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1. Miscellaneons
versteckterer Weise freilich, den Fehler des preußischen Konservativis¬
mus teilt, bei dem der wahrhaft aristokratische Glaube an die „Frei¬
heit des Christenmenschen“ allzu bald in äußern Autoritätsprinzipien
erstickt und zur absoluten Verknechtung führt. Das innere Gesetz, das
nicht immerfort freie Tat der Person swirklich inneres Gesetz) bleibt,
das man als Regel abstrahiert und über die Menschen hängt, hört
auf, Persönlichkeitswert, Freiheitswert zu haben, und macht den Men¬
schen genau so unfrei, so herdenhaft wertlos, wie er als Massenglied,
als Milieuprodukt, als Opfer des naturalistisch=materiellen Mechanis¬
mus ist. Gerade im Kulturphänomen Paul Ernst bricht die tiefe und
bedenkliche Verwandtschaft zwischen preußischer Sozialdemokratie und
preußischem Konservativismus hervor: es ist ein autoritativer, im
Grunde freiheitsfeindlicher Geist, der sie beseelt. Paul Ernst ist (wie
der viel derbere Arno Holz, der Freund seiner Anfänge) im Grunde
vor allem eins: Dogmatiker, Verehrer einer starken, sichern Außen¬
gesetzlichkeit. Geistige Unterschiede wesentlicher Art liegen nur im
Formalen; Ernst hat nur die Inhalte des Dogmas gewechselt, weil
seinem feinern Geist marxistischer Materialismus unbehaglich wurde;
vielleicht auch, weil er jene Elemente blos anarchistischen Aufruhrs in¬
stinktiv floh, die sich jeder Oppositionspartei leicht einmischen, auch
wenn sie im Grunde so erbaulich gläubig ist wie Preußens Bebelpartei.
Dabei gehört Ernstens heißeste Liebe jenem eigentlichen Aristokratis¬
mus des starken und großen Menschen, der nur sich selbst Gesetze gibt.
Aber er ist nicht glücklich in dieser Liebe. Das Bild dieses wahrhaft
Großen darzustellen gelingt ihm (ebenso wie dem preußischen Adel!)
nur in seltenen Augenblicken; denn ihm steht (wie jenem eine un¬
geistige Klassentradition) dogmatisierende Leidenschaft im Wege, die
immerfort goldene Moralregeln für die freie Sittlichkeit großer Men¬
schen interpoliert. Zu dieser Sittlichkeit, diesem freien Eigengesetz,
diesem echten (privilegienlosen) Aristokratismus der geistigen Kraft
führt kulturgeschichtlich nur der große Weg des Protestantismus, der
„gottgegeben Kraft nicht ungenützt verlieren“ mag. Oder um im
politischen Bilde zu bleiben: der Weg des Liberalismus, der das große
Erbgut der Menschheit aus der Renaissance ist, ihr köstlichster Besitz,
den weder spießbürgerliche Armseligkeit und manchesterliche Roheit
auf die Dauer entwerten, noch snobistischer Aesthetizismus ernstlich
diskreditieren kann. Diesen Liberalismus aber hat Ernst auf seinem
Wege von der Sozialdemokratie nach rechts hinüber umgangen; und
das ist der letzte Grund, warum er uns das Drama des freigefühlten
und freigestalteten Menschen, des „Helden (der übrigens auch ein
Schuster von „Beruf sein kann!) nicht gibt. Die große Revolution,
die im neunzehnten Jahrhundert unsre ganze Kultur erschütterte, und
deren politischer Name Sozialismus ist, hat den Menschen sehr ver¬
stärkte Gefühle des Zusammengebundenseins mit allen Gliedern der
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1. Miscellaneons
versteckterer Weise freilich, den Fehler des preußischen Konservativis¬
mus teilt, bei dem der wahrhaft aristokratische Glaube an die „Frei¬
heit des Christenmenschen“ allzu bald in äußern Autoritätsprinzipien
erstickt und zur absoluten Verknechtung führt. Das innere Gesetz, das
nicht immerfort freie Tat der Person swirklich inneres Gesetz) bleibt,
das man als Regel abstrahiert und über die Menschen hängt, hört
auf, Persönlichkeitswert, Freiheitswert zu haben, und macht den Men¬
schen genau so unfrei, so herdenhaft wertlos, wie er als Massenglied,
als Milieuprodukt, als Opfer des naturalistisch=materiellen Mechanis¬
mus ist. Gerade im Kulturphänomen Paul Ernst bricht die tiefe und
bedenkliche Verwandtschaft zwischen preußischer Sozialdemokratie und
preußischem Konservativismus hervor: es ist ein autoritativer, im
Grunde freiheitsfeindlicher Geist, der sie beseelt. Paul Ernst ist (wie
der viel derbere Arno Holz, der Freund seiner Anfänge) im Grunde
vor allem eins: Dogmatiker, Verehrer einer starken, sichern Außen¬
gesetzlichkeit. Geistige Unterschiede wesentlicher Art liegen nur im
Formalen; Ernst hat nur die Inhalte des Dogmas gewechselt, weil
seinem feinern Geist marxistischer Materialismus unbehaglich wurde;
vielleicht auch, weil er jene Elemente blos anarchistischen Aufruhrs in¬
stinktiv floh, die sich jeder Oppositionspartei leicht einmischen, auch
wenn sie im Grunde so erbaulich gläubig ist wie Preußens Bebelpartei.
Dabei gehört Ernstens heißeste Liebe jenem eigentlichen Aristokratis¬
mus des starken und großen Menschen, der nur sich selbst Gesetze gibt.
Aber er ist nicht glücklich in dieser Liebe. Das Bild dieses wahrhaft
Großen darzustellen gelingt ihm (ebenso wie dem preußischen Adel!)
nur in seltenen Augenblicken; denn ihm steht (wie jenem eine un¬
geistige Klassentradition) dogmatisierende Leidenschaft im Wege, die
immerfort goldene Moralregeln für die freie Sittlichkeit großer Men¬
schen interpoliert. Zu dieser Sittlichkeit, diesem freien Eigengesetz,
diesem echten (privilegienlosen) Aristokratismus der geistigen Kraft
führt kulturgeschichtlich nur der große Weg des Protestantismus, der
„gottgegeben Kraft nicht ungenützt verlieren“ mag. Oder um im
politischen Bilde zu bleiben: der Weg des Liberalismus, der das große
Erbgut der Menschheit aus der Renaissance ist, ihr köstlichster Besitz,
den weder spießbürgerliche Armseligkeit und manchesterliche Roheit
auf die Dauer entwerten, noch snobistischer Aesthetizismus ernstlich
diskreditieren kann. Diesen Liberalismus aber hat Ernst auf seinem
Wege von der Sozialdemokratie nach rechts hinüber umgangen; und
das ist der letzte Grund, warum er uns das Drama des freigefühlten
und freigestalteten Menschen, des „Helden (der übrigens auch ein
Schuster von „Beruf sein kann!) nicht gibt. Die große Revolution,
die im neunzehnten Jahrhundert unsre ganze Kultur erschütterte, und
deren politischer Name Sozialismus ist, hat den Menschen sehr ver¬
stärkte Gefühle des Zusammengebundenseins mit allen Gliedern der
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