box 41/4
11. Miscellaneons
Christiania¬
Sen, Kopennagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis.
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabgegfine Gewähr.)
-rze
Ausschnitt aus: Wiene Freie Worte
Wien
vom:
110K11912
Literatur und Kunst.
Redakteur: Karl F. Kocmata.
Herr Anton Habera sendet uns nach¬
stehende „Widmung“:
Dem, der für die Wahrheit ist,
Sei er auch ein Antichrift,
Sei er auch ganz glaubenslos,
Ein Monist und Freigeist „blos,“
Welcher um des Guten Willen
Uebt das Gute auch im Stillen,
Ohne dies und das zu glauben:
Sollst du nicht die Achtung rauben!
Freigeistvoll, moralisch leben,
Ist der freien Schule Streben:
Helfe jeder oft und viel
Ihr zu diesem schönen Ziel!
Brutaler, unkünstlerischer
Realismus.
Georg Hirschfeld, 1873 in Berlin ge¬
boren, war mir in seinen Werken bisher
fremd. Ich kaufe mir die Modernen erst zum
herabgesetzten Preis: man verliert da weni¬
ger, denn auf Gewinn rechne ich bei den
Modernen nicht. So kommt es, daß ich die
sympathischen Schriftsteller, so sich um Ger¬
hart Hauptmann und Arthur Schni߬
Ier scharen, lange Zeiten schon im Bilde
Bilder gibts von ihnen mehr als
kenne
Bücher — und komme ich billig zu einem
Buch von ihnen, dann muß ich allerdings
den alten Wahrsatz zur Gänze unterschreiben:
Wer billig kauft, kauft teuer.
Ich kaufte mir „Erlebnis“ von Georg
Hirschfeld. Ist bei Albert Langen in München
erschienen. Eine Sammlung Novellen. Und
nun bereue ich diese Ausgabe der wenigen
Heller, die ich da geopfert. Ich will gar nicht
darauf eingehen, die Mängel der Novellen
hervorzuheben. Einerseits werden ja Haupt¬
mann und Schnitzler wenig Freude an Hirsch¬
feld, dem „Mitstrebenden“ überhaupt haben,
anderseits begnüge ich mich damit, die Qua¬
lität des Herrn Hirschfeld in dem „Führer
durch die moderne Literatur“ von Hanns
Heinz Ewers gerecht gewürdigt zu sehen.
Dort wird ihm unter anderem dilettantischer
Uebereifer vorgehalten. Schließlich wäre mir
dies nicht maßgebend, aus verschiedenen Grün¬
den nicht. Aber ich mußte unter anderen auch
die Novelle „Jenseits“ lesen und folgende
Stelle läßt an Kraßheit und unkünstlerischem
Realismus nichts mehr zu wünschen übrig:
Der Garten lag dicht am See, breite Kastanien¬
zweige über den Tischen gaben leiswehenden Duft,
das Bier war aus München und das Essen
erträglich.
Moderne Dichtkunst! Leiswehender Duft,
Bier und Essen: Motive, mit denen Hirsch¬
feld arbeitet, der in Dachau bei München
wohnt.
Ich werde nun alle modernen Dilettanten
abgrasen und werde prüfen, was alles erträg¬
lich ist und aus München stammt. Mein
Buchhändler pflegt nun alle Modernen in
seinem Antiquariat.
——
#### Uraufführung in Darmstadt.
„Sommer“, Komödie in drei Akten von Thaddäus Rittukt,
Artbur Schnitzler kann es zwar bedeutend besser, aber.
sein Wiener#ann Thadäus Rittner kann es auch
ganz gut: Menschen durcheinander= und aneinander vor¬
beischieben und Teilchen ihrer Seelen vermischen, so daß an
Ende des Reigens zwar das alte Gesamtbild wieder hergestellt“
ist, aber die einzelnen Partien des Bildes anders angefärbt###
erscheinen. Man glaubt, es geschehen Zeichen und Wunder an ;
einigen der Menschen, aber zum Schlusse schiebt Gewöhnung.'
und Vernunft das Größe, das geschehen sollte, wieder in
die alte Ordnung zurück, und man sieht — auf der Bühne und
im Parkett — mit melancholischem Lächeln ein, daß“ sich
nur ein kleiner Konstruktionsfehler in die vielrädrige (Ma¬
schinerie der gesellschaftlichen und seelischen Beziehungen ein¬
geschlichen hatte. Man verläßt, ein wenig unbefriedigt und
ein wenig beglückt vom „Schlaf der Welt“, den Schauplah
In Rittners Komödie währt die Aufregung einen Som¬
mer, einen kurzen Sanatoriumssommer. Der spröde Medi¬
zinalrat, der das Sanatorium leitet, hat eine für ihn etwas
zu junge, angenehm hysterische Frau. Ihre Hysterie wird
aber in dem Augenblick unangenehm, wo ein Mann auf
der Bildfläche erscheint, in dem jene lyrisch überhauchte
Sehnsucht schwingt, nach der die hysterischen Frauen
gerne, wie nach der Erlösung von allen widrigen Realitäten,
greifen. Ein Achtundzwanzigjähriger, ein blonder, schüch¬
terner, liebeshungriger Gelehrter seufzt um die junge Frau.
Mehr zu tun als zu seufzen, dazu fehlt ihm der Mut. Aber
der Medizinalrat wittert in ihm den Feind und will ihn
kampfunfähig machen. Er erzählt daher einem Mädchen
für alles, der junge Mann habe nur noch diesen Som¬
mer zu leben, und erzählt es so, daß der angeblich dem
Tod Geweihte es hören muß. Die Wirkung ist überraschend:
aus dem Schüchternen wird ein Wagemutiger, aus dem lyri¬
schen Hauch seiner Seele ein dramatischer Antrieb. Der
junge Mann hat sich nämlich vor dem Ende des Sommers
gefürchtet, das ihn zwingen würde, als Schulmeister zu
frohnden. Nun sieht er statt des unfrohen Winters ein
seliges Nirvana vor sich und reißt den Sommer, diese letzte
isommerliche Möglichkeit seines Lebens, jauchzend an sich. Er
Fält die junge Frau Medizinalrat in seinen Armen, küßt
alle Frauenhände, die vor ihn kommen, kurz: er bekommt
im Angesicht des Todes Mut zum Leben. Die letzte
erst
Süßigkeit des Sommers will er auf einer Reise mit der
Geliebten auskosten.
Schon sind die Koffer gepackt, da beginnen auch dieses
Sommers Blätter und Blüten welk und müde zu werden.
Der Medizinalrat nämlich hat seine forshe Männlichkeit an
ine Patientin, die von ungefähr ein* Operetten fingendes
eichtes Persönchen ist, hingegeben, im seine Frau in
irren. Und das gelingt ihm. Oder vielmenr: die Oystern
11. Miscellaneons
Christiania¬
Sen, Kopennagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis.
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabgegfine Gewähr.)
-rze
Ausschnitt aus: Wiene Freie Worte
Wien
vom:
110K11912
Literatur und Kunst.
Redakteur: Karl F. Kocmata.
Herr Anton Habera sendet uns nach¬
stehende „Widmung“:
Dem, der für die Wahrheit ist,
Sei er auch ein Antichrift,
Sei er auch ganz glaubenslos,
Ein Monist und Freigeist „blos,“
Welcher um des Guten Willen
Uebt das Gute auch im Stillen,
Ohne dies und das zu glauben:
Sollst du nicht die Achtung rauben!
Freigeistvoll, moralisch leben,
Ist der freien Schule Streben:
Helfe jeder oft und viel
Ihr zu diesem schönen Ziel!
Brutaler, unkünstlerischer
Realismus.
Georg Hirschfeld, 1873 in Berlin ge¬
boren, war mir in seinen Werken bisher
fremd. Ich kaufe mir die Modernen erst zum
herabgesetzten Preis: man verliert da weni¬
ger, denn auf Gewinn rechne ich bei den
Modernen nicht. So kommt es, daß ich die
sympathischen Schriftsteller, so sich um Ger¬
hart Hauptmann und Arthur Schni߬
Ier scharen, lange Zeiten schon im Bilde
Bilder gibts von ihnen mehr als
kenne
Bücher — und komme ich billig zu einem
Buch von ihnen, dann muß ich allerdings
den alten Wahrsatz zur Gänze unterschreiben:
Wer billig kauft, kauft teuer.
Ich kaufte mir „Erlebnis“ von Georg
Hirschfeld. Ist bei Albert Langen in München
erschienen. Eine Sammlung Novellen. Und
nun bereue ich diese Ausgabe der wenigen
Heller, die ich da geopfert. Ich will gar nicht
darauf eingehen, die Mängel der Novellen
hervorzuheben. Einerseits werden ja Haupt¬
mann und Schnitzler wenig Freude an Hirsch¬
feld, dem „Mitstrebenden“ überhaupt haben,
anderseits begnüge ich mich damit, die Qua¬
lität des Herrn Hirschfeld in dem „Führer
durch die moderne Literatur“ von Hanns
Heinz Ewers gerecht gewürdigt zu sehen.
Dort wird ihm unter anderem dilettantischer
Uebereifer vorgehalten. Schließlich wäre mir
dies nicht maßgebend, aus verschiedenen Grün¬
den nicht. Aber ich mußte unter anderen auch
die Novelle „Jenseits“ lesen und folgende
Stelle läßt an Kraßheit und unkünstlerischem
Realismus nichts mehr zu wünschen übrig:
Der Garten lag dicht am See, breite Kastanien¬
zweige über den Tischen gaben leiswehenden Duft,
das Bier war aus München und das Essen
erträglich.
Moderne Dichtkunst! Leiswehender Duft,
Bier und Essen: Motive, mit denen Hirsch¬
feld arbeitet, der in Dachau bei München
wohnt.
Ich werde nun alle modernen Dilettanten
abgrasen und werde prüfen, was alles erträg¬
lich ist und aus München stammt. Mein
Buchhändler pflegt nun alle Modernen in
seinem Antiquariat.
——
#### Uraufführung in Darmstadt.
„Sommer“, Komödie in drei Akten von Thaddäus Rittukt,
Artbur Schnitzler kann es zwar bedeutend besser, aber.
sein Wiener#ann Thadäus Rittner kann es auch
ganz gut: Menschen durcheinander= und aneinander vor¬
beischieben und Teilchen ihrer Seelen vermischen, so daß an
Ende des Reigens zwar das alte Gesamtbild wieder hergestellt“
ist, aber die einzelnen Partien des Bildes anders angefärbt###
erscheinen. Man glaubt, es geschehen Zeichen und Wunder an ;
einigen der Menschen, aber zum Schlusse schiebt Gewöhnung.'
und Vernunft das Größe, das geschehen sollte, wieder in
die alte Ordnung zurück, und man sieht — auf der Bühne und
im Parkett — mit melancholischem Lächeln ein, daß“ sich
nur ein kleiner Konstruktionsfehler in die vielrädrige (Ma¬
schinerie der gesellschaftlichen und seelischen Beziehungen ein¬
geschlichen hatte. Man verläßt, ein wenig unbefriedigt und
ein wenig beglückt vom „Schlaf der Welt“, den Schauplah
In Rittners Komödie währt die Aufregung einen Som¬
mer, einen kurzen Sanatoriumssommer. Der spröde Medi¬
zinalrat, der das Sanatorium leitet, hat eine für ihn etwas
zu junge, angenehm hysterische Frau. Ihre Hysterie wird
aber in dem Augenblick unangenehm, wo ein Mann auf
der Bildfläche erscheint, in dem jene lyrisch überhauchte
Sehnsucht schwingt, nach der die hysterischen Frauen
gerne, wie nach der Erlösung von allen widrigen Realitäten,
greifen. Ein Achtundzwanzigjähriger, ein blonder, schüch¬
terner, liebeshungriger Gelehrter seufzt um die junge Frau.
Mehr zu tun als zu seufzen, dazu fehlt ihm der Mut. Aber
der Medizinalrat wittert in ihm den Feind und will ihn
kampfunfähig machen. Er erzählt daher einem Mädchen
für alles, der junge Mann habe nur noch diesen Som¬
mer zu leben, und erzählt es so, daß der angeblich dem
Tod Geweihte es hören muß. Die Wirkung ist überraschend:
aus dem Schüchternen wird ein Wagemutiger, aus dem lyri¬
schen Hauch seiner Seele ein dramatischer Antrieb. Der
junge Mann hat sich nämlich vor dem Ende des Sommers
gefürchtet, das ihn zwingen würde, als Schulmeister zu
frohnden. Nun sieht er statt des unfrohen Winters ein
seliges Nirvana vor sich und reißt den Sommer, diese letzte
isommerliche Möglichkeit seines Lebens, jauchzend an sich. Er
Fält die junge Frau Medizinalrat in seinen Armen, küßt
alle Frauenhände, die vor ihn kommen, kurz: er bekommt
im Angesicht des Todes Mut zum Leben. Die letzte
erst
Süßigkeit des Sommers will er auf einer Reise mit der
Geliebten auskosten.
Schon sind die Koffer gepackt, da beginnen auch dieses
Sommers Blätter und Blüten welk und müde zu werden.
Der Medizinalrat nämlich hat seine forshe Männlichkeit an
ine Patientin, die von ungefähr ein* Operetten fingendes
eichtes Persönchen ist, hingegeben, im seine Frau in
irren. Und das gelingt ihm. Oder vielmenr: die Oystern