VII, Verschiedenes 11, 1912–1913, Seite 33

ellderlichen und ergohliahemn Gigendaut ab und zu nicht an
imprägnierten Stellen.

Um so bemerkenswerter bleibt es, wenn in Wien selbst,
auf dem ureigenen, kampferoberten Schlachtfelde des
zornvollsten Propagators der „Neuen Freien Presse“, im un¬
mittelbaren Bereiche der shakespearisch dialektischen Witze, der
biblischenVerwünschungen und Flüche des Herausgebers
der Fackel?, ein Schaffender, völlig krausfrei und nicht
verschluckt von diesem Erderschütterer, zu existieren und sich
dem ungestörten Genusse eines unwandelbaren Stiles hinzu¬
geben vermag. Einer dieser seltenen Unabhängigen, der ein¬
zige zudem unter den literarisch wertbaren Wiener Autoren,
der in keiner Weise auf die Ergebnisse der pansexuellen
Freudschen Psychoanalyse reagierte, ist der von unsauberen
wicklung zur Neurose steht
fremden und ihm statt dessen literarische Wechselbälge, tugend¬
Eileräkurpolikikern und Ruhmverteilern mit gleicher Vergeb¬
heit und Minderwertigkeit
hafte oder gar sublime Produkte einer für der. Volksgeschmack
lichkeit zurückgesetzte Otto Stoessl.
indiskutabeln Hochkunst zu unterschieben. Aber die Leser tende, sichernde, beruhigend
Es gibt Erzähler, ganz und gar Epiker im Stil, in der
Pträglich zu machen. Was n
wollen das ihnen zugemessene kleine Quantum Leben in ein
Haltung und in der Technik, die alles Gedankliche in eine so
besteht aus dem vermehrten
Maximum möglichst intensiver, möglichst kontinuierlicher
erhabene Form bringen, daß Artisten, in die klassisch=reine
Unter diesen ragen besonde
Lustempfindungen verwandeln — sie reagierten einfach nicht
Sprachbehandlung verliebt, leicht über manches tiefe und tief¬
auf diese kümmerlichen Nährsalze. Die Entziehungskuren
Fiktionen im Denken,
sinnige Kernwort hinweglesen könnten. Dieser vergnüglichen
scheiterten an ihrer Primitivität, der Schundliteratur
gegen sich und andere, Neit
Gefahr setzt uns wie kaum ein zweiter unter den zeitgenössi¬
grausame Neigungen nehm
schen deutschen Erzählern Otto Stoessl aus: seine Prosa ist kann nur bewußte Mimikry etwas anhaben; indem
er sich in die Waffen der Sherlock Holmes, Nick
über die Umgebung zu sch
die anheimelndste, die in Oesterreich — seit Stifter
ge¬
vermehrten Gehorsam, Un
Carter, Raffles und Nat Pinkerton hüllte, unter dem
schrieben wurde. In Vertretung Seiner olympischen Majestät,
selten in masochistische Züge
Vorwande, einen Zukunftsdetektivroman zu schreiben,
in Vertretung Goethes, scheint der liebe, wackere Hausgeist
zu erobern . .. beides alsc
seinem letzten Opus „Die
gelang Otto Soyka
Gottfried Keller an der Wiege des Dichters und Essayisten
Söhne der Macht“ ein an inneren Erfolgen reicher
Passivität, sind Kunstgriffe
Otto Stoessl gestanden zu haben. Als tröstliche Beschwichti¬
erhöhung, des Obenseinwo
Handstreich gegen die Söhne der Mache und illegitimen Stief¬
gung nach all den Unruhen, dem lärmenden Krakeel des Tages
Hiernach kann es uns
kinder der Kunst. Er spendete dem großen Publikum nach
mag man sich zur Tagesrast in das erfreuliche Abendgeläute
Herzenslust, was es begehrte: unaufgeklärte Morde, Milliar¬
ziehungen zwischen Organn
seiner Dichtungen wie in einen friedlichen Abgesang flüchten.
däre, die schon jenseits des Geldes stehen, und eine bis zum
Ueberkompensation entdeckte
Sternstrahlen eines ergötzlich gemäßigten, keineswegs ver¬
letzten Punkt unwiderstehlich mitschleifende Handlung. Die
deutungsvollen Schlüssen
zückten-Abendhimmels, durchleuchtende Architektonik, nie un¬
Ereignisse des Romans gehen nur scheinbar in jener ameri¬
gefühlen Vorgeimpfte zeigt
mäßig unterwuchert von einem ausweglosen Gefühlslabyrinth,
kanischen Oberschicht vor, die sich den exklusiven Luxus leisten
ringerung seines Persönlich
jedem Sentiment beigegeben die Korrektur eines behaglich
kann, sich ihre eigenen Gesetze zu halten, zu bezahlen. In
dern im Schwanken, im 3
ironischen Stils — dies mögen einige seiner Hauptgaben und
Wirklichkeit aber war es ihm ausschließlich um eine Auf¬
im Ausbruch einer Neurose
Male sein. Wenn sich auch etliche der Begebenheiten seiner
hellung und streng logische Bloßlegung jener Daseinsprinzipe
Sicherung gegen die größt
Romane wie unter dem milden Licht der Milchstraße ereignen,
zu tun, die zu Mord, Menschenjagd und Kampf um ein
gegen die Heraufbeschwörun
nichts Verzärteltes, schlechthin „Duftiges“ eignet diesen Meister¬
Seelenherrschertum verlocken. Mit den wiederholten Plump¬
keit.“ Aus solchen Prämiff
erzählungen. Ein Städter, der, wie er wiederholt bewies,
heiten der Dumas und May hat er nichts gemein, eher mit
wie: „Sadismus ist ein
durchaus in der Lage ist, ohne in Uebertreibungen, Dünger¬
der Methode Jules Vernes, dem verblüfften Leser technische
spielen, um ein Minderw
haufen und sonstigen hemdärmelig=rustikalen Unfug zu ver¬
Errungenschaften der Zukunft ad oculos zu demonstrieren —
„Selbstmord ist häufig einel
fallen, ohne lästig robuste Primitivitäten in der zahllosen
nicht ohne ihm bei dieser so schön herbeigeführten Gelegen¬
die Angehörigen eingeschlost
Lesern angenehmen Lage ist, eine wirkliche Dorfgeschichte nicht
heit etliche Fundamente naturwissenschaftlicher Erkenntnis
Für Alfred Adler ist .d
rechteckig, sondern rund und aufs herrlichste vorzutragen!
aufzuhalsen. Nur daß Soyka die unabwendbar herein¬
wechselbare Schablone, die
Seine kraftvolle und doch hellseherische Psychologie vermag
brechenden Zukunftsmaschinen nebenher und gleichsam als
und Nachahmung unter d
den irdischen Dingen im Höchsten, Tiefsten beizukommen, und
Spielzeug vorführt, während ihm hauptsächlich eine Chemie
so spendete uns Otto Stoessl endlich einen wahrhaften Jugend¬
zustande kommt“ — eine #
und Mechanik der Seele am Herzen liegt: er ist ein Psychosoph
tendenz bedient, ebenso w
und Erziehungsroman, frisch, unsentimental und keinerdings
auf Romanwegen. Die Helden seiner „Söhne der Macht" sind
verklausuliert durch metaphysische Abstürze. „Morgen¬
Krankheitsbereitschaft. Ei
wie die Vordergrundfiguren seiner früheren Pseudokriminal¬
rot“ heißt das Buch, und es ist auch morgenrot. Der kleine
sierung der Psyche, gewiß
romane „Herr im Spiel“, „Der Fremdling",
Dankes der erkannten Men
Held, dem wir auf seinen munteren und selten von päda¬
„Das Herbarium der Ehre“ meist Seeleneinbrecher,
gogischen Exzessen bestaubten Kriegspfaden Gefolgschaft leisten
griff der überkompensierte
Gehirnaufschlitzer, Eroberer des Lebens, die aber in dem Augen¬
dürsen, ist der junge Dieter, dem wir bereits in den ganz ver¬
leitenden Idee nicht paßt,
blick fast gänzlich zusammenklappen, wo ihr zerebraler Kalt¬
teufelten Schelmenheschichten Sonjas letzter Name“,
hüllteren Ausdrucks „Leite
sinn von unzeitgemäßen Gefühlswucherungen, sozusagen von
„Negerkönigs Tochter“ und „Egon und Da¬
allzuviel Wert auf diese Fo#
sentimentalen, fremdartigen Pilzbildungen, überwachsen wird.
nitza“ zu begegnen das Vergnügen hatten. Wir sehen ein
Zeit kam, wo die Theorien
Dieses Umkippen blendendstolzer Edelanarchisten in Gefangene
Kind aufwachsen an der Hand bescheidener und also zu¬
zu jenem in Wien und in 4
subalterner Konventionen vollzieht sich aber in einer ver¬
friedener Eltern, die viel zu schlicht und gesund sind, als daß
hörten, das viel wertvolle
blüffenden Gangart. Am drastischsten in Otto Soykas drei¬
es ihnen beifiele, dem lustigen Knaben durch ewige Erziehungs¬
träumerische Operettenzentr
aktigen Komödien „Geldzauber" und „Revanche“,
versuche den Lebensaufgang zu verbittern. Nicht aufgerieben
die von neuartigen Effekten strotzen.
durch ein quälendes „Daheim", nimmt er auch die Schule
Fragt man nach dem Woher dieses gewaltigen Wissens
und die Erwachsenen leicht, ohne gerechten Anforderungen
auf dem Gebiete der Psychotomie, ergibt sich bei Soyka wie
allzuviel abzuzwacken, treibt er in einer unverkümmerten
bei jedem Genie die Tatsache einer mitgeborenen Intuition,
Jugend glorreich und nicht ganz ziellos dahin als ein früh
die eine willentliche Bereicherung durch eine ebenso konstitu¬
männlich=energischer Piratenchef und Indianerhäuptling des
tionelle Erkenntnis der Umwelt und ihres geistigen Bestandes!
Lebens. „Die Kindheit ist das heroische Zeitalter des Men¬
nicht ausschließt. Im besondern scheinen ihm die Forschun¬
schen“ fand Stoessl — möge man dieses himmlische Zauber¬
gen der Wiener Psychoaualytiker, namentlich die Arbeiten
land allen Kindern gönnen: der Rest ist Erkenntnis, besten¬
Alfred Adlers, des Synthetischsten unter diesen Seelen¬
falls versüßt durch einen so unergründlich lieben Traum wie
zergliederern, sehr bekannt zu sein.
es Otto Stoessls bei aller Lehrhaftigkeit heiliges Buch „Mor¬
Adlers neues, großes Werk „Ueber den nervösen
genrot“ ist.
Charakter — Grundzüge einer vergleichenden
Scheint dieses harmonisch vollendete (und gleich allen
und Psychothera¬
Individualpsychologie
Büchern dieses Dichters bei Georg Müller erschienene) Werk
pie“ bedeutet jedenfalls einen intensiven Fortschritt, eine
in seinen ländlich=sittlichen Partien an Stoessls alten Roman
unerhoffte Bereicherung unserer Ansichten über die Kon¬
In den Mauern“, in der gestaltenden Darstellung kind¬
struktion der kranken Seele, führt uns weit hinaus
lichen Erlebens an seinen Novellenband „Allerleihrauh“
über die erstarrten Theorien S. Freuds und seiner
zu erinnern, macht ihm die sonst nur noch bei Paul Ernst
dogmengläubigen Nachbeterschaft. Nach Alfred Adlers (bei
in ähnlicher Sprödheit anzutreffende Sprachbehandlung im
Bergmann in Wiesbaden erschienenem) Buch ist das ganze Bild!
weichen Wien so viel zu schaffen, wie etwa den Heinrich
der Neurose ebenso wie alle ihre Symptome von einem fin¬
Mann die unerhörte Bildlichkeit des Ausdrucks bei Ge¬
gierten Endzweck aus beeinflußt, ja entworfen. Ueber die
wohnheitslesern unbeliebt sein läßt. Oder den jungen
Breuersche Determination psychischer Erscheintungen hinaus,
Wiener Otto Soyka das kolossale Quantum von Ge¬
die Freudsche Auffassung der Libido als Triebkraß demplierend,
hirnsubstanz, das er bei den Konsumenten seiner (bei Albert
kommt er zur neurotischen Zwecksetzung, der Erhöhung des
Langen zum zweiten Male aufgelegten) Abenteurerromane
Persönlichkeitsgefühls, wie sie sich im übertriebenen „männ¬
vorauszusetzen scheint.
lichen Protest“ äußert. Die leitende Fiktion jeder Neurose ist
Nicht als ob Soyka nur dem psychischen Rentier zugäng¬
das „Ich will ein ganzer Mann sein". Mithin ist Freuds
lich wäre, im Gegenteit — seine spannkräftigen Bücher könn¬
seruelle Aetiologie der Neurose falsch, noch falscher seine aber¬
ten, ja sie müßten von Rechts wegen über den engen Kreis
gläubische Annahme, die Neurotiker stünden immer unter dem
der Besprechungsliteraten und Leihbibliotheksabonnenten
Zwange infantiler Wünsche, die allnächtlich im Traume auf¬
hinaus auf die Massen wirken. Hier liegt endlich die Er¬
leben — bei besonders feierlichen Anlässen auch im Leben.
füllung jener tausend= und einfältigen Versuche vor, die von
In Wahrheit stehen die infantilen Wünsche unter dem Zwange
geschätigen Ethikern und unzureichenden Parodisten in der
des fiktiven Endziels, aus dem Gefühle besonderer Unsicher¬
grausamen Absicht unternommen wurden, dem armen, lebens¬
enttäuschten Publikum den teuren Kolportageroman zu ent= heit ergeben sich Sicherungstendenzen. „Am Anfang der Ent¬