentwickelte,
Die beiden ersten, umfangreichen
Gogol, kannten wir bisher nur in unzulänglicher Weise.
gestatteten, mit zwei Porträten von Go#
Fast ausschließlich Reclams Universalbibliothek hat uns seine
dieser neuen, vollständigen und seh
Bekanntschaft vermittelt; aber teilweise, z. B. was die
Ausgabe bieten „Die Abenteuer Tsc
„Toten Seelen“ anbetrifft, mangelhaft; denn gut ein Dritteil
toten Seelen“ und ferner die drei
der eigentlichen Fassung dieses bedeutendsten Werkes von
Mantel“, „Die Nase“ und „Das Porträ
Gogol fehlt in der Reclam=Ausgabe. Jetzt wird all dies
Fragment der „Toten Seelen“ ist tre#
Versäumnis nachgeholt mit einer achtbändigen Gesamt¬
dargeboten, wie es von Gogol hinterl
Ausgabe von Gogols Werken, die, übertragen von
paar Lücken im Text und mit den von
Dr. Otto Bunk, vorzüglich eingeleitet von dem namhaften
Varianten.
Gogol=Forscher und Mitglied der Petersburger Akademie
In gewisser Hinsicht könnte man
der Wissenschaften Nestor Kotljarewski, und mit ausführ¬
Rußlands nennen. Er hat etwas
lichen Anhängen in Gestalt von längeren Text=Varianten
des alten Epos; auch von seiner unv
versehen, in dem verdienstvollen Verlag von Georg Müller
(München) erscheint.
autochthonen Volkstümlichkeit. „Tar
Dijanka=Erzählungen zeigen diese Ei
Uns heute so eingehend wie möglich für russisches Leben
und russische Kulturentwicklung zu interessieren, ist kein bloßes
Deutlichkeit; doch auch die „Toten Se
wir bedauern müssen, daß die „Toten
ästhetisches Interesse mehr, sondern ist fast schon unerläßlich
blieben, ist fraglich. So sehr es sich
geboten durch dringlichste aktuelle europäische Entwicklungs¬
läßt, daß Gogol, der seinem Vaterla
zustände und durch gewisse ernste Entscheidungen von Osten
zugetan war, nach dem ersten, negative
her, die Europa in einer wohl kaum so fernen Zukunft be¬