VII, Verschiedenes 11, 1909–1911, Seite 16

bestellt gewesen und wenn in den Berichten vom
Krankenbette die bange Sorge, die die Aerzte und
die Umgebung des Künstlers schon seit Monaten
erfüllte, nur verschleiert zum Ausdrucke kam, wenn
von der baldigen vollständigen Wiederherstellung des
Künstlers die Rede war, so findet diese Verhüllung
des wahren Sachverhaltes ihre Rechtfertigung in der
menschlichen Rücksicht auf den schwer leidenden Mann.
Denn Kainz, der immer ein eifriger Zeitungsleser
war, interessiert sich in letzterer Zeit besonders lebhaft
für die seine Person betreffenden Nachrichten, die in
die Oeffentlichkeit gelangten und es wäre eine unnütze
Grausamkeit gewesen, dem von Leiden gefolterten
Künstler den Ernst seines Zustandes zum Bewußtsein
gelangen zu lassen.
Die neue, so bedrohliche Wendung macht aber
diese Verschleierung des den Aerzten und der engeren
Umgebung des Künstlers schon längst bekannten
Ernstes der Situation überflüssig. Die traurige,
schmerzvolle Wahrheit ist kurz die: Die Aerzte
geben wenig Hoffnung... nur ein Wunder
vermag Kainz zu retten ...
Die Krankheit Kainz' ein Darmleiden, datiert
schon lange zurück, die Anfänge des Leidens traten
vor etwa fünf Jahren auf. Kainz faßte die Sache
nicht tragisch auf. Er begab sich von Zeit zu Zeit in
ärztliche Behandlung und Medikamente brachten ihm
vorübergehende Linderung der qualvollen Schmerzen,
die in immer kürzeren Pausen auftraten.
Gleichwohl wollte der Künstler von Schonung
nichts wissen. Rastlos war er künstlerisch tätig, immer
in der Gestaltung neuer Rollen begriffen, immer
unterwegs, von Stadt zu Stadt, von Land zu Land,
von einem Gastspiel zum anderen eilend. Sein
Wander= und Schaffenstrieb fand keine Fessel und
dem Rate wohlmeinender Freunde, die ihm oft die
Frage nahelegten, ob er durch die enormen Strapazen
dieses aufreibenden Arbeitstriebes seinem schonungs¬
bedürftigen Körper nicht zu viel zumute, gab er kein
Gehör.
Im April dieses Jahres mußte sich der Künstler
— die zunehmenden Schmerzen zwangen ihn dazu —
dem Professor Dr. v. Noorden anvertrauen, der
eine Kur verordnete. Sie brachte Linderung und der
stets hoffnungsfreudig gestimmte Künstler wußte nun,
daß er —
von Hämorrhoiden — völlig genesen sei.
Eine schlimme Enttäuschung brachte der Mai. Die
Beschwerden wurden so heftig, daß sich die Not¬
wendigkeit einer Operation herausstellte, die Professor
Dr. Julius Schnitzler im Sanatorium Loew durch¬
führte. Sie konnte, der Natur des bösartigen Leidens
gemäß, keine dauernde Heilung bringen, doch hatte
sie wenigstens den einen Erfolg, daß das subjektive
Befinden des Künstlers sich besserte.
Es geschah alles, ihn glauben zu machen, daß
er genesen werde. Man ließ ihm den Glauben, er leide
an Hämorrhoiden und Kainz gab sich nun wieder
hoffnungsfroh seinen Zukunftsplänen hin, unter denen
der Vertrag mit dem Burgtheater und seine Tätig¬
keit an der Hofbühne an erster Stelle standen.
Als die scheinbare Rekonvaleszenz nach der
Operation soweit fortgeschritten war, daß Kainz den
Strapazen einer Bahnfahrt ausgesetzt werden konnte,
wurde er auf den Semmering gebracht. Von dort
hörte man, daß Kainz nur selten von Schmerzen ge¬
quält werde und daß sein Befinden eine wesentliche
Besserung zeige, was namentlich mit der Röntgen¬
Behandlung und mit der Radiumkur erklärt
wurde, auf die Kainz selbst große Hoffnung für seine
vollständige Heilung setzte.
Umso größer war daher die Bestürzung, als
Kainz um die Mitte Augustz vom Semmering wieder
in das Sanatorium Loew geschafft wurde. Das
wurde damit begründet, daß er sich angesichts des
schlechten Wetters auf dem Semmering sehr unbehag¬
lich gefühlt und den Wunsch geäußert habe, wieder
nach Wien in das Sanatorium Loew gebracht zu werden.
Die Aerzte machten aus der bevorstehenden
kritischen Wendung kein Hehl. Der Kranke selbst aber
hatte keine Ahnung von der Verschlimmerung seines
Zustandes und spann sich nach wie vor in seine
Zukunftspläne ein. Die heftigen Schmerzen, die ihm
oft den Klageruf erpreßten: „Oh, wäre ich nur
eine einzige Stunde schmerzfrei!“, raubten
ihm nicht Zuversicht und die Laune. Auch seine künst¬
lerische Zukunft beschäftigte ihn. Besonders interessierte
er sich für die ihm zugedachte Rolle in dem neuen
Stücke „Das weite Land von Artux Schuttler.
Indessen hat der bösarli Chäräkter des
Leidens verheerende Fortschritte gemacht und am
Montag traten die ersten Anzeichen der bedrohlichen
Wendung ein, die nun das Schlimmste
befürchten läßt. Er wurde plötzlich von rasenden
Schmerzen befallen und es mußten ihm reichliche
Morphiuminjektionen gegeben werden, damit er in
Die rasenden Schmerzen, die der Patient in den
letzten Tagen zu erdulden hatte, rührten von der
raschen, unter heftigen Blutungen vor sich gehenden
Ausbreitung dieses Neugebildes und den Zerstörungen
in der Bauchhöhle her. Diesem Prozesse gegenüber
beschränkte sich die Kunst und Aufgabe der behandeln¬
den Aerzte — Professor Dr. Schnitzler, Doktor
Kundegraber und Dr. v. Brennerberg
darauf, die tobenden Schmerzen des Kranken zu
mildern. Zur Bekämpfung des Leidens selbst konnte
in diesem Stadium nichts mehr geschehen.
Mittwoch vormittags traten die
Blutungen so heftig auf, daß Kainz
wiederholt ohnmächtig wurde und daß es
der angestrengtesten Bemühungen der Aerzte bedurfte,
ihn wieder ins Bewußtsein zurückzurufen. Zu diesem
Zwecke wurden Kampferinjektionen angewendet. Den
Rest des Tages und die folgende Nacht verbrachte
der Künstler teils in vollem Schlafe teils in einer
Art Dämmerzustand, der — eine Folge des gereichten
Morphiums ist.
Gestern morgens traten neuerdings Blutungen
ein, die wieder einen Ohnmachtsanfall zur Folge
hatten. Diese Blutungen bedrohen den Organismus
des Kranken mit völliger Entkräftung und lassen eine
Blutvergiftung befürchten.
Gestern nachmittags trat im Befinden des
Natienten eine kleine Besserung ein. Kainz
scheint sich jetzt seines ernsten Zustandes bewußt zu
sein; er liegt, wenn er nicht hindämmert, apathisch
im Bette und spricht fast gar nicht. Von
Zeit zu Zeit verlangt er nach Tee oder Eis. An eigent¬
liche Nahrungsaufnahme ist schon seit Tagen nicht
zu denken. Nachmittags war der Patient fieberfrei
und zeigte normalen Puls.
Die Teilnahme für den Künstler ist groß und
allgemein, was aus den zahllosen Anfragen, die
Stunde um Stunde im Sanatorium einlaufen, deut¬
lich hervorgeht.
Außer der Gattin des Künstlers weilen ständig
der Rechtsanwalt Dr. Glogau und Schriftsteller
Birinski in der Umgebung des Kranken.
Rettungslos.
9 Uhr abends: Die Hoffnung auf
eine Rettung des Künstlers ist ge¬
schwunden.
Bulletins von der Nacht.
10 Uhr abends: Abends trat im Befinden
Kainz keine wesentliche Verändering
ein. Der Künstler lag größtenteils im Schlafe. Beim
Erwachen zeigte sich große Schwäche. Er sprach
mit Dr. Glogau und Dr. v. Brennerberg.
Letzteren forderte er auf, sich eine Zigarette an¬
zuzünden. Längere Zeit verweilte Prof. Schnitzler¬
am Krankenbette. Morphium wurde dem Kranken nicht
gereicht.
12 Uhr nachts: Der Patient schläft.
Um 1 Uhr nachts wird vom Krankenlager
des Künstlers gemeldet: Kainz schlummert zeitweise.
Im Laufe der Nacht wurde ein Verbandswechsel vor¬
genommen. Hierbei hatte der Künstler die Kraft, sich
umzuwenden, ohne fremde Hilfe in Anspruch
zu nehmen.
Im Burgtheater
herrschte während des ganzen Tages und während
des Abends enorme Aufregung. Fast alle Künstlerinnen
und Künstler kamen in das Haus, um Erkundigungen
einzuholen.
Baron Berger ließ stündlich im Sanatorium
anfragen, wie es Kainz gehe.
Die Auskünfte lauteten sehr traurig.
Abends verbreitete sich in der Stadt das Ge¬
rücht, Kainz sei verschieden. Von allen Seiten läuteten
die Telephons in unserer Redaktion. Das Gerücht
bewahrheitete sich glücklicherweise nicht.