VII, Verschiedenes 11, 1909–1911, Seite 45

griff. Jede Grossstadt hat ihre Armee von süssen Mädeln,
es ein Kleid, weil das die Sache dringlicher erscheinen
jene tausendgestaltige, wechselnde, schwankende Rasse,
lässt; gemeint ist eine Toilette.
die nur ein gemeinsames Merkmal hat, das der morali¬
Man soll das Volk bei der Arbeit aufsuchen. Die
schen Angestochenheit. Das gibt es natürlich auch in
Wienerin verträgt es, auch bei der Arbeit aufgesucht zu
Wien, obschon es Unrecht wäre, es nicht ausdrücklich
werden. Man geht auch in Wien mit der Zeit. Die Be¬
hervorzuheben, dass das Hauptkontingent zu dieser
freiung der Frau macht auch da ihre Fortschritte, und
verlorenen Armee nicht von den Wienerinnen, sondern
wie anderwärts haben sich auch in Wien die Frauen¬
von den Zugereisten gestellt wird. In diesem Sinne von
berufe vervielfacht. Tausende von Wienerinnen stehen
dem „süssen Mädel“ als von einer Wiener Besonderheit
im Berufe, was den Hauptberuf, zu gefallen, nicht aus¬
nach allem, was man sieht und
zu sprechen, wäre also durchaus unzulässig und würde
schliesst. Nun denn —
auf eine schiefe, ja ungerechte Auffassung schliessen
hört, ist die Wienerin bei der Arbeit tüchtig und an¬
lassen. Ich habe durchaus
stellig. Das ist wie anders¬
nicht die Absicht, in die
wo auch. Auf vielen ihrer
Arena hinabzusteigen und
neuen Gebiete bewährt
mit eingelegter Lanze ein
sich die Frau sogar besser
scharfes Turnier zu be¬
als der Mann. Sie arbeitet
stehen für die Wiener
flink, verständig, gewissen¬
Moral. Ich denke mir tief¬
haft. Dass die Wienerin
sinnig: Moral ist Moral und
auch bei der Arbeit ihren
Menschen sind Menschen.
Humor behält und lustig
Denke mir weiters, und
bleibt, schadet weder ihr,
nicht leichthin, sondern auf
noch der Arbeit. Sie bleibt
Grund der Beobachtun¬
in ihrer Branche. Wie sie
gen eines Menschenalters,
im Hause und in der Ge¬

dass Moral und Menschen
sellschaft bezaubert, was
0
in der ganzen Kulturwelt
ihr nahe kommt, so auch
so ziemlich auf gleicher
bei der Arbeit im Berufe.


Stufe stehen und dass man
*
Und nun noch etwas
zu besonderer Ueberhe¬
das „süsse Mädel“.
bung nirgends besonderen
Auch so eine Sache! Das
Grund hat. Wien ist im
süsse Mädel ist förmlich
Punkte der Moralität nicht
eine Wiener Spezialität
schlechter und nicht besser
geworden, wenigstens in
als andere Gessstädte
der Vorstellung der Leute
Zeichnung von Nicol. Schattenstein.
auch, Einsprache darf aber
und vornehmlich der Leute „Die Wienerin.“
erhoben werden gegen
im Ausland. Ein Wiener
falsche Vorstellungen. Das „süsse Mädel“, das so oft zitiert
Dichter, Artur Schnitzler, ist schuld daran. Er hat
wird, besteht als Institution oder als Typus in Wahrheit
sie erfunden, hat den Typus aufgestellt und er weiss
nicht. Damit sei nicht für die Tugend gekämpft, sondern
so berückend und überzeugend zu erzählen, dass
eine Tatsache festgestellt. Ich würde mir — aus ver¬
man ihm gerne jedes Wort glaubt. Ich meine aber,
schiedenen Gründen — die Haare nicht ausraufen, auch
dass er es nicht so — Sie wissen schon, wie? — ge¬
wenn es zufällig anders stünde, aber es steht wirklich
meint hat, und zweitens, dass er falsch verstanden
nicht so, wie vielfach angenommen wird.
worden ist.
So, nun wäre ich eigentlich fertig mit der Wienerin.
Die Bezeichnung trifft zu auf das Wiener
Auch ihr Name ist Weib. Das sagt vieles und erspart
Mädel überhaupt, trete es nun als Tennisspielerin öder
mir vieles zu sagen. Ueber das Allgerneingültige, also
als Ladenmamsell oder als kleine grosse Dame in die
Selbstverständliche können wir schweigend hinweggehen.
Erscheinung, sei sie nun ein kecker Schnabel oder
Was ich auch noch zu sagen vermöchte, das Quellen¬
gehöre sie zur timiden, zur schüchternen Sorte. Süss
studium könnte es doch nicht ersetzen. Dieses möchte
sind sie alle, nur entsprechen sie dem Begriff nicht,
ich empfehlen und mich zugleich dagegen verwahren,
der mit der neuen registrierten Schutzmarke gemeiniglich
dass ich für die Wienerin Reklame machen wollte.
verbunden wird. Das was das Schnitzlersche Wort zum
Das hat sie nicht nötig.
Ausdruck bringt, ist eigentlich ein internationaler Be¬
S