VII, Verschiedenes 11, 1913–1915, Seite 30

haben sie ihre von der Reblaus ver¬
Wiener Sommerfrischler, lauter behauste Bürger,
eten Weingärten wieder aufgepäppelt
lanter Hauerpublikum ringsum.
Tal. Jetzt geht's wieder hoch her; hat
„Der tuat's!“ „Des is wieder amol aner!“
s wieder seinen eignen Trunk.
„Wie der von Anno 1900!“ So urteilen sie. Und
nach Westen läuft das Tal von der
die Zungen schnalzen vom Gaumen weg wie
In und wendet nur den einen Buckel
Kapselschüsse. Schüchterne Gesänge steigen, es
en= und Mittagsonne zu, der andre ist
wird vereinzelt gepascht. Aber man traut sich
Schatten, er gehört dem Wiener Wald.
noch nicht recht, die Stimmung ist noch nicht da.
trostlos sah dieser sonnige Bergrücken
An einem Seitentisch im Hofe, fern von all
hre her nicht aus! Kartoffel= und Klee¬
den vergnügten Alkoholikern, sitzt eine Gesellschaft
g er, kümmerliches Getreide, das kaum
von Unzufriedenen des Dorfes. Der pensionierte
burde, ließ er mürrisch auf sich wachsen,
Oberlehrer, der Doktor, ein Kaufmann, ein Villen¬
Pflugschar, die in seinen Leib eindringen
besitzer, ein Wiener Maler. Der Wein schmeckt
og sich kuirschend wieder zurück.
auch ihnen, aber er nährt nur ihren Mißmut über
hzfurchen entstanden immer neue Stein¬
dies und das, und doch bedient gerade diesen Tisch
mit den Händen zusammengetragen
die hübsche Nichte des Gastgebers, ein dralles,
denn die Kartoffeln wollten sich nicht
siebzehnjähriges Blut, das gar freundlich zu lächeln
i mit der hitzigen Nachbarschaft. Und
weiß. Den Oberlehrer haben sie zu früh pensioniert,
den öden Stoppelfeldern gemahnten
dem Kaufmann schon wieder einen Konkurrenten
vereinsamten Pfirsichbäume an die ver¬
vor die Nase gesetzt, der ihm die besten Kunden ab¬
Herrlichkeit. Und auch andre Zeugen
fängt. Dem Maler aber haben sie alle Wege ver¬
ch da. Lief ein Sonntagsjäger, dem die
boten, die zu schönen Landschaftsbildern führen;
hältnisse nicht vertraut waren, einem
der Doktor ist in Ungnade, weil er angeblich aus
in Bock nach, der sich aus dem lauten
jedem Schnupfen eine Epidemie macht, und dem
Sommerfrische hierher geflüchtet hatte,
Villenbesitzer haben sie trotz seines Protestes einen
cht in eine Zisterne.
Nachbar gegeben, der neben seine Palmenhäuser
st langsam wieder anders geworden;
einen großen Kober für Schweinezucht gebaut hat.
n Wein reifte, da reift er auch künftig,
Und zu ihnen gesellt sich als sechster ein Sommer¬
kall grünt jetzt auf dem dürren Buckel
frischler, der an jedem heißen Tage suchsteufels¬
amerikanische Rebe und geht mächtig
wild ist, weil es in dem Nest noch immer kein
Die alte Winzerherrlichkeit kommt wieder.
ordentliches Schwimmbad gibt, obwohl der Bach
zt sich die Gemeinde in immense Aus¬
seit dreitausend Jahren mitten hindurchfließt. Nach
Hebung ihrer Sommerfrische, an allen
Wien hinein muß man fahren, wenn man baden will.
Punkten schießen jetzt die Tafeln wie
Hei, da wird räsoniert! Keinen guten Faden
der Erde, die uns verkünden, daß diese
lassen sie an dem lieben Dorf, das sie doch nicht
n verboten sind. Und der kleinste Dackel
meiden mögen, kein Haar auf dem Haupte der
ker Leine geführt werden. „Sonst fünf
Gemeindebonzen bleibt ungekrümmt. Nie wieder
Strafe.“ In Freiheit geborene Wiener
möchte man seine Schritte nach dieser Sommer¬
e gewohnt sind, unbehindert über die
frische lenken, wenn man alles für bare Münze
zu spazieren, die ihr Harerl vor jedem
nähme, was da geredet wird. Nur dem Heurigen
spalais und vor jedem Denkmal eines
tun sie nichts, nur er findet Gnade. Und er be¬
en ungestraft heben dürfen, sie sollen
zwingt langsam auch ihre bösen Mäuler, sie werden
Wiener=Wald=Sommerfrische nur mehr
immer weniger fähig zu einem geregelten Disput,
nieben ihren Herren sehen lassen. Als
bald gibt es bei dem, bald bei jenem einen kleinen
ne Steuerzahler wären! Der hohe
Zungenschlag. Am dauerhaftesten ist der alte
schuß von Niederösterreich wird diese
Oberlehrer. Er hat ein Steckenpferd, auf dem er
unter Kuratel stellen müssen wegen
sicher reitet, eine fire Idee, die ihn wie ein Schwimm¬
dungssucht, denn sie hat selbst die staubige
gürtel über Meere von Alkohol trägt. Und damit
die zwischen Wiesen, Kartoffelfeldern
beherrscht er auch heute die Debatte. Der Doktor,
lätzen hinläuft, mit Tafeln eingezännt,
der noch zu jung in der Gemeinde war, hatte ihm
Wiener Hunden das Betreten dieser
früher stets opponiert, heute aber stimmte auch
verbieten. So steigt der Wein, der
er ihm bei, und das machte den alten Schulmeister
Berge droben wachsen soll, den Leuten
nicht wenig stolz. Dieser hatte nämlich eine neue
hon jetzt zu Kopfe.
naturwissenschaftliche Theorie aufgestellt, er be¬
schon gewachsene nicht minder.
hauptete, den geheimnisvollen Zusammenhang
per
ist wieder. In jedem Stellwagen
gefunden zu haben zwischen den guten Jahrgängen
es den Sommerfrischlern ein kleines
im Weinbau und den minderwertigen im Schul¬
jeder Straßenkreuzung des Dorfes
leben. Und als er heute den ersten Viertelstutzen
gestrenger Finger Gottes uns den Weg
leerte und den Nachgeschmack auf der Zunge
gen. Und auf den ungehobelten Tischen
prickeln ließ, da kleidete er sein Lob in die dunkeln
nd im Garten flackern des Abends die
Worte: „Das wird wieder eine Generation von
hr wieder, und auch in der Preß drängen
Trotteln werden Anno 1919!“ Die ihn nicht ver¬
langen Tafeln die Gäste, lehnen an
standen, fragten, was er meine, die seine Theorie
Mauern, schlürfen den köstlichen jungen
schon kannten, lächelten. Aber siehe, diesmal nickte
schnalzen mit der Zunge.
auch der Doktor zustimmend: „Jawohl, jawohl!“
mheimischen sind in der Überzahl. Sie
sagte er.
em Nachbarn die Ehre geben, sie setzen
„Na, endlich geben Sie's zu!“ rief der Ober¬
z darein, jeden guten Tropfen, der in
lehrer. „Anno neunzehnhundert und neunzehn¬
nde wächst, zu kennen. Der eine läßt
hunderteins waren gute Weinjahre — neunzehn¬
kn ankreiden, und wenn die Runde um
hundertsechs und =sieben sind blöde Kindergene¬
bgerechnet. Selten, daß einer etwas
rationen in die erste Klasse gekommen. Seit vielen
Immt, im besten Falle hat er bei dem
Jahren war ich dem Zusammenhang auf der Spur,
ein paar Viertel gut fürs nächste Jahr.
jetzt aber gibt es keinen Zweifel mehr für mich.
Inie einer allein den Wein, den er ge¬
Die Aufeinanderfolge war zu schlagend.“ Dabei
sie helfen alle mit und bringen es zu¬
schlürfte er an seinem zweiten Viertel und sog
das, was in der Gemeinde wächst, auch
dessen Blume voll Behagen ein. „Herrgott, werden
heinde vertilgt wird. Was brauchen sie
das Trotteln werden!“
ändler, fremdes Geld? Sie sind sich
Die Mißvergnügten lachten hellauf, der Ober¬
gund wollen wenigstens wissen, wofür
lehrer aber blieb unerschütterlich ernst. Man wollte
stet haben. Schlimm genug, daß man
vom Doktor wissen, was er von der Theorie halte.
ahr und Frühsommer, während der
Er strich seinen wallenden blauschwarzen Bart
Arbeit im Weingarten, Flaschenbier
und zuckte mit den buschigen Augenbrauen.
Nichts Trostloseres als die Zeit,
habe lange nur an die Degenerierung der Kinder
en Alten mehr gibt und der Heurige
von Alkoholikern im allgemeinen geglaubt, sagte
trinkbar ist. Ein Abstinenzler könnt'
er. Aber der Oberlehrer habe ihn überzeugt. Sie
n!
hätten neulich einmal den Dümmsten im Dorfe
kDank, sie ist jetzt vorüber, die schwere
die Jahre nachgerechnet und immer wieder ge¬
1912er ist doch endlich trinkbar. Und
funden, daß sie aus guten Weinjahren stammten.
ist an den ersten Abenden frei für einen Dagegen habe die mittlere Generation, die aus
der Reblauszeit, einen auffallend intelligenten
Durchschnitt. Das könne doch kein Zufall sein.
Die Tischgenossen sahen sich bedeutungsvoll an.
Einige schoben ihre Gläser fort. Der Doktor aber
redete weiter. Man wußte ja schon lange, daß es
bestimmte Jahrgänge von Menschen gab, die
minderwertig, und solche, die hervorragend sind.
Noch kenne man die letzten Gründe der Erscheinung
nicht, nur für die Weingegenden habe man greif¬
bare Anhaltspunkte. Die Beobachtungen des
Herrn Oberlehrers seien da geradezu bahnbrechend.
„In guten Heurigenjahren,“ so schloß er, „sollte
man die Frauen ganzer Dörfer in ein Kloster
sperren.“
Gelächter lohnte den Doktor für seine schalk¬
hafte Rede, und der Oberlehrer umarmte ihn ge¬
rührt. Endlich! Endlich wurde erggewürdigt. Und
man kam nicht mehr los von dem Thema. So oft
die hübsche Nichte des Gastgebers mit einem frisch¬
gefüllten Stutzen erschien, rief der Maler ihr zu:
„Ophelia, geh in ein Kloster!“ — „Susi hoaß ich!“
erwiderte sie das erstemal mit heller Stimme. „In
a Kloster? I? Kunnt m'r einfallen!“ Dann aber,
als der Scherz sich ständig wiederholte, lächelte die
Schöne nur mitleidig=duldsam, wie man über
Halbbetrunkene lächelt, die nicht mehr recht wissen,
was sie reden. Die Debatte aber vertiefte sich von
einem Viertel zum andern. Der Oberlehrer und
der Doktor, die genauesten Kenner der Dorfmensch¬
heit, gingen miteinander alle lebenden Hono¬
ratioren durch, und sie wagten sich sogar an die
Gemeindefunktionäre der jetzigen und der früheren
Wahlperiode, in der der Oberlehrer vorzeitig kalt¬
gestellt worden war. An andern Tischen genierte
man sich nicht, den und jenen Dorfgewaltigen
gelegentlich einen Teppen zu nennen, hier aber
wurde nicht geschimpft, hier hieß es bloß: „Aha,
ein Vierundsechziger!“ Oder: „O je, ein Zwei¬
undfünfziger!“ Und alle wußten, was das für
Jahrgänge waren. Von dem Dickwanst dort drüben,
dem früheren Bürgermeister, der den Oberlehrer
pensionierte, hieß es bloß, er sei der größte Vier¬
undsechziger im ganzen Dorf. Eine höhere Steige¬
rung ließ sich überhaupt nicht denken, denn so
einen Heurigen, wie Anno vierundsechzig, trank
man im ganzen vorigen Jahrhundert nicht.
Spät, beim sechsten Viertel, kam die Über¬
raschung des Abends — Musikanten traten ein.
Eine Klampfen, eine Geige, eine Streichzither.
Sie hatten ihren Stadtbahnzug aus Wien versäumt,
aber zu spät kamen sie noch nicht. Und sie brachten
die Heurigenstimmung mit, die bis jetzt gefehlt
hatte. Auf einmal trauten sich alle aus sich heraus.
Lieder stiegen, und „Mitsingen! Mitsingen!“ war
die allgemeine Losung. Namentlich drin in der
Preß ging's hoch her; da war das Hauptquartier
der Dorfjugend, da betätigte sich die Generation
aus der Reblauszeit. Ganz toll war sie. Und die
behäbigen Vierundsechziger und Zweiundfünfziger
standen zwischen den Türen und paschten mit und
tranken ihnen zu.
Auch die Mißvergnügten erhoben sich einer
nach dem andern und schwankten nach dem Zentrum
hin. Alle Beschwerden gegen die Gemeinde und
alle Theorien gegen den Alkohol waren vergessen,
die Köpfe wiegten sich im Takt, die Stuten wurden
von der schönen Susi immer wieder gefüllt, und
jeder suchte sich ein sicheres Plätzchen ang einer
Mauer, die nicht wankte. Juchhu!
Das Drah'n, das is mei Leb'n.
Kann's denn was Schönres geb'n
Als Drah'n die ganze Nacht,
Bis daß ein' d’ Sunn anlacht!
„Juchhu!“ — „Mitsingen! Mitsingen!“
Spät nach Mitternacht torkelte der alte Ober¬
lehrer Arm in Arm mit seinem argen Widersacher,
dem größten Vierundsechziger des Dorfes, heim¬
wärts. Sie hatten sich in der gemeinsamen Be¬
geisterung über den heurigen Jahrgang versöhnt.
Aber ganz war der alte Schulfuchs auch in diesem
Zustande von seinem Steckenpferd nicht abge¬
worfen worden. Er lallte ein über das andre Mal:
„Anno neunzehn — slch gratulier'! J—i—ich
gratulier'!“
Und als er heimkam, weckte er seine Alte und
befahl ihr, schnell in ein Kloster zu gehen.
Umdrehen, die Nacht zum Tag machen, die Nacht