VII, Verschiedenes 11, 1909–1911, Seite 30

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Dann von mir gingen — Das will er von mir,
Daß er von meinem Lager müde taumelt,
zum Tier gemacht, wie Die! Er ist mein Kind!
Pflicht der Individualität, an die wir glauben, die wir verkünden, die
wir vom bloßen Getriebensein, bloßen Lüsteln, Betrachten, Bewitzeln
des Einzelnen heftigst abheben wollen. Wir wollen eine neue Sittlichkeit
Ernsts Typenblick erspäht uns eine alte, zu alte Moralistik. Eine
„Dirne ist vor Gott eine Verlorene — gut! Aber ist jede eine Dirne,
die das Leben einer Dirne führt? Es ist die geschichtliche Bedeutung
Shaws, dergleichen Fragen mit höchster sittlicher Energie, aus ernstester
protestantischer Religiosität heraus verneint zu haben.
Als Friedrich Freksa seine Ninon schrieb, da hat er sehr wohl
gefühlt, was an hohen, reinen Menschenwerten in dieser Liebhaberin
gesteckt haben mag, und hat das vortrefflich dargestellt. Nur daß er
allzu leicht und willig über die große, zunächst doch einmal zu über¬
windende Gefahr hinwegglitt, die das Prostitutionelle für die Würde
eines freien Menschen bedeutet; und so schwächte er seine Tragödie zum
traurigen Spiele. Unsre seinern, freiern Geister haben eben nicht
jenen letzten Ernst, jene wilde sittliche Leidenschaft, jenen Fanatismus
der Idee, um dessentwillen mir die Gestalt von Paul Ernst bei aller
sachlichen Gegnerschaft so ehrwürdig, so unentbehrlich und heilsam für
unsere Zeit scheint.
Die ungeheure Distanz, die Paul Ernsts erstaunliche Entwicklung
zurückgelegt hat (von seinen berlinischen Schauspielen „Lumpen¬
bagasch' und „Chambre séparée“ des Jahres 1898 bis zu „Canossa“,
„Brunhild“ und dieser „Ninon de l'Enclos') — diese Distanz
pflegen Literaten als den Unterschied zwischen Naturalismus und
Stilismus zu bezeichnen. Es ist nichts Wesenhaftes damit ge¬
sagt. Denn auch in Hauptmanns Rose Bernd' war eine eminente
Stilkraft, ein höchst zweckmäßiges Behandeln des dichterischen Mate¬
rials zur Färbung des herrschenden Weltgefühls. Die Frage ist also
nicht etwa: Stil oder Nichtstil? (denn Nichtstil wäre einfach gleich
Nichtkunst), sondern: Was scheidet die Stile, welche Differenz des
Weltgefühls bedingt diese sehr sichtbaren Unterschiede der Formgebung?
Mehr Wesentliches als mit allem Gerede von „Naturalismus“ und
„Neuklassik“ hat man gesagt, wenn man feststellt, daß Ernst in den
gleichen zwölf Jahren sich vom Sozialdemokraten zu einer Art von
freiem Konservatismus entwickelt hat. Diese politische Wandlung ist
in der Tat unmittelbare Anzeige der innersten stilumbildenden Ent¬
wicklung des Dichters. Von einem Stil, der den Menschen vor allem
als Glied der Masse empfinden läßt, dessen Farbe und Rhythmus ihn
vor allen als Natyrteilchen geben, als getragenes und getriebenes
Stück der Schöpfung zeigen will, ging der Weg zur Bildung eines
Stils von aristokratischen Prätensionen, zur Betonung geistiger Auto¬
nomie, menschlicher Schöpferkraft und stolzer Eigengesetzlichkeit. Nur
scheint mir persönlich, daß Paul Ernst, in sehr viel geistigerer und
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