VII, Verschiedenes 11, 1912–1913, Seite 17

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1. Miscellaneous
Shleugo, Cleveland, Christiania,
Schlagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
vom: 12 10.11##fürTer AelGE
W
Wiener
Première.
„Sommer“, Kömödic von Thaddäus Rittner. —
Uraufführung Zim Burgtheater.
n--40gWien, 11. Oktober.
In einem Nervensanatorium spielt die Komödie „Som¬
mer“ von Thaddäus Ritiner. Das zog dem Antor den
Vorwurf zu, daß er sich die Motivierung der Vorgänge leicht
gemacht habe, denn bei Nervenkranken seien selbst unmotivierte
Handlungen noch immer mit der Unzurechnungsfähigkeit der
Patienten zu erklären. Man muß zugestehen, daß Rittner
von dieser Erleichterung wenig Gebrauch gemacht hat. Seine
Personen reagieren nur ein bißchen stärker und hemmungs¬
loser auf die äußeren Reize, im übrigen aber offenbart die
Hysterie dieser Menschen nur das, was sie wirklich sind,
was in ihrem Innern vorgeht und was andere Leute schick¬
lich verschweigen. Das ist eigentlich ein allgemeines Dichter¬
recht. Vielleicht muß man noch genauer sagen: das Stück
spielt in einem Sanatorium an einem Karntner See,
also vor den Toren von Wien. Damit kommt man der
Definierung der Figuren näher. Wien ist nicht eine beliebige
Großstadt, Wien ist nicht identisch mit Berlin oder den inter¬
nationalen Quartieren von London und Paris. In diesem
Schmelztiegel aller interessanten Völkerschaften der öster¬
reichisch=ungarischen Monarchie war immer das Leben ein
wenig leichter und das Punctum saliens ein wenig wichtiger
als in anderen lebhafteren und arbeitsameren Städten. Der
Franzose behandelt Liebesangelegenbeiten entweder tragisch¬
pathetisch oder lustig=frech. Nur in Oesterreich oder vielmehr
in Wien hat man eine melancholische Zartheit für sie, eine ver¬
ständnisvoll lächelnde Ironie, und nur aus dieser Stimmung
heraus konnte ein so lächelnd=ironisches Spiel wie das von
Rittner geschrieben werden. Hier gibt es auch zart besaitete
Seelen, die sich vor dem Leben fürchten, weil es nicht ästhe¬
tisch genug ist und weil sie die Pflicht, in das Getriebe sich
einzugliedern, nicht ertragen. Sie spielen dann mit dem Ge¬
danken des Todes, der sie von der Qual des prosaischen Da¬
seins erlösen soll. Todesverheißung ist für sie Rettung vom
Leben und die Möglichkeit der Erfüllung aller ihrer kleinen
Wünsche, die der Starke entweder nicht hat oder deren
Erfüllung er sich erzwingt. Namentlich alle Fesseln
der Erotik oder deutlicher gesagt der sexualen Triebe
fallen angesichts des Todes von ihnen ab, und die
sonst von der Konvention Bedrängten wagen, sich in
ganz bestimmtem Sinne auszuleben. Bei Arthur Schnitzler,
derden Akkord von Tod und Liebe zuerst für die Literatur ent¬
deckt hat, klingt er tief=tragisch, in Moll. Rittner, der nicht
nuß in der Technik bei Schnitzler in die Schule gegangen ist,
wendet das Thema ins Komische. Sein Held kann sich nichts
er#bern, ihm muß alles geschenkt werden. Kaum hinter dem
Rockzipfel seiner Mutter hervorgekommen, fürchtet er sich vor I#
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dem Leben, als vor der harten Schule. Wie aber der Arzt
ehm suggeriert, daß er nur noch einen Sommer zu leben habe,
wächst auf einmal der Lebensmut in ihm und er reißt an sich,
was er zuvor kaum zu berühren gewagt hatte. Da ist esnun
ein feiner Zug des Dichters, daß diese erlösende Todesweihe
ihm nicht aus Güte gespendet wird, sondern aus Bosheit von
einem Manne, der damit einen gefährlichen Nebenbuhler un¬
schädlich machen wollte. Nur ist es schade, daß weder dieser
schwachnervige Jüngling, noch die von ihm angebetete Galtin
des Medizinalrates unser Interesse gewinnen können. Bern¬
hard Shaw hat in seiner „Candida“ eine Frau zwischen zwei
solche. Männer gestellt, zwischen ##en lebensvollen Tribunen
und einen feingliedrigen aristokratischen Dichter, und er hat
es dazu gebracht, uns für alle Drei zittern zu lassen. Mit
solch schwerem Gewicht kann Rittner seine Komödic nicht be¬
lasten. Er will für keine seiner Figuren Sympathien werben,
er zeigt sie allesamt komisch, aber doch wird man bei einer
so milden Ironie schließlich ungeduldig werden. Wir haben
wohl Wichtigeres zu tun, als uns mit den kleinen Sehnsüch¬
teleien und Erfüllungen dieser trivialen Gesellschaft zu be¬
fassen und drei Stunden lang die Frage zu erwägen, mit wem
schließlich diese oder jene gleichgültige Person ihr Nachtlager
teilt. Da ist uns der freche gallische Witz lieber. Aber wir
bewundern doch die Kunst des Dialogs und die saubere, auch
in den Farben richtige Zeichnung des Wiener Autors und ver,
zeihen ihm, daß er ein schwaches Aquarellbild statt eines prächt
tigen Oelgemäldes gegeben, daß es ihm überhaupt an dramt¬
tischer Kraft gebricht. Die Wiener Luft scheint ja mit anderen
männlichen Eigenschaften auch die dramatische Kraft in weishe
Szenen aufzulösen.
Das Burgtheater hat dieses Stück glänzend aushe¬
stattet und ausgezeichnet besetzt. Frl. Marberg gab vor¬
trefflich die hysterische Frau des Medizinalrats, die erst dirch
ihr Erlebnis mit dem schüchternen Jungling erotisch genteckt
wird; diesen Jüngling gab Herr Treßler fein nüanciert,
Herr Korff mit breiter Plastik den Kommis,Damen=Er¬
oberer und Ruderchampion; Frau Kallina gab eine lielts¬
tolle Italienerin, Frau Orlow das bleichsüchtige Mädchen
mit dem unentschiedenen Gefühl, Frl. Wilke die heißblünge
Operettensängerin, Herr Heine den Medizinalrat der unter
all den Hysterischen selbst halb hysterisch geworden ist, diskpet
und vornehm.
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