VII, Verschiedenes 11, 1913–1915, Seite 14

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1. Miscellaneous box 41/5
W Paris, 11. Mul.
er Geeinigten Sozialisten Jaures mit lebhafter Befriedigung hat der Reichstagsabgeordnete Stücklen in der Sitzug

„Ich hab' nur noch drei Wochen hier, dann geht's in die Stadt.“] Welt da draußen, in die er eintrat mit des andern Wunsch und
Erbe.
„Da kommen wir vielleicht zusammen hin, sieh doch zu, daß Du
Er mußte wieder an Dierk Vollmert denken. Weitergekommen
i meine Kammer kommst! Mein Kommissarium hier ist bald zu
inde. Aber nun sag' mal, wie war's denn da unten? Hast
war der andere mit seiner Art, und ein feiner Lebenskünstler war
brigens ziemlich viel Zeit verloren durch den Krieg. Könntest fast
er trotzdem geblieben, galt wenigstens dafür in allen Kreisen, mit
denen er in Berührung kam.
1 Jahr weiter sein. Angerechnet wird wohl nichts, Landgericht
t zu wichtig für die Ausbildung. Ist da nicht übrigens auch 'n
Hans Vollmert dachte an seinen eigenen Weg. Wollte er nicht
ardeborger geblieben?“
auch genießen, wollte er nicht jetzt das Leben so kennen lernen, wie
Dierk Vollmert drehte sich um, und Hans sah dem Bruder prüfend
es sich am schönsten, am feinsten bot? Er strich nachdenklich über
die Stirn und kniff die Augenbrauen zusammen.
s Gesicht. Er sah frischer aus als sonst. Seine etwas verlebten
Er hatte des andern Art bisher nicht gerne gehabt und wenn die
üge hatten sich gestrafft, und wäre nicht das letzte dünne Schläfen¬
tar gewesen, hätte man ihn für jünger halten können, als er
Brüder für einander eintraten und sich halfen, so standen sie sich
doch innerlich fern.
ar.
Der Jüngere hatte zu aufrechte Anschauungen, war zu derb und
„Du siehst wohl aus, Dierk!“
steif, um sich in der Gesellschaft zu biegen, war zu begeisterungs¬
„Das ist auch der einzige Trost in dem blödsinnigen Nest hier,
fähig, um sich unter Weltleuten zu bewegen. Und als er das fühlte,
ensch, wenn Du wüßtest, wie ich mich auf die Stadt freu'. Uebri¬
hatte er sich trotzig zurückgezogen, wollte nichts von den Anschau¬
ns, ich hab 'n feines Angebot für ’ne Rechtsanwaltsfirma. Da
ungen der anderen wissen und hatte sich sein eigenes Haus aufge¬
eidet zum Mai einer aus. Sie haben schon bei mir angefragt,
baut, gerode und einförmig — bis er Klaus Lüders hatte sterben
hatte da lange vertreten. An der Sitzung morgen nimmst Du
sehen.
ohl teil? Du weist ja, der gute Eindruck. Willers, sagen Sie
Eine Sehnsucht nach der bunten Welt, die vor ihm lag packte und
escheid, der Herr Referendar tritt sofort an. Also sag' mal, Du
erfüllte ihn seiidem wie etwas Fremdes, und doch war sie ihm will¬
t glücklich zurück. Nu erzähl' doch was!“
kommen, gab er ihr gern nach, als hätte sie ihm gefehlt bislang,
Dierk gähnte ungeduldig, warf den Mantel über, und sie gingen
als hätte er sie seimlich gesucht.
taus.
(Fortsetzung folgt.)
„Ich will erst noch zu Klaus Lüders Eltern gehen“, sagte der
ingere plötzlich.
Straßburger Stadttheater. -. . 4
Der andere sah ihn unruhig an. „Du mußt schon entschuldigen,
inSian
Das weite Land.
) bin etwas gereizt, hab ’ne lange Sitzung hinter mir. Aber Du
K. S. Straßburg, 11. Mai.
mmst wohl zum Essen?“
„Ich komme zum Abendbrot, Dierk, ich hab' noch 'n paars Die letzte Neuheit dieses Spieljahrs war, wie so manche andere in
dem nun zu Ende gehenden Theaterwinter, eine Neuheit von vorgestern.
länge!“
Arthur Schnitzler ließ seine Tragikomödie Das weite Land im
Dem andern war es nicht recht, aber er mochte nicht Nein sagen
Jahre=48 und seitdem ist sie vielerorts gegeben worden,
nd nickte. „Also auf Wiedersehen, acht Uhr.“
weist aber immer wieder schnell verschwunden. Das Werk ist ein echter
Hans Vollmert ging die Straße entlang, rasch, immer rascher,
„Schnitzler“ in gutem und schlimmem Sinne. Gut daran ist die Fülle
is er die letzten Häuser hinter sich hatte. Erst als die weite freie
von Lebensklugheit und Seelenkenntnis, die der Verfasser, wie übrigens
Marsch vor ihm lag, endlos und lenzgrün, atmete er auf wie erlöst,
in seinen meisten Werken, hier offenbart. Er kennt die Menschen seiner
Vaterstadt Wien — denn nur um solche handelt es sich in der Tragi¬
vlieb stehen, reckte sich und sah lange und gedankenvoll über die
komödie — wie kein andrer österreichischer Dichter, selbst Bahr, den
Ebene, über die herbe Schönheit und die unergründliche Einsamkeit
Vielgewandten, nicht ausgenommen. Er ist der Seelen=Analytiker
seiner Heimat.
seiner Landsleute par excellence. Er zeichnet sie, wie er sie sieht und
Dann lachte er leise vor sich hin. Das war Dierk Vollmerts
als Menschen mit
wie sie wohl auch in Wirklichkeit sind
Empfang gewesen: aufrichtig, aber ohne jede Innigkeit, nur von
empfindsamen, sansten Herzen und müden, weichen Seelen,
dem ersten Gedanken getragen: Wie macht Dein Bruder nur
die fröhlich und fesch sein möchten und im Grunde doch
Karriere?“
schwächlich sind, sodaß sie jedem Eindruck von außen nachgeben und vom
selbstbereiteten Schicksal gleich Spielbällen hin= und hergeworfen wer¬
Wie kam's, daß er das so plötzlich empfunden hatte vorhin?
den. In Schnitzlers Frauen lebt eine tiefe Sehnsucht nach stillem Glück,
Hatte er den Bruder je anders gekannt?
doch weil sie daneben Lebenshunger haben, vergreifen sie sich leicht in
„Klaus Lüders hat dich wohl angesteckt mit seiner Weichheit“
der Wahl ihrer Mittel und machen sich selbst und andere unglücklich.
dachte er, wollte sie abwehren und wußte doch, daß der andere ihn
Und seinen Männern fehlt mit wenigen Ausnahmen das Eisen im Blut.
beherrscht hatte, die ganze Zeit in Südwest, daß ihn ein Suchen
Sie sind wie die Falter, die um die Bogenlampe flattern und sich die
verfüllte nach irgend einem rätselhaften Wunder, nach der großen Flügel versengen. Fast immer lieben sie die Frauen der andern und