VII, Verschiedenes 11, 1912–1913, Seite 29

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#anlagtes Geschlecht, bis die Stunde seiner Berufung naht. Das
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11. Ascellaneons
sind die gefährlichsten und schärfsten Kritiker. Vor ihren Augen
gedeiht keine Protektion, sie verurteilen und vernichten, sie ent¬
scheiden allein, ein wehrhaftes Häuflein gegen das Votum des
übrigen Hauses.
Die Premiere sieht noch immer den vormärzlichen Hofrat,
der seinen Stolz darein setzt, alle Erstaufführungen in seinem Tage¬
buch zu verzeichnen, die liebenswürdige, kunstfreudige Gräfin,
die seit Jahrzehnten die Aufführungen als Gesandte ihres Kreises
besucht, um darüber zu urteilen, ob die Stücke auch wirklich passend
sind, und den berühmten Alt=Wiener Schneider, der seinen Freunden:
noch immer den Rockschnitt Hartmanns predigt.
Der Mittelgang des Parketts gehört der Kritik. Um
Wittmann, den ersten deutschen Feuilletonisten, sammelt sich der
be P Dert.
Kreis. In den Pausen betrachtet die Galerie der Kommenden
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diese Männer mit Aufmerksamkeit. Der schärfste von ihnen ist
tot, der geistreiche, spitzige Hofrat. Die Schauspieler und Dichter
Wiener Gesellschaftsbilder.
denken noch heute mit Schaudern an sein kalt mitleidloses Antlitz,
das immer unheilkündend schaute.

Burgtheater.

Die Literatur taucht spärlich auf, Hermann Bahr, immer
Den größten Reiz hat es für die Fremden. Die bewundern
Bewegung, immer Unruhe und immer darauf bedacht, zu inter¬
am Vormittag die Pracht des Hauses und eine gut geschulte
essieren. Artur Schnitzler, blond und gesprächig und temperament¬
Kraft gibt die Erläuterungen: So und so viele tausend Kerzen,
voll, Karl Schönherr, blond und zaghaft und verschlossen. Das
so und so viele Pferdekräfte und so und so viele Millionen
Gulden! Von der breiten Treppe führt man sie zum Rundgang, sind die Blondheiten zweier Welten. Neben Literatur und Bani¬
da sehen sie die köstlichen Bilder der Unsterblichen und mit einem welt tauchen Offiziere der Garde und Sektionschefs auf. Die
Schlage tut sich ihnen das Wunder an Schönheit und künstlerischer Repräsentationspflicht zwingt sie auf die teuren Parkettsitze.
Die Galerie hat einen sonderlich interessanten Stammgast.
Vergangenheit auf, das unter dem Namen Burgtheater erhalten
Hart neben der historischen Vierer=Bank im alten Haus war schon
ist. Und nun sind sie würdig, um am Abend die Eindrücke aufzu¬
nehmen, die diese Männer, diese Werke, diese Menschen hinterlassen. vor Jahren sein Platz. Er hatte sich vollgesogen an den Schön¬
Das sind aber auch die einzigen, die den Freudenbecher ohne heiten der antiken Komödie, wieder und wieder suchte er das
Bitterkeit schlürsen. Die Wiener, die Kritiker und die Habitués Land der Griechen mit der Seele. Er war der verzücktesten und
das sind die Feinde des Hauses, sie können es dem neuen Theater begeistertsten einer, seine Freunde wußten, daß es in ihm schwoll
nicht verzeihen, daß es einmal ein altes Burgtheater gab. Die und reifte.
Dann hatte er sein Lebensziel erreicht, das Werk war
Jugend freilich läßt sich derlei Dinge nicht weismachen. Die ist
mit der Galeric des neuen Burgtheaters aufgewachsen und schert fertig. Er war noch immer Galeriebesucher und Enthusiast, und
sich den Teufel darum, daß die Väter in den engen, schlecht rings um ihn raunten sie sich die Kunde zu: Der kommt nun
ventilierten Räumen des alten, unbequemen Hauses so viel Zu= bald an die Reihe, sein Stück wird aufgeführt! — Der glänzende Tag
friedenheit und Behaglichkeit erwarben. Sie begreifen den Rappel der Premiere löste ihn los aus dem alten Kreise, er stieg hinab
nicht, der die Leute erfaßte, als es an den Umzug ging, und un= ins Parkett, und die Galerie sah mit neidischen Blicken nach ihm.
begreiflich ist es ihnen, daß neben einer modernen Schauspielkunst Aber das dauerte nicht lange. Der Erfolg hielt nicht stand. Nur ein
auch eine alte, wohlakkretierte bestehen durfte. Das ist der paar Jahre verflossen, und nun hat er wieder seinen alten Platz oben
Kampf der Geschlechter, in dem immer die Jugend Recht behält. in der Nähe des blitzenden Lusters. Ihn umwogt ein neues
Die Melancholiker auf der Galerie und in den Logen, die Geschlecht von Hoffenden, er hört ihr kindisches Lallen, er schaut
immer noch den Ton der Wolter im Ohre haben und das in ihre Blütenträume und hat für ihre tönenden Worte ein
Profil Roberts im Auge, bleiben in der Minorität, schüchtern schweigendes Lächeln. Er weiß es besser, wie es mit den
noch zeigen sich die Schwärmer, die der Abschiedsvorstellung im Triumphen ist. Auch die Stammgesellschaft aus dem alten Hause
alten Haus gedenken und des Epilogs, da Sonnenthal die Zeit soll erwähnt werden. Früher einmal, als Studenten, standen sie
pries, in der die Burgtheaterkunst in einem Haus mit Oesterreichs zusammen, jetzt sind sie Advokaten und Richter und sitzen
beieinander.
Kaiserkrone durfte wohnen.
In den Pausen tratscht die Galerie und sieht von den
Der Rest geht mit der neuen Aera durch Dick und Dünn und
hohen künstlerischen Bestrebungen ab. Wie sie einstmals um Robert
wendet sich erbittert gegen die Menschenfeinde, die im „Husaren¬
und Krastel Legenden spann, so erzählt sie jetzt von Erz¬
fieber“ eine Schädigung des Burgtheaterorganismus erblicken
herzoginnen, die Stücke verbieten, von Obersthofmeistern, die
wollen.
Der Kaiser ist bis in die letzte Zeit ein treuer Besucher Schauspieler protegieren, von Kainzens Gage und von Frau
des Burgtheaters geblieben, er liebt die heiteren Stücke, lacht Hohenfels, die seit ihrer Verehelichung mit Baron Berger
gern und bleibt auch in den Pausen in seiner Loge. Vom kaiser= bei jedem Auftreten einen Rosenstrauß erhält.
Sie drängen sich in den Queues vor Beginn der Vor¬
lichen Hause sind es sonderlich der Thronfolger Franz Ferdinand,
stellung. Der Dienstmann, der dann sein karte dem Besteller
Erzherzog Karl Franz Josef und die Töchter des Erzherzogs
übergibt, der galante Student, der für eine Konservatoristin in
Friedrich, die das Burgtheater häufig besuchen. Von fremden
die Schranken tritt, sie sind alle aufs neue erstanden. Und der
Souveränen läßt Fürst Ferdinand von Bulgarien keinen Wiener
„Wasser=Franz“ erzählt ihnen oben, wenn er gut gelaunt ist,
Besuchstag verstreichen, ohne einer Burgtheatervorstellung beizu¬
aus dem Schatz seiner reichen Erfahrungen. Markante Figuren
wohnen.
finden sich unter ihnen, Leute, die einst in Logen saßen und so
Schlenther ist allabendlich in seinem Hause. Er taucht da
tief sanken, daß sie nun höher steigen mußten, und alte, ver¬
und dort auf, kommt auf einen Akt und verschwindet wieder,
witterte Komödianten, die ohne das Theater nicht leben können.
wenn das grelle Licht eine Pause kündet.
Aus den Logen sind die kleinen Komtessen, die einst dem Tönt die Klingel, dann schweigen die Flüsterstimmen, etwas von
Theater den Namen gaben, längst verbannt, es scheint, daß sie der Heiligkeit der alten Burgtheaterstimmung zieht durch den
ins Volkstheater oder zu Jarno übersiedelt sind oder daß sie Raum.
Und nach der Vorstellung harren sie genau so wie ihre Väter
an der Operette Geschmack gefunden haben, im Burgtheater sind
sie heute nicht öfter zu sehen, als man notgedrungen vor dem an den Bühnenausgängen, wissen um die Schleichwege, deren sich die
Eintritt in die aristokratische Assemblee an Schiller, Shakespeare Künstler bedienen, und versuchen es, Sonnenthal und Baumeiste#“
und Goethe zu sich genommen haben muß. — Die Politik hat die Pferde auszuspannen.
Der Enthusiasmus ist der gleiche, die großen Namen, sind
erst seii kurzem wieder ihr Herz für die Kunst in unserem obersten
erhalten geblieben, es wird ihnen immer unklarer, warum man noch
Schauspielhaus entdeckt. Der Ministerpräsident läßt keine halbwegs
immer von einem glücklichen „alten Burgtheater“ faselt.“
wichtige Vorsiellung im Burgtheater vorübergehen. Es ist übrigens
A. D.-G.
wahrscheinlich, daß er diese Neigung auch schon früher hatte, nur
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stand er als Privatier nicht so sehr unter Kontrolle.
Unter den Titel „Gesellschaftliche Ereignisse“ fällt auch die
Burg=Premiere. Sie ist nun freilich längst keine Sensation mehr,
sondern ein ganz normales Geschehnis. Irgend ein Turf¬
evenement oder das Nikolofest einer wohltätigen Vereinigung ab¬