VII, Verschiedenes 11, 1913–1915, Seite 15


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übersehen dabei, daß sie im eigenen Hause Frauenseelen besitzen, die Kugel ins Herz. Zugleich aber erlebt auch er im „Weiten Land“ seiner
nur darauf warten, geliebt zu werden, und die dann ein andrer ihnen Seele, im eigenen Herzen die erste und wohl entscheidende Niederlage.
Mit einem Mal hat er die Schalheit seines Lebens, hat er die Torheit ##
wegnimmt wenn sie die rechte Stunde verpassen. Hundertmal hat
Schnitzler schon solche Menschen geschaffen, und hundertmal hat er uns
seines Ewigjungseinwollens und Immerliebenmüssens erkannt. Die
tiefe und tiefste Blicke in ihre Seelen gewährt, in Seelen, die er so
Freundin, die in der ernsten Stunde nach dem Duell ihm beistehen
fein und sorgsam zergliedert, daß uns fast nichts mehr verborgen bleibt.
will, die ex im Rausch der Bergluft an sich gerissen hat wie ein köst¬
Das ist das Große und Künstlerische, das Fesselnde und Be¬
liches, unschätzbares Kleinod, weist er schroff ab. Ein tiefer Ekel vor
stechende an der Schnitzlerschen Kunst. Zugleich aber auch das
einem Leben, das nichts als ein Spielen gewesen, hat ihn erfaßt.
Gefährliche und Hemmende. Vor lauter psychologischen Dar¬
Allein will er bleiben, gemieden von Gattin und Freund — gleichviel,
legungen kommt der Dichter nur schwer zum Handeln, und
in welcher Weise sein Leben sich weiter gestalten wird.
weil er das weiß, bepackt er seine Stücke mit so viel Handlungs¬
Um diese Grundmotive hat Schnitzler einen krausen Bau von Neben¬
motiven, mit so viel Einzelheiten, daß die reinen, einfachen Linien
sächlichkeiten und Gleichgültigem errichtet. Mit einer Sorgfalt, die
seiner Dramen sich verwirren und der Genießende und willig Mit¬
mehr als pedantisch wirkt und das Drama als Ganzes erheblich schä¬
gehende die schwere Not hat, sich in dem Durcheinander und Ineinander
digt, führt er in locker aneinander gereihten Szenen Menschen und
der Geschehnisse zurechtzufinden. In seinem Weiten Land — gemeint
Begebenheiten vor, die ohne Schaden für das dramatische Gefüge
ist das weite Land des Seelischen, des Unübersehbaren und Unergründ¬
und die Deutlichkeit der Haupthandlung hätten wegbleiben können
lichen im Menschenherzen —
ist dies besonders schlimm. Drei Akte
Der ganze dritte, in einem Dolomitenhotel spielende Akt ist überflüssig#
lang wirft er die Fäden seiner Handlung, stets überwuchert vom Em¬
so hübsch und unterhaltend im einzelnen auch die Typen und Gespräch
pfindsamen, so wirr durcheinander, daß etwas Klares nicht zustande
sind. Und ebenso lassen sich aus den beiden ersten Akten ruhig ganz
Lommt und man die Menschen nur wie durch Schleier sieht. Erst mit
Partien wegdenken, ohne daß die eigentliche Tragikomödie dadurch vei
dem vorletzten Aufzug hebt sich aus dem Gewühl von kleinen und
kürzt würde. In vielen Dialogen freilich wirft der Dichter seine Ges
großen Intriguen und großen und kleinen Bitternissen die Tragikomödie
danken und Lebenserfahrungen wie funkelnde Raketen empor. Wi
schon mehr allerdings die Tragödie — eines Ehepaars heraus,
hühsch zum Beispiel, wenn er an einer Stelle sagt, man müsse das#
um im letzten Akte dann welt= und lebensmüde auszuklingen.
Leben mehr auf die Sehnsucht einstellen, damit die Wirklichkeit uns
Im Mittelpunkt der menschlichen Gesellschaft, die durch das „Weite
den Reiz des Lebens nicht nehme, oder ein andermal, das ewige Aus
Land“ zieht und sich mit nichts als dem „Weiten Land“ der Seelen
sprechen als der feinsten und tiefsten Seelenregungen führe dazu, daß
beschäftigt, stehen der Fabrikant Friedrich Hofreiter und seine schöne
diese geheimen Regungen uns allmählich als falsch erscheinen. Hätt
Frau Genia. Die Ehe beider ist an der Alltäglichkeit und an dem Un¬
er nur selbst im Mitteilen des Letzten und Allerletzten sich mehr zus
vermögen der Gatten, sich ineinander zu finden, in Stücke gegangen.
rückgehalten und nicht alles gesagt, was ihm durch die Dichterseele zo##
Er, als der seelisch Skrupellosere, hat sich vor längerer Zeit schon mit
das Drama wäre besser geworden.
der Gattin eines andern getröstet, sie aber steht einsam im eigenen
Die Aufführung unter Albert Kehms Leitung nahm trotz flotte
Haus und hält an der Treue so fest, daß ein junger Musiker, der ver¬
Szenen — zumal im Gesellschaftlichen — das Ganze ein wenig zu
geblich um sie geworben, um dieser unerwiderten Liebe willen freiwillig
breit und schwer. Durch dieses langsame Tempo zog die Vorstellung
in den Tod geht. Nunmehr beginnt ein neues Spiel auf beiden Seiten.
sich bis in die Mitternachtstunde hinein, ganz abgesehen davon, das
Die erste Geliebte ist für Hofreiter schnell erledigt. Er schiebt sie weg,
dadurch auch der Aufnahmefähigkeit des Publikums zuviel zugemutet
wie man ein inhaltleeres Buch zur Seite legt, und greift nach einer
wurde. Auch vor einigen kecken Streichungen hätte die Regie sich nicht
neuen, jungen Seele, der kühten, klugen Erna Wahl. Es kümmert ihn
scheuen sollen. Die angenehmste Ueberraschung bot Herr Eckhof, der
wenig, daß sein bester, aufrichtigster Freund, der stille Doktor Mauer,
den Hofreiter überaus lebensecht spielte. Es scheint, daß solche lässig¬
schon lange heimlich um dieses Mädchen geworben hat. Er weiß
müden Charaktere seinem etwas schwerflüssigen Temperament besonders
nur, daß Erna ihn liebt, er fühlt, daß er mit ihr noch
liegen. Aber auch in den Augenblicken erwachender Energie und Ent¬
einmal jung und übermütig werden kann, und nach anderm
schiedenheit — wie in den Auseinandersetzungen mit den Gegnern —
fragt er nicht. So fanden sich die beiden in den Dolomiten, im Höhen¬
hatte er Kraft und Bewegung. Nur in der jäh aufflammenden Liebes¬
rausch, wie Hofreiter selbst bekennt, aber doch in einem Rausch der
szene versagte er wieder. Sein Feuer war unecht. Der passiven Rolle
Seelen und Herzen. Daheim aber geht Frau Genia, die Einsame,
Frau Genias wußte Frl. Erna Manegg keine tieferen Wirkungen zu
ihrem Schicksal entgegen. Ihr schwaches Kämpfen um die Liebe des
entnehmen. Ihr Leid überzeugte nicht immer, und ihrem Schmerz fehlte
ihr wieder entgleitenden Gatten — oder ist es nur der müde Versuch
die Größe. Fri. Gaab als Erna Wahl war im Sinn ihrer Aufgabe kühl
eines Kampfes? — hat ihre letzte Widerstandskraft und damit ihr Ge¬
und überlegt und ungemein rassig. Herr Felden als Leutnant
fühl für Treuehalten aufgezehrt, und während der Gatte seinen Höhen¬
Aigner verdarb sich viele Stellen durch ungenügendes Sprechen, ein
rausch erlebt, öffnet sie ihre Tür einem jungen Leutnant zu kurzem,
Tadel, der auch sonst für manche Darsteller gilt. Sympathisch in Spiel
flüchtigem Glück. Es war, wie alle meinten, nur ein Spiel auf beiden
und Haltung war Herr Wanka als Dr. Maurer. Sein ruhiger Ernst
Seiten. Die Rechte waren gleich verteilt, wer hatte dem andern also
und seine schlichte Gradheit hoben sich wohltuend ab von der Gesell¬
etwas vorzuwersen? Doch Schnitzler kennt seine Wiener Seelen. Er
schaft seelisch angekränkelter Menschen. Von weitern Leistungen zu
enut die Männer, die so gern in fremden Revieren jagen und das
Isprechen, erübrigt sich. Nicht eine der zahlreichen Rollen war derart,
Jagdgebiet im eigenen Haus den andern eifersüchtig verschließen —
daß sich besondere schauspielerische Leistungen daraus hätten entwickeln
Hofreiter, der Skrupellose und moralisch Weitherzige, ertappt sich plötz¬
ich darauf, daß er den Freuno seiner Gattin haßt. Nicht aus ge= lassen. Eine künstlerische Notwendigkeit für die Aufnahme des Werks lag
kränkter Ehre, auch nicht aus verwundeter Liebe, sondern aus tief ver=Inicht vor. Die jetzt zu Ende gehende Theaterzeit verläßt uns mit
letzter Eiteikeit. Und so kommt es, wie es meist zu geschehen pflegt. manchem unerfüllten Wunsch, der bei literarisch sorgfältigerer Auswasi
In einem Zweikampf schießt er dem jungen, hübschen Burschen die des Spielplans leicht zu befriedigen gewesen wäre.