VII, Verschiedenes 11, 1915–1917, Seite 4

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Miscellaneous
4. Apr
Neues Wiener Journal
Sonntag
Seite 12
Unsagbar viel hat die Schauspielkunst durch den Soldatens zu sein. Se
Mann gelesen habe. „Das Herz sei das Schönste, was ihm auf
und Heldentod des Münchener Hofschauspielers Dr. Bernhard Autos, durch
dem Gebiete der Novelle bisher begegnet sei.
Adolf Paul hat gerade in diesen jüngsten Tagen viel v. Jacobi verloren. Als der Krieg ausbrach, war dieser Besten und Ambula
eine graue
durch sein soeben erschienenes Strindbergbuch von sich reden und Edelsten einer in den Dolomiten, sofort kehrte er zurük
gemacht. Man seindet Adolf Paul an, weil er in diesem Buche und zog unverzüglich aus glühender Begeisterung hinaus ins Feld. Bayern, zwe¬
halten sie,
menschlich kleine Züge des großen nordischen Sohnes preisgibt. Uns alle, die ihm menschlich und künstlerisch nahe standen, er¬
schütterte die Botschaft seines Heldentodes. Um seiner Gattin und deutsche
Ich persönlich finde es sogar recht und billig, dieses in seinem
Schaffen so überragende Genie auch menschlich uns die schwere Stunde der Beisetzung zu ersparen, tele¬ Firnis ist.
„Hurra, i
graphierten wir nach dem Lazarett, in dem er gestorben war
im einzelnen kennen zu lernen. Wo viel Licht ist, kann und dar
Engländern
auch der Schatten nicht fehlen. Und gerade bei Strindberg nicht, man solle ihn dort begraben, aber nach vierzehn Tagen kam seine
der für den Schauspieler unerhörte Aufgaben geschrieben hat. Ich Leiche nach München und uns allen klingen immerdar die Abschieds¬ über alles
ihre Köpfe
habe mir einmal in Berlin „Totentanz" 1. Teil angesehen worte seines verwundeten Majors v. Dittelsberger in den Ohren
(Wegener und Eysoldt spielten prachtvoll) und war seelisch so zer der mit hoher, vom Weinen erstickter, schriller Kommandostimme blauen A
Kragen:
martert und mit meinen Nerven fertig, daß ich die große Szene dem Toten vor der Einäscherung zurief: „Held, Kamerad, du haf
im IV. Akt nicht mehr ansehen konnte. Da begriff ich, wie recht mir oft im Kugelregen das Leben gerettet!" Eine Zukunft der posten an
seinerzeit in München die Kritik hatte, als sie schrieb, daß das Bühne und einer der prachtvollsten Menschen ist mit Jacobi
dieser
Publikum „Totentanz" I. und II. Teil an einem Abend zufrüh ins Grad gesunken.
Von weiblichen Theaterberühmtheiten kann ich Ihnen Per¬
seelisch nicht ertragen kann. Wir hatten in München dieses Wage
sönliches von Agnes Sorma, Vilma Illing und der Wiener in Ord¬
stück unternommen
Nicht ohne innere Ergriffenheit nenne ich Ihnen unter den Schauspielerin Gemma Boic erzählen, die so tragisch geendet hat. Sie ja
Spione
Mit Agnes Sorma verbinden mich künstlerische un
mir persönlich bekannten Bühnendichtern den Namen Fri¬
v. Unruh. Bei meinem letzten Weilen in Berlin sah ich in menschlich viele Fäden. Sie war und bleibt das einzige poesie¬
bringen
der Halle des Edenhotels an dem Tage, an dem ich auch mit umwobenen Rautendelein, wie sie wohl auch die mütterlichst
Frau Alving in Ibsens „Gespenstern" war. Vilma Illing mit S
Gerhart Hauptmann gesprochen hatte, in einer Ecke einen feld
längst tot — hatte das Rüstzeug einer deutschen Duse und Wagen
grauen Ulanenoffizier sitzen: Fritz v. Unruh. Zwei Sommer waren
Gemma Boix, leider in Wien nicht recht erkannt und ge¬ verschie¬
wir gewissermaßen Nachbarn in Tutzing gewesen. Unruh war
jeden Tag bei uns und las uns auch ein vielumstrittenes Stück würdigt, war schon als meine Schülerin so voll Impulsivität und geführt
Auf
„Louis Ferdinand", mit solcher Begeisterung und solchem Tem Temperament, daß sie bei großen französischen Szenen in den
perament vor, daß ich das Gefühl hatte, niemand würde die Armen ihres Partners unter Thränen zusammenbrach. Sie spielte Stricke
nicht, sie erlebte als Schauspielerin. Ihr tragisches Ende war das von
Titelrolle besser spielen können als der Dichter selbst. Jetzt ist Unruh
physiologische Endglied dieser rätselhaften künstlerisch fein¬ wölkte
Ordonnanzoffizier bei einem Stabe. Als er nun in Berlin da¬
zende
gefügten Kette.
Leben und Treiben mitten in der Kriegszeit sah, nachdem er über
versuch
Eines aber möchte ich noch betonen: Wie immer künstlerisch
sieben Monate an der Front gewesen war, da sagte er zu mir
daß er sich auf den Tag freue, da er wieder hinausziehen werde, und menschlich geartet die Individualitäten der deutschen Bühnen
sein mögen, zwischen Privattheatern und Hoftheater wird immer
Das Leben im Felde habe ihn völlig gewandelt, er glaube, alles
was er bis dato geschrieben habe, sei gering zu dem, was ihn der Unterschied sein und bleiben und geistig überragende Bühnen¬
Linken
leiter wie Reinhardt und Barnowsky müssen ungleich gleich
jetzt physisch und psychisch beherrsche. Dieses so undeutsche,
gerade Bekenntnis machte auf mich einen tiefen Eindruck. Unruh mäßigere Leistungen zuwege bringen wie die Hoftheater. Hier vorbe¬
sucht sich einer das Material an Individualitäten heraus und ausge¬
wende
erzählte mir auch, daß er schon Paris in diesem Krieg, allerdings
bildet es sich heran, das er für seine Ziele und Absichten braucht
über,
nur im Flugapparat, gesehen habe, daß er einmal nach einen
leichten Kopfschuß auf dem Felde liegen geblieben und von den dort arbeiten vier bis fünf Regisseure in Oper und Schauspie
stehen
und jeder der fünf Köpfe hat seine besondere Wertung für das
Franzosen, die ihn für tot gehalten hatten, bis aufs Hemd aus
Material. Hier Zentralisation nach einem Willen, dort unsere
gezogen worden sei.
Wenn Sie mich nun fragen, mit welchen Bühnen=Dezentralisation nach mehreren Geschmackern und Auf meine
sind
leitern ich persönlich näher Fühlung gehabt habe, so will ich fassungen. Alle aber streben — oder sollten es wenigstens an
streben — einem Ziele zu: dem Erfolg
Alles
nur die Namen Baron Speidel, Freiherr v. Franckenstein, Rein
Und der Erfolg ist ausschlaggebend im Leben, mehr noch
Auber
hardt und Barnowski herausgreifen.
J. M. Jurinek.
donne
in der Kunst.
Baron Speidel war ein Intendant, der das Theater
äußer
(Nachdruck verboten.)
brennend liebte, der für alles, was in seinen Theatern vorging,
sie si¬
das allergrößte Interesse hatte, angefangen vom ersten Sänger und
Schla¬
An der englischen Front.
Schauspieler bis zum letzten Bühnenarbeiter und Boten. Speidel
von
lebte und webte nur für das Theater. Sein Nachfolger in
vom
Merville-Estaires-Lavantie.
München ist Freiherr v. Franckenstein geworden,
kehren
Von
Intendant, der in seiner neuen Stellung restlos ausgeht, der
Max R. Funke (San Francisco).
die Zukunft wird es beweisen — die Münchener Hofoper wie das
licher
Hofschauspiel mit seinem vorwärtsstrebenden modernen Geiste und
seinen
seinem rastlosen Tatendrang, sobald wieder ruhige Zeiten sein (Die Ruinen eines flandrischen Gutes. — Finstere Wohnungen. — Der
„amerikanische Choral." — Verbrannte Bauerngüter. — Lavantie.)
strohge
werden, zu einer Epoche neuer Blüte leiten wird.
Weder Wagen noch Autos in dieser kleinen flandrischen
gefange
Mit Barnowski bin ich befreundet, er ist einer der
Stadt heute. Indes reisen die Zivilisten keineswegs im Auf¬
temperamentvollsten und zugleich energischsten Theaterleiter
durch eine Gegend, die der mißtrauischen Ueberwachung der Eng¬
die ich kenne. Vor zwei Jahren war ich im Sommer mi
länder obliegt. Wir gehen also auf Schustersrappen die sieber
Die
Barnowski in Rimini, dort hat er sein Regiebuch zu Peer Gyn
ausgearbeitet, eine Tat, die durch 150 Wiederholungen des Kilometer, die Merville von Estaires trennen. Es regnet in
Strömen und welcher Regen und welcher Schlamm! Ja, das ist
(Ein Vor
Stückes in Berlin ihren reichen Lohn fand.
Flandern mit seinen Windmühlen und Häuschen im Schlamm. Is
Ballette.
Unter Reinhardt habe ich vier Jahre gearbeitet, er
lasterhafte
schon in Rußland der Schlamm ein Greuel, hier in Flandern ist
ist unstreitig der phantasievollste deutsche Theaterleiter. Reinhardt
nach mehr. Der Regen peitscht mir kalt ins Gesicht und ein