VII, Verschiedenes 11, 1915–1917, Seite 11

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Miscellaneous

Vien.
Le Victor Journal. Wie
Ausschnitt aus:
111915
von:
Bei Gräfin Wydenbruck¬
Esterhazy.
Von
Paul Wilhelm.
Gräfin Mysa Wydenbruck-Esterhazy zählt zu den anmutigsten
und begabtesten Damen der österreichischen Aristokratie. Ihr leicht¬
beweglicher Geist, ihr feiner Sinn für moderne Bestrebungen auf
allen Gebieten der Kunst, ihre eigene musikalische Begabung und
ihre energische Begeisterungsfähigkeit für jeden guten, fördern¬
werten Zweck haben ihr in den weitesten Kreisen der Wiener
Gesellschaft Anerkennung und Sympathien erworben. Auch jetzt,
in den schweren Kriegszeiten, zählt Gräfin Wydenbruck nicht zu
jenen — glücklicherweise nicht allzu zahlreichen — Damen der
Gesellschaft, die sich von den dem Gemeinwohl gewidmeten Werken
abseits halten, sondern sie hat sich in schier aufopfernder Weise
einer weitgehenden Fürsorgetätigkeit gewidmet, die fast ihre ganze
Zeit in Anspruch nimmt. Sie zählt nicht nur zu den künst¬
lerisch Genießenden, sondern auch zu jenen, die auch soziale Arbeit
Die Gräfin hegt auch eine Reihe von Plänen für kleinere
leisten und in diesem Sinne die höhere und edlere Kultur des
und größere Veranstaltungen, durch die der Kunstfürsorge
menschlichen Herzens erweisen. Ihre graziöse Erscheinung und
neue Mittel zufließen sollen und sie verweist auf die Ehren¬
ihr Wesen umgibt gleichwohl eine Atmosphäre von Ver
feinerung und ausgeprägtem Schönheitssinn, die auch aus präsidentin Fürstin von Metternich-Sandor, die es stets ver¬
ihrem eleganten Heim in der Gußhausstraße dem Besucher standen habe, irgendeiwas Neues, Zugkräftiges ausfinden zu machen,
sofort ins Bewußtsein wird Mit Kennerblick ausgewählte
um den von ihr geförderten Zwecken reichliche Mittel zufließen
zu lassen. Bei dieser Gelegenheit erwähnt die Gräfin
Gemälde älterer und neuer Meister schmücken die Wände und
man sieht, daß vornehmlich ein feiner Farbensinn und Vorliebe auch der deutschen Meisterabende, deren künstlerischer Ernst sich
für Zartes. Enervierendes die Richtlinien für die Auswahl der dem Wesen der Zeit durchaus anpassen und deren dritter
voraussichtlich eine musikalische Sensation bedeuten dürfte, denn
gesammelten Kunstwerke abgegeben haben.
Seit Kriegsbeginn hat Gräfin Wydenbruck freilich nur er bringt zum erstenmal Kläre Dux nach Wien, eine Sängerin
von höchsten künstlerischen Qualitäten, die Richard Strauß bei
wenig Zeit in ihrem schönen Heim zu weilen. Fast den ganzer
Tag verbringt sie in der von ihr geleiteten Nähstube im Palais seiner letzten Anwesenheit in Wien als die beste Mozartsängerin
bezeichnete, die er je gehört habe.
des Militärkasinos auf dem Schwarzenbergplatz. Ich hat
Das Gespräch führt bei dieser Gelegenheit auch auf die
wiederholt Gelegenheit, ihr dort einen Besuch abzustatten und
künstlerischen Erinnerungen der Gräfin und sie bezeichnet mir als
stets fand ich sie, angetan mit der obligaten Nähschürze, eifrig
mit dem Abzählen von Leinwandstücken oder mit irgendeiner die tiefste und nachhaltigste ihre persönlichen Beziehungen zu
Handarbeit beschäftigt. Denn sie ordnet nicht nur alles an, leitet Mahler, von dessen Persönlichkeit sie den allerstärksten Eindruck
alles mit zielbewußtem Sinn in die richtigen Wege, sie erhalten habe. „Er war, bemerkte die Gräfin, „nicht nur als
greift auch selbst wacker zu und arbeitet, umgeben von einem Künstler, sondern auch als Mensch einer der wenigen gan¬
Stab hilfsbereiter Damen, an Liebesgaben für unsere Soldaten Großen. Ich betrachte es als ein Glück, daß ich dem Manne
im Felde.
näher gestanden habe als viele andere, und daß es mir vergönnt
war, in die Tiefe seines Wesens einzudringen, das leider
Sie erzählt mir von der wohltätigen Aktion der Nähstube
die unter dem Protektorate der Erzherzogin Marie Valerie steht, so vielen verschlossen blieb, und das zu seinen Lebzeiten oft
und in der durch den Krieg brotlos gewordene Frauen so arg verkannt wurde. Aber schon jetzt, wenige Jahre
nach seinem Tode, beginnen sich die Wolken, die Unverständnis,
und Mädchen Arbeit finden. Die Leitung der Nähtud
vielleicht auch Neid und Mißgunst um seine künstlerische und
vermittelt die Uebernahme der Arbeiten, die im Säumer
und Nähen bestehen und für welche den Arbeiterinnen nicht nur menschliche Erscheinung gewoben haben, zu klären und immer
ein Stücklohn ausbezahlt, sondern auf dem Wege von Speise¬ reiner und größer tritt seine Gestalt hervor.
Auch zur zeitgenössischen Literatur steht die Gräfin in enger
marken Kost verabreicht wird.
Fühlung Sie spricht von ihrer besonderen Verehrung für Artur
„Gegenwärtig sind etwa sechzig Arbeiterinnen beschäftigt
Schnitzler, den sie zu den eigenartigsten und feinsten Er¬
erzählt die Gräfin, „und es herrscht unter allen ein wahrhaft
scheinungen der modernen Literatur zählt. Sie war auch sehr
rührendes patriarchalisches Verhältnis. Jeder passende Anla¬
befreundet mit Mark Twain, dessen trockener, unvergleichlich köst¬
wird benutzt, um durch Veranstaltung einer improvisierten Feier
den schwer arbeitenden Frauen und Mädchen eine kleine Freude licher Humor ihr viele unvergeßliche Stunden bereitet hat Bei
zu bereiten. Jeder Kaisertag wird gefeiert, ebenso Ostern Weih¬ dieser Gelegenheit führt das Gespräch auch auf Auguste
nachten und Neujahr. Ja selbst alle Namenstage und Geburts¬ Wilbrandt=Baudius, die gleichfalls zu dem engeren Wiener
tage der einzelnen werden in Evidenz gehalten und keine geht Freundeskreis des Dichters zählte und deren unerreichte Kunst des
intimen Vorlesens — jetzt leider viel zu selten gehört —
an einem solchen persönlichen Festtage leer aus. Es ist wirklich
wie eine große Familie, und ich freue mich dieses einträchtigen einigen der köstlichsten Skizzen Mark Twains wahre Triumphe
Verhältnisses das gewiß wesentlich dazu beiträgt, vielen unter gefeiert hat. Die Gräfin erzählt davon in ihrer geist¬
vollen lebendigen Art und schildert, daran anknüpfend,
ihnen ihr hartes und unverschuldetes Los zu erleichtern und zu
verschönen. Gerade in schwerer Lebenslage ist ja jedes Gemüt für wie unvergeßlich ihr auch ein Frühstück mit Mark Twain
und Peter Nansen sei, bei dem die beiden großen Dichter
ein wenig Herzlichkeit und Wärme doppelt dankbar.
drei bis vier Stunden auf einem Fleck beisammen gesessen waren
Die Gräfin spricht auch von der zweiten Aktion, der „All¬
und sich gegenseitig ihre Erlebnisse erzählt hatten
gemeinen Kunstfürsorge, an der sie als Präsidentin des Damen
Da ich von ihrer eigenen künstlerichen Betätigung spreche¬
komitees regen Anteil nimmt Sie weist darauf hin, wie not
die Gräfin ist wiederholt bei intimen Veranstaltungen als Sängerin
wendig diese Bestrebungen wären und wie bedauerlich das Lo¬
und auch (im Schönbrunner Schloßtheater) als Schauspielerin (in
der Künstler gerade in der jetzigen Zeit sei, welche kein Ohr für
dem Wilbrandtschen Einakter „Von Angesicht zu Angesicht
die feineren Stimmen des Lebens habe und so leicht geneigt sei