VII, Verschiedenes 11, 1909–1911, Seite 13

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verstanden werden, so wirkt die
Charakteristik „jüdisch“ gerade auf
die Juden verstimmend. Sie emp¬
finden darin eine Anzüglichkeit
nicht etwa auf die charakteristischen
Stärken, sondern auf die Schwä¬
chen ihres Wesens. Dazu kommt
noch ein anderer Umstand. Was
den Künstler charakterisiert, ist meist
nicht das, was er mit Bewußtheit
kraft seiner Bildung und Intelli¬
genz will und erstrebt, sondern das,
was unbewußt, unabhängig von sei¬
nem Willen in ihm schläft oder
arbeitet. Es muß den Juden, der
in den Idealen der germanischen
Kunst erzogen ist, und der glaubt:
nicht was wir sind, was wir suchen
ist alles, oft geradezu erschrecken,
wenn man Züge an iym bemerkt,
die vielleicht nur als dunkle In¬
stinkte, jenseits seines Willens in
seiner Seele walten. Das Jüdische
der Mahlerschen Kunst läßt sich,
wie mir scheint, gar nicht über¬
sehen. Die heftig gestikulierende
Rhythmik, die Unrast, die Vorliebe
für grelle Kontraste, die flackernde
oder fanatische Leidenschaftlichkeit
des Ausdrucks gehören wohl dazu.
Pflegen doch in bedeutenden Indi¬
viduen die Rasseneigentümlichkeiten
in gesteigertem Grade hervorzutreten.
Aber ebenso verkehrt, wie das Ver¬
schleiern und Vertuschen, scheint es
mir anderseits: in Mahlers Kunst
nur das Jüdische zu sehen, sie ein¬
zig aus diesem Punkte zu erfassen,
statt zu beobachten, wie hier die
Personlichkeit über die Grenzen
ihrer Gattung, ihrer Rasse hinaus¬
wächst. Gustav Mahler hat, wie
Schnitzler richtig bemerkt, in der
Tat viele ausgezeichnete Eigenschaf¬
ten erwiesen, die mit dem beson¬
deren Begriff des Füdischen gar
nichts zu schaffen haben, die ihn
einfach als ungewöhnlichen Men¬
schen und Künstler erscheinen lassen.
Und das Deutsche der Mahler¬
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schen Kunst? Die enorme An¬
passungsfähigkeit an die Völker,
unter denen sie leben, macht ja
gerade eines der Merkmale des
Judentums aus. Mehr noch. Die
Juden nehmen nicht nur die ge¬
samte Bildung und Anschauungs¬
weise ihrer Wirtsvölker rasch in
sich auf, sie unterstreichen deren
nationale Eigentümlichkeiten sogar
oft deutlicher und drastischer, als
diese Völker selbst. Heine hat Ge¬
schlechtern als der deutsche Dichter
par excellence gegolten. Offen¬
bach, der Kantorsohn aus Köln,
hat das Pariserische in der Musik
„geschaffen“. Das penetrante Wie¬
nertum, das bei Johann Strauß
noch eine feine Blume war, ist
von jüdischen Couplet= und Tanz¬
komponisten destilliert worden,
deren Wiege im fernen Osten stand.
Mahlers Verhältnis zur deutschen
Volksmusik ist ein Verhältnis nicht
des ruhigen, natürlichen Besitzes,
sondern der heißen Sehnsucht. Und
ebenso wird man sein künstlerisches
Wesen am besten fassen. In diesem
durch und durch intelligenten, mit
der deutschen Bildung seiner Zeit
erfüllten, auf der Höhe der musi¬
kalischen Technik stehenden, geistig
überkomplizierten Manne lebt eine
Sehnsucht nach dem Naiven, nach
dem Primitiven, ja nach dem Tri¬
vialen; neben transzendentaler
Geistigkeit und einem Kult des
großen Pan in der Natur. Und
der Ausgleich dieser Faktoren voll¬
zieht sich in seinen Symphonien
unter wildem Ringen, mitunter
fast unter Krämpfen. Gewiß, daß
die Konflikte seiner Kunst durch
die jüdische Psyche gefärbt sind.
Aber das Menschliche darin können
wir alle mitempfinden, die wir
zwischen den Steinmassen der
Großstadt ein tiefes deutsches)
fühlen nach Wald und'
Heimweh
Richard Vatká
Wiese.
Kunstwart XXIII, 90