VII, Verschiedenes 11, 1913–1915, Seite 39

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1. MisgeTTant—
Ausschnitt aus Nordbelumiseiem Pugtleut
Achen u.
von Z
Achianen der deutschen
Armee.
Ein Protest Schitzlers. Der „Verl. Lokalanz.“
meldet aus Genf: Artur Schnitztre protestiert gegen die
ihm zugeschriebenen abfälligen Aeußerungen über eng¬
lische, französische und russische Schriftsteller.
Die Arbeitsloistung kliegender Geschoffe. Die
ogblatt, Prag
Ausschnitt
ETENSENDIt
vom:
Arthun=Schuitzla##und#nd gegen
die Verleumder. Aus Genf wird der „Frankf. Zta.“
#rmeldet: Das „Genfer Journal“ bringt eine Zu¬
schrift Arthur Schnitzlers, in welcher der Wiener
Schriftsteller kraftvoll Einspruch dagegen erhebt,
daß ihm russische Zeitungen abfällige Aeußerungen
über Meister der russischen, englischen, französischen
und belgischen Literatur unterschoben haben, in
der böswilligen Absicht, neue Saaten des Hasses
auszustreuen. Der Einspruch Schnitzlers gelangt
mit einleitenden Worten Romain Rollands zur
Veröffentlichung. Der französische Romanschrift¬
steller lebi hervor, daß es seine kollegiale Pflicht
sei, die zu tun, wie es überhaupt immer Pflicht
sei, einzutreten, wenn es sich darum handelt, in¬
mitten des Wahnsinns der kämpfenden
Nationn die bestehende Einheit des mensch¬
lichen Gesankens und die geheime Verbindung
seiner besten Geister aufzuzeigen. Es ist erfreulich,
daß sich wenigstens zwei versöhnt die Hände
reichen!
teuchlurge
Ausschnitt aus:
Siterwille, Gras
vom: 29067 19½
Ein Brief Artur Schnitzlers.
Schweizer Blatter verissenslichen folgenden Pro¬
testbrief Artur Schnitzlers: „Wie ich durch Freunde
in Rußland auf einem Umweg erfahre, sind in Peters¬
burger Blättern angebliche Außerungen von mir über
Tolstoi, Macterlinck, Anatole France, Shakespeare von
so phantastischer Unsinnigkeit veröffentlicht worden,
wie sie mir zu normalen Zeiten von niemand, der
mich kennt, zugetraut würden, die aber in unserer vom
Übermaß des Hasses und vom Wahnsinn der Lüge ver¬
wirrien Welt immerhin auch sonst urteilsfähigen
Menschen nicht unglaubhaft erscheinen könnten.
Soiche Verhetzungsversuche, wie sie weit hinter
den Frenten der ehrlich kämpfenden Armeen im wohl¬
gedeckten Gelände unverantwortlicher Publizistik von
den Marodeuren des Patriotismus gefahrlos unter¬
nowmen werden, scheinen ja eine besondere, und viel¬
leicht die widerwärtigste, Eigentümlichkeit dieses Krie¬
ges zu bedeuten. Auch der lächerlichste dieser Versuche,
wenn er gelingt, könnte späteren Verständigungen
zwischen einzelnen, auf die es ankommt, Schwierig¬
keiten bereiten; daher möchte es leicht als ein Fehler
erscheinen, wenn ich diesen (etwa um seiner besonderen
Albernheit willen) auf sich beruhen ließe.
Der Wortlaut der mir zugeschriebenen Außerun¬
gen ist mir noch nicht bekannt; ihr Sinn und die Tat¬
sache der Veröffentlichung aber steht unbezweifelbar
fest. Da es unter den gegenwärtigen Verhältnissen
lange dauern kann, ehe ich in den Besitz des Original¬
artikels gelange, muß ich mich vorläufig auf die Er¬
klärung beschränken, daß Außerungen der Art, wie sie
in jener Publikation offenbar mitgeteilt sind, von
meiner Seite niemals gefailen sind, nach meiner Ge¬
sinnung niemals, weder im Frieden noch im Kriege,
hätten fallen können. Es ist freilich etwas beschämend!
für jemand, der sich zeitlebens vom Pathos der Selbst¬
verständlichkeiten leidlich sernzuhalten gewußt hat, erst
Pausdrücklich versichern zu müssen, daß ihm das Schöne
jederzeit schön, das Große jederzeit groß bleiben wird;
auch wenn es Nationen angehört oder innerhalb von
Nationen gewachsen ist, mit denen sein Vaterland eben
in einen Krieg verwickelt ist; aber der zahlreichen
Menschen denkend, die sich in dieser Epoche zu schlim¬
meren Dingen versteyen müssen als zu einer kleinen
Geschmacklosigkeit, stehe ich nicht an, es hier niederzu¬
schreiben, daß ich Tolstoi seinen Russen!) für einen der
gewaltigsten dichterischen Ingenien halte, die je über
den Erdkreis geschritten sind; daß mir Anatole France
(ein Franzose!) nach wie vor als einer der vornehmsten
Geister der Gegenwart und zugleich als ein Erzähler
von höchsten Qualitäten erscheint; und daß Maeter¬
lincks seines Belgiers!) naturwissenschaftlich=poetisie¬
rende Rhapsodien sowie viele seiner kleinen Dramen
auch dann von ihrem seltsam edlen Reiz nicht das ge¬
ringste für mich verlieren könnten, wenn er wirklich!
all das krause Zeug über Deutschland geschrieben hätte,
das neuerdings unter seinem Namen durch die Zei¬
tungen ging. Soll ich mich nun auch noch öffentlich
mit allem Ernste zu Shakespeare bekennen (dem Eng¬
länder! ja, denn er ist in Stratfort geboren) — oder
sängt es schon den Zweiflern zu dämmern an, daß mir
Shakespeare, auch wenn dieser Krieg dreißig Jahre
dauerte, immer Shakespeare bedeuten wird; den ein¬
zigen, für den es keine Worte des Preises und keine
Vergleiche gibt?
So lassen wir es denn lieber genug sein; — und
später einmal, wenn der Friede da ist, wollen wir uns
schmerzlich daran erinnern, daß einmal eine Zeit wax,
in der wir einander über die Grenzen hinüber die
Versicherung zurufen mußten, daß wir zwar jeder
unsere Heimat geliebt haben, daß wir aber trotzdem
Gerechtigkeit, Urteil und Dankbarkeit niemals ver¬
lernt, daß wir, um es einfacher zu sagen, niemals
gänzlich den Verstand verloren hatten.
Wien, im Dezember 1914. Artur Schnitzler.