VII, Verschiedenes 11, 1915–1917, Seite 5



Das Leben im Felde habe ihn völlig gewandelt, er glaube, alles
und
sein mögen, zwischen Privattheatern und Hoftheater wird immer
was er bis dato geschrieben habe, sei gering zu dem, was ihn der Unterschied sein und bleiben und geistig überragende Bühnen
jetzt physisch und psychisch beherrsche. Dieses so undeutsche,
Linken
leiter wie Reinhardt und Barnowsky müssen ungleich gleich¬
vorbei
gerade Bekenntnis machte auf mich einen tiefen Eindruck. Unruh mäßigere Leistungen zuwege bringen wie die Hoftheater. Hier
ausge¬
erzählte mir auch, daß er schon Paris in diesem Krieg, allerdings sucht sich einer das Material an Individualitäten heraus und
wende
nur im Flugapparat, gesehen habe, daß er einmal nach einem bildet es sich heran, das er für seine Ziele und Absichten braucht
über,
leichten Kopfschuß auf dem Felde liegen geblieben und von den dort arbeiten vier bis fünf Regisseure in Oper und Schauspie
stehen
Franzosen, die ihn für tot gehalten hatten, bis aufs Hemd aus= und jeder der fünf Köpfe hat seine besondere Wertung für das
unsere
gezogen worden sei
Material. Hier Zentralisation nach einem Willen, dort
Wenn Sie mich nun fragen, mit welchen Bühnen
Dezentralisation nach mehreren Geschmackern und Auf¬ meine
leitern ich persönlich näher Fühlung gehabt habe, so will ich fassungen. Alle aber streben — oder sollten es wenigstens an¬
nur die Namen Baron Speidel, Freiherr v. Franckenstein, Rein¬ streben — einem Ziele zu: dem Erfolg!
Alles
hardt und Barnowski herausgreifen.
Und der Erfolg ist ausschlaggebend im Leben, mehr noch
Auber
Baron Speidel war ein Intendant, der das Theater in der Kunst,
J. M. Jurinek.
donne
brennend liebte, der für alles, was in seinen Theatern vorging
äußer
(Nachdruck verboten.)
das allergrößte Interesse hatte, angefangen vom ersten Sänger und
sie si¬
Schauspieler bis zum letzten Bühnenarbeiter und Beten. Speidel
An der englischen Front.
Schla¬
lebte und webte nur für das Theater. Sein Nachfolger in
von
München ist Freiherr v. Franckenstein geworden,
Merville-Estaires-Lavantie.
vom
Intendant, der in seiner neuen Stellung restlos ausgeht, der
Von
kehre
die Zukunft wird es beweisen — die Münchener Hofoper wie das
Max R. Funke (San Francisco).
Hofschauspiel mit seinem vorwärtsstrebenden modernen Geiste und
licher
seinem rastlosen Tatendrang, sobald wieder ruhige Zeiten sein (Die Ruinen eines flandrischen Gutes, — Finstere Wohnungen. — Der
einen
„amerikanische Choral." — Verbrannte Bauerngüter. — Lavantie.)
werden, zu einer Epoche neuer Blüte leiten wird.
rohge
Mit Barnowski bin ich befreundet, er ist einer der
Weder Wagen noch Autos in dieser kleinen flandrischen gefange
Stadt heute. Indes reisen die Zivilisten keineswegs im Auf¬
temperamentvollsten und zugleich energischsten Theaterleiter
die ich kenne. Vor zwei Jahren war ich im Sommer mit durch eine Gegend, die der mißtrauischen Ueberwachung der Eng¬
Barnowski in Rimini, dort hat er sein Regiebuch zu Peer Gynt länder obliegt. Wir gehen also auf Schustersrappen, die sieber
ausgearbeitet, eine Tat, die durch 150 Wiederholungen des Kilometer, die Merville von Estaires trennen. Es regnet in il
Strömen und welcher Regen und welcher Schlamm! Ja, das ist
Stückes in Berlin ihren reichen Lohn fand.
(Ein Vor¬
Flandern mit seinen Windmühlen und Hachen im Schlamm. Ist
Unter Reinhardt habe ich vier Jahre gearbeitet, en
Ballette
schon in Rußland der Schlamm ein Greuel, hier in Flandern ist
ist unstreitig der phantasievollste deutsche Theaterleiter. Reinhard
lasterhafte
arbeitet seine Regiebücher bis ins kleinste aus. Wenn er plötzlich er es noch mehr. Der Regen peitscht mir kalt ins Gesicht und ein
wütender eisiger Nordwind jagt mir erschreckend durch die Glieder
nach dem Harz oder nach Helgoland oder sonst wohin vereist
Pa¬
Rechts von uns gröhlen die schweren Geschütze der Bayern und
dann tut er dies, um in vollster Einsamkeit ein Regiebuch
wöhnen,
dazwischen das Geratter der schweren englischen Autos. Dies
auszuarbeiten. Gewinnen seine Pläne bei den Proben greifbar¬
seine einst
Motorwagen, in grauer Farbe gehalten und mit grauer Leinwand
Gestalt, dann wirft er oft vorher festgelegtes über den Haufen
gegriffen
überspannt, auf welcher bei einigen ein rotes Kreuz
und holt sich aus den Menschen, mit denen er schafft, neue Ideen
Pariserin
gemalt ist, folgen köhnend ohne Unterbrechung einer
Darum arbeitet Reinhardt lieber mit jungen Talenten als mi
Zyklen vor
Dann treten wir
starken, fest stehenden Persönlichkeiten. Seine großen Erfolge hatte auf den andern den Weg
jetzt wieder
auf eine Wiese abseits, um den heransprengenden englischen Reiter
er mit Waßmann, Arnold, Hedwig Wrangel, Lucie Höflich, Tihe
férencier
truppen Platz zu machen. Es sind alles lange und magere blut
Durieux, Gertrud Eysoldt und Moissi, als diese Kräfte noch
tribüne ge¬
junge Menschen, und erinnern mich mit ihren langen gelber
unbekannte Namen waren. Aber Reinhardt setzte sie durch.
während de
Haaren und ihren schlammigen Khakiuniformen an den deutscher
Damit bin ich bei Kapitel Schauspielberühmtheiten angelangt
konstatieren
Struwwelpeter. Nach ihrem Vorbeimarsch nehmen wir wieder unserer
Auch ein Reinhardt konnte anfangs Moissi der Kritik gegen
In
Weg auf
über, die diesen jungen Künstler maßlos verriß und einmal
pariserische
sogar von „Natzenfallenhändler" sprach, nicht halten. Moissi
Nicht weit von uns zur linken Hand liegen neben einer Exzentrizität
an eine
ging
schon Strohseime die Ruinen eines flandrischen Gutes. Die beider
Volksbühne
die allerdings
diese Pracht,
nach einem Jahre verkrachte und spielte dort den Franz Moor in großen Kastanien vor dem Eingang sind, wie das Anwesen selbst
ohne blasiert
mörderisch zerschossen. Im Felde arbeitet unter dem Kriegsgesang
Schillers „Räuber“ und den Goto in Hebbels „Genoveva“;
gezogen
erst erkannte man Moissis schauspielerische Begabung, er kehrte zu deutscher Kanonen ein französischer Landmann. Vor seinem Pflug
zu halten.
hat er ein altes elend mageres Pferd gespannt, zweifelsohne da¬
Reinhardt zurück und wurde Deutschlands bestbezahlter Schau
keit, und doch
spieler
einzige Pferd, das ihm der Krieg gelassen hat. Und immer noch Originalität
Persönliche Erinnerungen habe ich von Paul Wegener un
zieht der Autozug der englischen Armee ohne Unterlaß an uns russischen Ball
Bassermann, von Matkowsky und Dr. v. Jacobi, von Agnes
vorüber. Reiter erscheinen von neuem, und drüben auf einer Zuschauerraum
Wiese spielen englische Soldaten mit der flandrischen Bauern
Sorma, Gertrud Eysoldt, Vilma Illing und Gemma Bois, um
sah, die in Sch
nur einige wenige Namen aufzuführen, die mir im Augenblick
jugend „Football“. Das ist das freudige Kriegsspiel der in eine Tunika
einfallen. Als ich bei Reinhardt engagiert war, inszenierte ich Engländer
bis zu den na¬
für die freie Volksbühne ein Stück „Die Aschenbachs
da fehlt
Wir kommen nach Estaires bei Nachtanbruch. Hie und da und violette Pe¬
uns eine Hauptrolle, die Paul Wegener in Hamburg ge
fällt durch die matten Scheiben der Häuser ein fahles Licht, sonst
Die Pari¬
spielt hatte. Wegener kam für diese Rolle nach
Berlin und ist sie stockdunkel, diese kleine flandrische Stadt. Meine Füße verstehen unter
Reinhardt engagierte ihn schon nach dem ersten Akt. Mit Basser
stolpern über die groben Pflastersteine der Straßen und plötzlich Luxus, der Elega
mann habe ich kürzlich in „Egmont“ zusammen gespielt. Diese
stehe ich auf dem kleinen Rathausplatz, an dessen Seiten ein Troß Name ruft im Ge¬
Egmont Bassermanns war für mich das stärkste,
was ich bisher
schwerer Autos steht, die mit ihren großen runden Augen in die
Parfums hervor.
auf der Bühne gesehen hatte, so durch und durch menschlich ge¬ pechdunkle Nacht hinauslugen. Andere schwere Antos zirkulieren Natur, den R.
sehen und dabei doch so unerhört schauspielerisch
durchgearbeitet, auf den Straßen, vor deren Geräusch die kleinen flandrischer
Abenteuer besonde
Mit Matkowsky war ich einmal zusammen, als Reinhardt Häuschen zittern.
Gottheit des Bois
seinen großen Erfolg mit „Kaufmann von Venedig hatte.
Um 8 Uhr abends muß alles in den Wohnungen stumm
Jusbesondere ist sie
Matkowsky wunderte sich über die echten Dekorationen, über das
finster und ruhig sein, besonders in den Wirtshäusern und Hotel¬
nach deren Beispiel
Neuartige der Inszenierung, aber er sagte zu mir: „Für mich wie ich eben auf einem kleinen weißen Plakat an der Tür meines
Welt wie Glocken od
wäre das alles zu eng, inmitten dieser Dekoration könnte ich nicht Hotelzimmers lesen. Die Kanonen donnern noch immer, mehr und
Gewiß, alle
spielen!" Matkowsky war ein Mensch,
der außerhalb mehr lebhafter als am Tage. So scheint jetzt der Artilleriekamp
bekannten Lustspiel von
des Theaters gar nichts, aber auch
gar nichts seinen Höhepunkt erreicht zu haben. Am schwarzen Horizont bis Tugend bescheiden.
mehr mit dem Theater zu tun hatte und zu tun haben nach Ypern und nach Bassée zu tanzen die hellen deutschen Schein¬ Laster hingegen, das
wollte. Bei Moissi schätze und bewundere ich werfer am dunkeln Himmel
nicht scheinheilig zu sei
das fabelhafte melodische Instrument, auch psychologisch
Beim Erwachen sehe ich vom Fenster meines Hotelzimmers macht von sich sprechen
hat er schon Vieles meisterhaft gegeben, so vor allem den Oswald aus
französische Landstürmer über den Rathausplatz marschieren, und den Trätsch immer
in Ibsens „Gespenster, wohl psychologisch seine erschütterndste bedeckt mit Schlamm und den Spaten über die Schulter. Zweifels¬ mal ein dramatischer An
Leistung. Von Wiener Schauspielern habe ich einmal bei einer ohne gehen sie zur Front, ihren englischen „Freunden Schützen
er zum Nachtmahl gel¬
Bürgertheatervorstellung von Schnitzlers „Das weite Land" die gräben aufzuwerfen So haben sich die Franzosen hier im man mit ihnen nicht
bezwingende Einfachheit der Paulsenschen Darstellungskunst flandrischen als Handlanger des selbstsüchtigen Englands degradiert. Theater und im Bu
zu bewundern Gelegenheit gehabt.
Diese Arbeit scheint nun gerade nicht nach französischem Geschmack der Diebstahl aus Liebe